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Ich beginne zu glauben, dass Žižek recht hat
Die Krise der Linken: »It Can’t Happen Here« von Sinclair Lewis am Deutschen Theater Berlin
Jahre des enthemmten Sozialabbaus entpuppen sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm rechter Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist wieder da. Die Krise der sogenannten Mitte-links-Politik, einer Politik, die das Wort Gerechtigkeit so gekidnappt hat wie einst der Marktradikalismus die Freiheit, entwickelt sich zur Selbstbewusstseinskrise der politischen Linken.
Zugegeben: Das ist eigentlich ein viel zu trockener Einstieg in eine Theaterkritik. Er variiert den ersten Absatz eines aufsehenerregenden Artikels aus dem Jahr 2011, den der damalige FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher unter der Überschrift »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat« veröffentlichte. Weil alle bürgerlichen Parteien den Finanzmarktkapitalismus unterstützten, lobte er die ökonomische Analyse der Linken. Was Schirrmacher nicht berücksichtigte: Es waren vor allem sich selbst als links verstehende Kräfte, die seit den neunziger Jahren viele Menschen in Armut gestürzt haben. Währenddessen beschäftigte sich der klügere Teil der gesellschaftlichen Linken nicht mit der Popularisierung der ökonomischen Analyse, sondern verausgabte sich fast ausschließlich im Antidiskriminierungsaktivismus.
Bald ist es ein Jahr her, dass Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewann. In Frankreich wäre vor wenigen Monaten fast die rechte Marine Le Pen zur Staatspräsidentin geworden. In vielen europäischen Ländern floriert das rechte Spiel mit der Angst. Auch in Deutschland wird am kommenden Sonntag mit der AfD erstmals seit Jahrzehnten eine Partei weit rechts der CDU/CSU in ein bundesdeutsches Parlament einziehen.
Da trifft es sich gut, dass das Deutsche Theater Berlin am Mittwochabend unter der Regie des 32-jährigen Christopher Rüping mit einer Bühnenfassung von »It Can’t Happen Here« (auf Deutsch: Das ist bei uns nicht möglich) in die Spielzeit gestartet ist. 1935 erschien dieser 450 Seiten umfassende Roman. Darin schildert der US-amerikanische Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis den Aufstieg des Demagogen Buzz Windrip vom Sprücheklopfer zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und Mussolinis in Italien wollte Lewis der Haltung entgegenwirken, ein Sieg des Faschismus sei in den USA undenkbar.
2016/17 gruben hüben wie drüben Verlage das Buch aus der Mottenkiste, um es unter Verweis auf Trump als brandaktuellen Krisenkommentar zu verkaufen. Was Lewis wohl dazu gesagt hätte, dass sein Werk für plumpe Hitler-Trump-Vergleiche herhalten muss? Man wird es nicht erfahren, denn der Autor starb 1951. Was sich aber sagen lässt: Die Inszenierung am DT steht prototypisch für das Totalversagen der kulturellen Linken, die inmitten des bedrohlichsten Aufschwungs der Rechten seit Langem nichts Besseres zu tun hat, als sich selbst zu beweihräuchern.
Das beginnt schon bei der Art, wie die beiden Hauptfiguren sich einführen. Der erste Auftritt gehört dem Journalisten Doremus Jessup (Camill Jamal), der ein Rednerpult gen Publikum ausrichtet und dann die demokratischen Grundwerte ebenso preist, wie er davor warnt, dass auch in den USA eintreten könne, was in Europa gerade vor sich gehe. Aus dem Zuschauerraum heraus verspotten Lee Sarason (Michael Goldberg) und Haik (Benjamin Lillie) dessen abgehobene Haltung und huldigen einem Kandidaten, der wisse, was das Volk wolle. Unter pathetischen Klängen öffnet sich der Vorhang, und im grellen Licht wird eine messianische Gestalt sichtbar. Im Raubtieranzug schreitet Buzz Windrip (Felix Goeser) die Showtreppe hinab und präsentiert sein Programm für die Zeit nach dem Wahlsieg als musikalische Nummernrevue.
