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Linke Politik hat auch mit Vorleben zu tun

Eva Bulling-Schröter über Kohleausstieg, soziale Klimaschutzpolitik und das Essen auf den Parteitagen

In einer Ihrer letzten Pressemitteilungen als energie- und klimapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag haben Sie ein Urteil des Bundesgerichtshofs kritisiert, das ansonsten weitgehend unbeachtet blieb. Ein Landwirt aus Schleswig-Holstein muss wegen eines Formfehlers bei der Anmeldung seiner Solaranlage eine fünfstellige Summe an die Bundesnetzagentur zurückzahlen. Warum war Ihnen das so wichtig?
Weil hier die Energiewende torpediert wird und das kein Einzelfall ist. Da werden Landwirte für eine Nachlässigkeit drakonisch bestraft, die sich aktiv für regenerative Energien einsetzen. Als Abgeordnete hat man ja für die Menschen da zu sein. Es ging um einen Formfehler, der dem Netzbetreiber hätte auffallen müssen und der dazu führt, dass einzelne Landwirte sechsstellige Summen zurückzahlen müssen. Aus meiner Sicht ist das Bürokratieversagen. Das hat mich maßlos geärgert, ich bin ja ein sehr impulsiver Mensch. In diesem Fall ist das Gesetz krass überzogen. Wir haben, übrigens als einzige Fraktion im Bundestag, dazu viele Anfragen gestellt, weil es Hunderte solcher Fälle gibt.

Zeigt das die besondere Herangehensweise einer Linkspolitikerin an die klimapolitischen Fragen: Es geht mehr darum, bei der Energiewende soziale Härten zu vermeiden und auf soziale Ausgewogenheit zu achten, was bei Umweltverbänden und den Grünen oft zu kurz kommt?
Im sozialen Bereich muss wesentlich mehr getan werden, damit die Energiewende gerecht bleibt. Es geht um Arbeitsplätze, Strompreise oder die energetische Gebäudedämmung, bei der man Leute nicht raussanieren darf. Bei der jüngsten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hat die große Koalition die Ausschreibung von Windkraftprojekten eingeführt, was wir kritisiert haben, weil dies große Investoren bevorteilt. Die vor einem Jahr verabschiedeten EEG-Regelungen ziehen bereits erste Entlassungen in der Windkraftbranche nach sich. Bei gefährdeten Kohlearbeitsplätzen schlagen die Gewerkschaften sofort Alarm. Aber wenn bei den Erneuerbaren Arbeitsplätze in viel höherem Ausmaß bedroht sind, rühren sie sich nicht.

Zur Person

Eva Bulling-Schröter gehört zu den umwelt- und klimapolitischen Vordenker*innen in der Linkspartei. Nach 20 Jahren kehrt sie nun dem Bundestag den Rücken. Sie war von 1994 bis 2002 und von 2005 bis 2017 Abgeordnete zunächst der PDS und dann der LINKEN, zuletzt als energie- und klimapolitische Sprecherin. Zwischendurch ging sie zurück in ihren Beruf als Schlosserin.

Nach ihrer Ausbildung war sie ab 1981 in verschiedenen Metallbetrieben und später auch Betriebsrätin beim Spinnereimaschinenbauer Rieter. Im letzten Bundestag war sie die einzige »klassische« Arbeiterin. Die langjährige Vorsitzende der LINKEN in Bayern kehrt nun in ihre Heimatstadt Ingolstadt zurück und wird Spitzenkandidatin ihrer Partei bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr. Mit der 61-Jährigen sprach Kurt Stenger.

Sie sind langjährige Gewerkschafterin, waren Schlosserin und Betriebsrätin in einem Metallbetrieb. Gewerkschaften gehören bis heute zu den Bremsern in Sachen Energiewende - wie kam es, dass Sie zur Klimaschutz-Enthusiastin wurden?
Ich war im Betriebsrat zuständig für Arbeitssicherheit. Da ging es auch um neue Produktionsmethoden, um den Einsatz krebserregender Stoffe im Betrieb zu vermeiden. Später habe ich erfahren, dass die Teile in Tschechien mit noch weniger Schutz hergestellt wurden. Schaden von Mensch und Umwelt abwenden, darum geht es mir, nicht nur vor der eigenen Haustür, sondern auch außerhalb Deutschlands. Genau das ist die Klimafrage.

