Kunst der Freude
Goliarda Sapienza: »Die Signora«
Goliarda Sapienza hat ihren Roman prall mit Handlung und Emotionen gefüllt. Sie führt die menschlichen Schwächen in gnadenlosen Dialogen vor, deckt die Eitelkeiten auf, entlarvt die Verlogenheit einer Moral, die die Unfreiheit schützt, Angst vor jeder neuen Freiheit hat. Eine unabhängig gewordene Frau wirft alle Konventionen über Bord und setzt großzügig neue moralische Maßstäbe. Dabei muss sie sich manchmal selbst überwinden. Modesta bricht letztlich alle Tabus, bremst ihre Sinnlichkeit nicht und lebt die Vision der Freiheit selbst im Kerker weiter. Alles vor der blutigen Kulisse des Faschismus!
Goliarda Sapienza weiß, dass ihre Zumutungen auch in der Gesellschaft Italiens nach Faschismus und Krieg nur angenommen werden, wenn sie mit der Lebenslust ihrer Protagonistin die Leselust des Publikums befriedigt. Also würzt sie ihren anspruchsvollen Text kräftig: mit Humor und Spannung, üppiger Sinnlichkeit und wechselnden Erzählperspektiven, so dass Träume und reales Leben zu einer eigenen literarischen Wirklichkeit verschmelzen. Sie erzählt von der uralten Kulturlandschaft Sizilien, verzaubert - wie selbstverständlich - mit dem ewigen, manchmal auch rauhen Spiel von Sonne, Meer und Himmel. Die Insel war immer ein Schmelztiegel der Völker rund um das Mittelmeer, und der hat einen besonderen Menschenschlag hervorgebracht. Aus seiner kraftvollen und meist schönen Mitte hat Goliarda Sapienza die eindrucksvollsten Figuren für ihren Roman gefunden.
Goliarda Sapienza: Die Signora. Roman. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Aufbau-Verlag. 377 S., geb., 22,90 EUR.
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