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Kunst der Freude

Goliarda Sapienza: »Die Signora«

  • Andreas Form
  • Lesedauer: 3 Min.
Freiheit von den Fesseln einer Männergesellschaft, von den frauenfeindlichen Regeln der allmächtigen katholischen Kirche, Freiheit im faschistischen Italien - »Die Signora« lebt kämpfend gleich alle diese drei Freiheiten, gepaart mit sinnlichem Glücksverlangen, beflügelt von einer temperamentvollen weiblichen Natur. Nach dem erfolgreichen Roman »In den Himmel stürzen« folgt jetzt die Fortsetzung. Beide Teile des großen Familienromans »L'arte della gioia« (Die Kunst der Freude) gehören zusammen, handeln von Modesta, einer aus ärmsten Verhältnissen zur Fürstin aufgestiegenen freiheitsliebenden Sizilianerin. Die in 1924 in Catania auf Sizilien geborene Autorin Goliarda Sapienza beendete ihren Roman vor dreißig Jahren. Er galt als Skandal und konnte auch in Italien erst 1996 erscheinen. Die Fesseln, die sie mit ihrer leidenschaftlichen Literatur zerreißt, galten lange Zeit noch als heilig. Pflasterten im ersten Teil, der mit der Machtübernahme durch Mussolini endete, noch Leichen Modestas Weg, kämpft sie im zweiten für Sinnlichkeit und Freiheit als Wege zum Glück - mitten im Faschismus und während des Zweiten Weltkriegs ein todesmutiges Unterfangen. Zusammen mit ihrer Freundin Joyce, einer intellektuellen Revolutionärin, erlebt sie jetzt auch die Wonnen und Leiden gleichgeschlechtlicher Liebe. Aber sie gesteht ihr auch: »Ich bin eine Frau, Joyce, und für mich ist es normal, Männer und Frauen zu lieben. Wenn ich gebären möchte, muss ich lieben, was mir im Schoß erblühen kann.« Immerhin unterlegt Modesta den ihr anscheinend angeborenen Widerstand gegen die politischen Verhältnisse in den Diskussionen mit der studierten Freundin auch theoretisch. Sie fordert gleiche Rechte für die Frauen Siziliens, sie kämpft gegen Armut und für Freiheit von Unterdrückung - dafür muss Modesta jahrelang ins Gefängnis. Erst die Landung der Alliierten auf Sizilien befreit sie.
Goliarda Sapienza hat ihren Roman prall mit Handlung und Emotionen gefüllt. Sie führt die menschlichen Schwächen in gnadenlosen Dialogen vor, deckt die Eitelkeiten auf, entlarvt die Verlogenheit einer Moral, die die Unfreiheit schützt, Angst vor jeder neuen Freiheit hat. Eine unabhängig gewordene Frau wirft alle Konventionen über Bord und setzt großzügig neue moralische Maßstäbe. Dabei muss sie sich manchmal selbst überwinden. Modesta bricht letztlich alle Tabus, bremst ihre Sinnlichkeit nicht und lebt die Vision der Freiheit selbst im Kerker weiter. Alles vor der blutigen Kulisse des Faschismus!
Goliarda Sapienza weiß, dass ihre Zumutungen auch in der Gesellschaft Italiens nach Faschismus und Krieg nur angenommen werden, wenn sie mit der Lebenslust ihrer Protagonistin die Leselust des Publikums befriedigt. Also würzt sie ihren anspruchsvollen Text kräftig: mit Humor und Spannung, üppiger Sinnlichkeit und wechselnden Erzählperspektiven, so dass Träume und reales Leben zu einer eigenen literarischen Wirklichkeit verschmelzen. Sie erzählt von der uralten Kulturlandschaft Sizilien, verzaubert - wie selbstverständlich - mit dem ewigen, manchmal auch rauhen Spiel von Sonne, Meer und Himmel. Die Insel war immer ein Schmelztiegel der Völker rund um das Mittelmeer, und der hat einen besonderen Menschenschlag hervorgebracht. Aus seiner kraftvollen und meist schönen Mitte hat Goliarda Sapienza die eindrucksvollsten Figuren für ihren Roman gefunden.

Goliarda Sapienza: Die Signora. Roman. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Aufbau-Verlag. 377 S., geb., 22,90 EUR.
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