Verhüllt und bloßgestellt
Rechtsdrehende Moderation und Produktion demokratieskeptischer Enttäuschung: Zum Duett Merkel - Schulz
»Das jeweils kleinere Übel zu wählen«, schrieb der große Günter Gaus 2002 nach dem ersten deutschen TV-Duell zwischen dem damaligen Kanzler und SPD-Politiker Gerhard Schröder und CSU-Chef Edmund Stoiber, entspreche »der politischen Natur des parlamentarisch-pluralistischen Systems. Es liegt in seinem Charakter, Alternativen des Nicht-Idealen als ausreichend zur Wahl zu stellen. Das ist ein sympathischer Zug des Pluralismus. Er idolisiert weder Wähler noch Gewählte. Aber er verlangt ein gewisses Maß an sachbezogener Kommunikation zwischen ihnen.«
Wenn der Sonntagabend eines gezeigt hat, dann dass ein Sendungsformat dieser Art, begleitet von allerlei aufgeregter medialer Überhöhung, dieses gewisse Maß deutlich unterschreitet.
Nun liegt das Duell von Schröder und Stoiber schon 15 Jahre zurück, man kann inzwischen ähnliche TV-Debatten vor Wahlen bis auf die lokale Ebene hinunter verfolgen. Diesen gemein ist, dass zumindest das Sendeformat mit zwei Kontrahenten aus einer Präsidentendemokratie mit Zwei-Parteien-System stammt und also nicht recht zu den hiesigen politischen Verhältnissen passen mag. Oder mochte. Denn TV-Duelle haben die politische Kultur hierzulande ja bereits verändert. Nicht zum Guten.
Die demokratiepolitischen Knackpunkte
Man muss dabei weder die irrige Rede von der »Amerikanisierung« vorbringen oder kulturpessimistisch argumentieren, man sollte aber dennoch die demokratiepolitischen Knackpunkte nicht ungenannt lassen: die Personalisierung zum Beispiel, die mit einer spezifischen Ästhetisierung von Politik einhergeht, in der das »gut Rüberkommen« vor allem anderen steht. Das hat etwas mit Professionalisierung und Modernisierung zu tun, wenn man es positiv sehen möchte - oder mit dem Zurücktreten von Parteien vor Personen. Die Repräsentanz tritt vor die Repräsentierten, die Stellvertreter im Amt reden mit sich selbst, nicht mit der und über die Wirklichkeit.
Hierin liegt ein bestärkendes Moment, das den Bedeutungsverlust der Parteien gegenüber Personen und Stimmungen beschleunigt. Und natürlich bleibt es ein gravierendes Problem, dass die kleineren Parteien bei dem »Duell« nicht zugegen waren - gerade weil die beiden Kontrahenten im Wesentlichen kaum einen inhaltlichen Unterschied zwischen sich erkennen ließen.
Mit solchen überinszenierten »Duetten« wird dann eine Enttäuschung über repräsentative Demokratie erzeugt: Wenn das »zur Wahl« steht, was die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz da von sich gaben, steht eigentlich gar nichts zur Wahl. Außer die unterschiedliche Performance von zwei Politikern.
Schulz’ Themen, Merkels Auftritt
Darüber muss man nicht viel sagen, vielleicht dies: Wer sagt, Merkel sei hier und da nervös, nicht souverän gewesen, tut dies, um zu übertönen, dass die Kanzlerin den besser informierten, den ruhiger reagierenden Eindruck hinterlassen hat. Wer sagt, Schulz habe gelungene Attacken auf die Regierungschefin geritten, unterschlägt, dass er dies ausnahmslos bei Themen versuchte, bei denen Merkel sonst von Rechts unter Druck steht - etwa beim Verhältnis EU und Türkei oder bei der Abschiebefrage.