Teilen Sie die Einschätzung, dass von der Energiewende in ihrer bisherigen Form Hausbesitzer, Windenergiefonds-Anleger und größere Energieunternehmen profitieren, während Normalbürger die Zeche der EEG-Umlage bezahlen?
Nein, es profitiert nicht nur der Zahnarzt mit der Solaranlage auf seinem Hausdach. Es gibt viele Energiegenossenschaften, wo Leute mit wenig Geld Mitglied werden und investieren können. Künftig können auch Mieter*innen von Solaranlagen auf dem Mietshaus profitieren.

Pro Klimaschutz und Energiewende sind mittlerweile alle im Bundestag vertretenen Parteien. Wo sehen Sie die Marktlücke der Linkspartei?
Wir wollen eine faire Energiewende, die die Kosten gerecht verteilt und für alle bezahlbar bleibt. Keinen grün lackierten Kapitalismus. Als internationalistische Partei kann es uns nicht egal sein, wie es Menschen in anderen Teilen der Welt aufgrund unseres Verhaltens, aufgrund dieser kapitalistischen Wirtschaft ergeht, die den Klimawandel verursacht.

Und wenn es an die Umsetzung der klimapolitischen Notwendigkeiten geht - worauf setzt eine linke Politikerin: auf den chinesischen Weg, bei dem der Staat von oben herab alle Maßnahmen schnell durchsetzt, oder auf den langsamen und mühsamen Weg der Überzeugung und der Veränderung von unten?
Wir brauchen beides. Die LINKE ist für Ordnungspolitik, die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass die großen Konzerne, denen es um kurzfristige Profite geht, klima- und umweltverträglich handeln. Das muss dann kontrolliert werden - was bei der Autoindustrie total schief gegangen ist. Die Politik muss dafür sorgen, dass der öffentliche Nahverkehr günstig und bezahlbar ist. Es geht auch darum, mit den Leuten über ihr Alltagsverhalten zu reden, denn Veränderung geschieht in den Köpfen. Wir sollten drüber nachdenken, ob man wirklich so viel Fleisch essen muss.

Was der Linksparteibasis schwer zu vermitteln sein dürfte - sozial gerecht heißt für manche ja, dass sich auch jeder immer Fleisch leisten können muss.
Zunehmend interessieren sich junge Genoss*innen für das Thema. Viele Mitglieder sind Veganer*innen, die gucken genau, was es auf Parteitagen zu essen gibt. Für mich hat linke Politik auch mit Vorleben zu tun.

Zurück zur Ordnungspolitik: Ist Rot-Rot-Grün Voraussetzung dafür, dass die Klimaschutzpolitik so forciert wird, dass Deutschland die Pariser Ziele noch erreichen kann? Ein solches Bündnis ist auch in Ihrer Partei nicht unumstritten.
Da die LINKE auch bei dieser Wahl leider nicht die Mehrheit bekommen wird, müssen wir uns Bündnispartner suchen. Theoretisch gäbe es mit SPD und Grünen im Bereich Umwelt- und Klimapolitik eine Reihe von Gemeinsamkeiten.

Und praktisch?
Die Grünen bräuchten sehr viel links und Soziales drin und die SPD müsste ihren starken Flügel der Kohle- und Autolobby zurückdrängen. Das gäbe harte Koalitionsverhandlungen.

Ein ökologisch fortschrittliches Mitte-Links-Bündnis ist unwahrscheinlich. Braucht es daher mehr außerparlamentarischen Druck auf die künftige Regierung, etwa durch Klimacamps und Blockaden im Rheinland und in der Lausitz?
Unbedingt. Eine starke außerparlamentarische Bewegung ist notwendig, sie wird hoffentlich weiter wachsen. Wenn man sieht, wie großartig die Ende-Gelände-Aktionen verlaufen - das kann man nicht ignorieren. Irgendjemand muss es dann im Bundestag auch durchsetzen.

War die Perspektive eines »Weiter so« unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Grund dafür, dass Sie dem Bundestag jetzt den Rücken kehren? Auch mit den Klimawandelleugnern der AfD auf der Oppositionsbank zu sitzen, ist nicht gerade verlockend.
Nein, ich bin ein sehr kämpferischer Typ. Wenn man in Bayern viele Jahre Landeschefin der PDS und dann der LINKEN war, kann einen in Sachen Streitkultur nichts mehr schrecken. Der Grund meines Ausscheidens aus dem Bundestag ist, dass ich finde, 20 Jahre sind genug. Ich will in Berlin jüngeren Genoss*innen Platz machen, werde aber in Bayern 2018 für den Landtag kandidieren. Das wäre doch was, wenn die LINKE erstmals ins Maximilianeum einziehen würde!

