Vom Sozenbräu bis Kaffeetreff

In Vorpommern versuchen SPD und CDU mit viel Bürgernähe, die AfD auszubooten

  • Martina Rathke und Winfried Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

Strasburg. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag zum CDU-Wahlkampf nach Strasburg kam, hat sich die Aufregung um den Boden des Kundgebungsplatzes gelegt. Unbekannte hatten auf den Rasen des Sportstadions mehrere auch bei der AfD oft verwendete Losungen wie »12 Jahre sind genug« vermutlich mit Unkrautvernichter auf den Sportplatz eingebrannt. Auch Rasenmähen brachte nichts, das gelbe Gras hob sich gegen das andere Grün auffällig ab.

Strasburg liegt im Bundestagswahlkreis 16 (Mecklenburgische Seenplatte I - Vorpommern-Greifswald II), den politische Beobachter als die Region sehen, in der die Alternative für Deutschland (AfD) den anderen Parteien am ehesten das Direktmandat wegschnappen könnte. Bei der Landtagswahl 2016 erreichte die AfD hier im Südosten Mecklenburg-Vorpommerns drei Direktmandate. »Die Flüchtlingskrise war nur der Katalysator für dieses Wahlergebnis«, resümiert der CDU-Politiker und Direktkandidat Philipp Amthor nüchtern. Vor allem der Ärger und das Unverständnis über die Strukturentscheidungen der Landesregierung hätten die Menschen bewogen, die AfD zu wählen. Die Christdemokraten, die die Region bis 2016 politisch beherrschten, zahlten die Zeche dafür.

Die von der Ost-Beauftragten Iris Gleicke konstatierte Strukturschwäche im Osten Deutschlands zeigt sich in Vorpommern zwischen Wolgast, Anklam und Pasewalk in besonderem Maße. Es fehlen gut bezahlte Industriearbeitsplätze. Mit den Strukturreformen der Landesregierung für Polizei, Gerichte und Landkreise zogen sich in den vergangenen Jahren staatliche Strukturen zurück - mit den Reformen gingen auch engagierte Bürger auf der Suche nach neuen Arbeitsplätzen. Volkswirte vom Dresdner Ifo-Institut konstatierten dort, wo die Auswirkungen der Gebietsreform besonders hoch waren, einen höheren Anteil an AfD-Wählern.

In den letzten Wochen vor der Bundestagswahl reichen sich nun die Spitzenpolitiker von CDU und SPD im Süden Vorpommerns die Klinken in die Hand - und es scheint, als wolle man diesen demokratischen Makel mit Berliner Politprominenz füllen. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) war in Anklam, um den sozialdemokratischen Direktkandidaten Heiko Miraß zu unterstützen. Für die CDU erhält der 24-jährige Philipp Amthor prominente Unterstützung aus dem Nachbarwahlkreis von Kanzlerin Merkel. Auch Innenminister Wolfgang Schäuble, der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder und CSU-Chef Horst Seehofer sorgten für Glanz auf Amthors Wahlveranstaltungen. Wie glaubhaft dieses Interesse in der Region ist, wird der Wähler am 24. September entscheiden.

»Dieser Wahlkreis ist der spannendste in ganz Deutschland«, sagt Patrick Dahlemann von der SPD. Als einziger konnte er im Landesosten der AfD bei der Landtagswahl Paroli bieten und einen Wahlkreis in Süd-Vorpommern für sich gewinnen. Dahlemann, der nach der Wahl von der Landesregierung zum Vorpommern-Staatssekretär berufen wurde, ist seitdem bemüht, den Bürgern zu vermitteln, dass sie mit ihm einen Lobbyisten in der Landesregierung sitzen haben. Dahlemann hört Bürgern und Bürgermeistern zu und verteilt Mittel aus dem Vorpommern-Fonds für Projekte, die den sozialen Zusammenhalt fördern sollen.

Die CDU gründete drei Monate nach der Landtagswahl in Anklam ihren Konservativen Kreis. Mit dem Ruf nach einem starken Rechtsstaat und mehr Polizei gibt es Schnittmengen mit der AfD. »Rechts neben uns kann sich nichts mehr an demokratischen Parteien befinden«, gab der Sprecher der Konservativen, Sascha Ott, den Platz vor. Für den CDU-Konservativen Amthor, der mit dem Slogan »Neuer Mut« um Stimmen wirbt, ist das Thema Sicherheit eine Kernbotschaft seines Wahlkampfes.

Der Bundestagswahlkreis, der seit 1990 an die CDU ging, könnte nun politisch völlig neu geordnet werden. Dahlemann spricht von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen allen Kandidaten. Dem 24-jährigen Juristen Amthor, der an der Universität Greifswald an seiner Doktorarbeit schreibt, spricht Dahlemann (29 Jahre) die politische Reife ab. Als Chef der Arbeitsagentur in Greifswald habe SPD-Kandidat Miraß den direkten Draht zu Arbeitnehmern und Unternehmern, lobt Dahlemann seinen Parteikollegen. CDU-Mann Amthor sieht hingegen die AfD als »Konkurrenten Nr. 1«.

Die Rechtsaußenpartei sieht im Wahlkreis durchaus Chancen, ein politisches Signal zu setzen. Mit Enrico Komning hat die AfD ihren Vize-Fraktionschef im Landtag im Wahlkreis nominiert. Der 49-jährige Anwalt gilt als extrem konservativer Politiker. Dass die Konkurrenz von CDU und SPD viel Politprominenz in die Region holt, stört Komning nicht. »Die Leute wollen die Kandidaten kennenlernen und nicht die Bundespolitiker sehen«, lautet seine Einschätzung.

Bürgernähe ist das Schlagwort aller Kandidaten im Wahlkampf. Der AfD-Mann lädt zu Bürgerforen in die kleinen Städte. Zwischen 20 und 40 Gäste seien jeweils zu etwa zwölf solcher Foren gekommen. »Die Bürger fühlen sich hier alleingelassen«, beschreibt Komning die Stimmung.

Amthor hat im Frühjahr seine Handynummer plakatiert und mit dem Slogan geworben: »Sie kochen den Kaffee. Ich bringe den Kuchen.« Viele Bürgertermine seien auf diese Weise zustande gekommen, sagt Amthor. Eine unkonventionelle Art des Wahlkampfes gibt es auch bei der SPD. Heiko Miraß verteilt auf seinen Wahlkampfveranstaltungen als Gimmick kleine Bierflaschen mit dem Etikett »Sozenbräu - Das Bier für das rote Wunder«. dpa/nd

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