Das hat, und darüber sollte man jetzt viel eher reden, auch etwas mit der Moderation des Abends zu tun: Denn das Gespräch zwischen Merkel und Schulz war in Wahrheit über weite Strecken gar keines zwischen den beiden, sondern ein Duell zwischen zwei Vertretern derzeit regierender Parteien auf der einen und vier Journalisten auf der anderen Seite, die sich alle Mühe gaben, einen Fragestandort rechts der beiden Kandidaten einzunehmen. Ein Ausdruck davon, wie weit die politische Kultur sich verschoben hat. Und das lag nicht nur an Claus Strunz.
Sozialpolitik als lästige Pflichtübung
Noch während der Sendung fiel einem Kollegen dazu ein, er habe den Eindruck, hier die Sendung »AfD fragt, Schulz und Merkel antworten« zu verfolgen. Das Thema Flucht und Migration dominierte über weite Zeitstrecken, inszeniert als Angstdebatte und Überforderungsszenario. Was droht sonst noch? Diesel und Terror. Sozialpolitische Themen wurden abgehandelt wie eine lästige Pflichtübung. Die außenpolitische Agenda war, zurückhaltend formuliert: rätselhaft. Vor allem: Es war ein Gespräch des Rückblicks, bei dem vergangene Politik zum Maßstab von Bewertungen gemacht wurde, die kaum etwas mit der Zukunft zu tun haben.
Dass Angela Merkel am Ende pflichtschuldig den Begriff »Digitalisierung« aufsagt und Schulz ein auswendig gelerntes Stück aus dem Poesiealbum vorträgt, in dem das Internet vorkommt, verweist auf die inhaltliche Rasterung solcher TV-Duelle: Die Kontrahenten trainieren, möglichst viele Spiegelstriche aus den Wahlprogrammen aufzusagen. Eine Debatte über die Grundrichtung der Politik wird daraus nicht, zumal dann nicht, wenn der Herausforderer sein Wahlprogramm bereits so formuliert hat, dass er möglichst nicht zu sehr beim bisherigen und wohl auch künftigen Partner aneckt.
Eine mögliche Überraschung
Da wäre es besser gewesen, hätte der Sozialdemokrat einen journalistischen Rat beherzigt - nämlich gleich zu Beginn der Sendung Merkel damit zu überraschen, dass er ihr die Fortsetzung der »Großen Koalition« anbietet, die bei einer 20-Prozent-SPD auch nur ein Regierungsbündnis unter vielen ist. Die Kanzlerin hätte dies weggenickt, Schulz hätte sein eingeübtes Lächeln aufsetzen können - und man hätte Gelegenheit gehabt, darüber zu debattieren, was in den kommenden vier Jahren wichtig ist. Doch nicht einmal in Steuerfragen konnte man von beiden »Spitzenkandidaten« etwas genaues hören. Vom Rest ganz zu schweigen.
Verfassungswirklichkeit nach Medienzuschnitt
Nach dem Duett ist nun viel von Umfragen die Rede. Je nach Institut und Sender gibt es mehr oder weniger deutliche Sieger - für alle ist etwas dabei. Das Prinzip TV-Duell liegt genau hier: In der nachträglichen Setzung von Spins, von Erzählungen, mit denen man hofft, den Wahlkampf noch beeinflussen zu können.
»Wer ist der Sieger?«, fragte Gaus 2002 nach dem Schröder-Stoiber-Gespräch - und die Frage stellt sich heute immer noch genau so, wie es der Journalist, Politiker und Diplomat damals im Sinn hatte: Es ging ihm nicht um Vorteile auf dem parteipolitischen Millimeterpapier, nicht um Punktvergaben für Selbstdarsteller oder demoskopische Glaskugeleien. Sondern darum, was die Res publica von solchen Inszenierungen haben könnte.
Auch Günter Gaus wollte kein Kulturpessimist sein, aber den Beitrag eines TV-Duells für die Demokratie sah er allenfalls darin, ihr neue Kleider zu verpassen, in denen sie »verhüllt« sei und gleichzeitig vollkommen bloßgestellt: eine Verfassungswirklichkeit nach Medienzuschnitt. Wer es anders möchte, wird die politische Wahrheit nicht in einem Fernsehstudio in Berlin-Adlershof suchen dürfen.
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