Sie gehen zurück nach Ingolstadt, wo Audi seinen Sitz hat. Werden Sie dort so etwas wie eine Lausitzer Kohledebatte führen müssen?
Wenn ich dort Audi kritisiere, bin ich natürlich eine Nestbeschmutzerin. Die Mitarbeiter haben genauso Angst wie die Kollegen in der Lausitz. Trotzdem ist es notwendig, jetzt CO2-ärmere Antriebe zu entwickeln und möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Ich mache mir auch keine Freunde, wenn ich diese Spritschlucker wie den Q7 oder das steuerliche Dienstwagenprivileg in Frage stelle. Viele Audis sind ja Dienstautos in Ingolstadt.

Steht also auch im wohlhabenden Oberbayern ein Strukturwandel an?
Ja natürlich. Auch hier muss man rechtzeitig schauen, dass es andere Arbeitsplätze gibt.

Also ist auch beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor Ordnungspolitik gefragt? Der Markt wird es von allein sicher nicht richten.
Wir sagen: keine Neuzulassungen fossiler Antriebe mehr ab 2030. Die Autoindustrie gibt ja gerade bis zu 10.000 Euro Rabatt beim Kauf von teuren Neuwagen. Das halte ich für falsch, weil davon eben nicht die CO2-ärmsten Pkw am meisten profitieren.

Welches Auto fahren Sie?
Einen über zehn Jahre alten Audi A2, einen Euro-4-Diesel mit niedrigem CO2-Ausstoß von 119 Gramm. Es wäre gut, ihn ein, zwei Jahre noch zu fahren und dann zu gucken, was auf dem Markt ist. Ich habe eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, da würde sich ein Elektroauto anbieten.

Ihr Nachfolger wird zwar erst nach der Wahl bestimmt, aber wo sehen Sie die klima- und umweltpolitischen Prioritäten für die Arbeit in der nächsten Legislaturperiode?
Natürlich braucht es den Kohleausstieg, sozial abgefedert. Der Deckel für den Ausbau der Erneuerbaren muss weg. Bürger*innen und Kommunen vor Ort müssen an der Energiewende teilhaben können, das wollen wir gesetzlich festlegen. Bei der energetischen Gebäudesanierung müssen wir deutlich vorankommen und dabei die Mieter*innen schützen.

Die Forderung nach einem Kohleausstieg ist in Ihrer Fraktion längst Konsens. Vor zehn Jahren, bei den Debatten um ein Kohlepapier, konnten Anhänger der West-Steinkohle und der Ost-Braunkohle dies noch verhindern. Ihnen wurde damals intern vorgeworfen, »wie die Rest-Grünen daherzukommen«. Ist es auch Ihr Verdienst, dass sich die Partei derart gewandelt hat?
Es gab immer einen festen Kreis von LINKEN, dem das Ökothema wichtig ist. Und es werden immer mehr. Natürlich habe auch ich mich stark eingesetzt. Wir haben über die Jahre viel diskutiert über Ökologie und Klimawandel auf der einen Seite sowie Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit auf der anderen. Die Klimakatastrophe ist eine existenzielle Frage für Menschen im globalen Süden. Wir müssen jetzt Verantwortung für die Verschmutzung übernehmen, die unsere Generation angerichtet hat. Das ist nicht einfach in einem kapitalistischen System, das die Ausbeutung der Natur weiter vorantreibt. Bundestagsfraktion und Partei stehen heute klar hinter dem Kohleausstieg bis 2035.

Wie lange wird es noch dauern, bis dies auch in Brandenburg gilt?
Es gibt viele ökologisch engagierte Genoss*innen dort, die längst diesem Weg folgen. Einigen wünsche ich aber den Mut, mehr gegen die kohlefreundliche SPD zu opponieren.

Aber es ist in der Bundestags-Opposition sicher auch viel einfacher, für einen Braunkohleausstieg zu sein, als in Regierungsverantwortung in Brandenburg, wo viele Leute Angst um ihre Existenz haben.
Als frühere Betriebsrätin kann ich die Ängste sehr gut verstehen. Allerdings werden diese auch geschürt gerade von der Bergbaugewerkschaft, die ihre Felle davonschwimmen sieht. Politik ist nicht immer einfach, und man muss viel mit den Menschen reden. Es braucht den Willen zur Veränderung, auch Ideen und Geld - wir fordern jährlich 250 Millionen Euro für Strukturprogramme. Wir brauchen gute, zukunftsfähige Arbeit vor Ort.

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