Jetzt gehört die nach hinten weit offene Bühne fast nur noch dem Blender, der ein bedingungsloses Grundeinkommen, Steuererhöhungen für Reiche und die Freiheit des Glaubens verspricht. Seine Anhänger sind nichts als Witzfiguren. Da wäre der Gärtner Shad Ladue (Matze Pröllochs), der Jessups Tochter Sissy (Wiebke Mollenhauer) sabbernd begafft und ansonsten nie den Mund aufmacht.
Und da wäre der Verlobte derselben. Julian, ebenfalls gespielt von Wiebke Mollenhauer, ist Windrip-Fan. Damit das auch das saturierte Großstadtpublikum versteht, lässt Regisseur Rüping diese Figur in breitem Sächsisch reden und durch die anderen unter johlendem Quieken der Bessermenschenzuschauer in einem Running Gag unablässig »Justin« nennen. In Deutschland ist das ein Klischeename für Leute aus der sogenannten Unterschicht. Wäre den Zuschauern auch dann vor Lachen das Herz aufgegangen, hätte Rüping einen afroamerikanischen Schauspieler eine Figur mit dem Kosenamen »Jimbo« spielen und sie von den anderen als »Bimbo« bezeichnen lassen?
Nach Windrips Wahlsieg bezieht das Ensemble sein Publikum aktiv ein. Der Gewinner holt 30 Zuschauer auf die Bühne und serviert frische Hotdogs. Ein Kniff, der (sicher unbeabsichtigt) die Anwesenden entlarvt: Offenbar fürchtete Rüping, mit Fleisch nicht genug Leute animieren zu können, denn die Hotdogs sind vegetarisch! Am Ende der Party fährt die Feuerwand herunter, und Jessup tritt noch einmal auf. Während die Zuschauer durch die Tür über die Bühne zu ihrem Platz zurückkehren, verliest Jessup die Schicksale der durch das Regime verfolgten Andersdenkenden.
Die USA verwandeln sich in Rekordtempo in einen faschistischen Staat. Der Rest ist Intrigantenstadl: Windrips Berater knallt den Boss ab und wird dessen Nachfolger, dann ermordet der Militärführer den neuen Staatschef. Der Terror wird schlimmer, bis zwei aus dem Publikum gefischte Frauen den finalen Tyrannenmord vollziehen.
So platt funktioniert politisches Theater in Zeiten des Rechtsrucks: Dem Betrieb fällt nichts anderes ein, als alle AfD-Sympathisanten automatisch zu brummdummen Nazis zu erklären, denen nur mit Hohn zu begegnen ist. Alles wäre wieder gut, so die Aussage, wenn diese Trottel verdammt noch mal in den Merkel-Schulz-Özdemir-Lindner-Schoß fänden. Keiner dieser vier und erst recht niemand aus deren Dunstkreis will Hartz IV oder die Leiharbeit abschaffen. Sie stehen für »Ehe für alle«, Frauenquote und Religionsfreiheit, aber eben auch für Gentrifizierung, Kinderarmut, Altersarmut und die Rückkehr zum Kalten Krieg.
Kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 sorgte der Philosoph Slavoj Žižek für Wirbel, als er mitteilte, er würde Donald Trump seine Stimme geben, wäre er wahlberechtigt. Gefahr sieht er nicht in Trump, sondern in dem, was er den »demokratischen Wohlfühlkonsens« von Hillary Clinton nennt. Für Žižek ist auch Barack Obamas »Yes We Can« heute in erster Linie die begrüßenswerte Erfüllung kultureller Forderungen wie die Gleichberechtigung von Homosexuellen und Transgender, deren Kehrseite die Stabilisierung der sozialen Ungleichheit weltweit ist. Selbst Žižek sonst Wohlgesinnte taten das als billige Provokation eines eigentlich intelligenten Mannes ab. Angesichts der linken Selbstgefälligkeit sollten sie ihre Sichtweise überdenken.
Während der gesamten zweieinhalb Stunden benennt Rüpings Inszenierung das Publikum als Opfer - besonders grotesk in der erwähnten Szene, in der Jessup die Repressionen des Präsidenten anprangert. Es reicht Rüping, zwei Pappkameraden als Verführte auszustellen und ansonsten nur den irren Innenraum der Macht zu zeigen. Damit ignoriert die Aufführung die von Slavoj Žižek angemahnte Dialektik der offenen Gesellschaft. Wie deren schlechte Seite sich bekämpfen ließe, ohne ihre gute Seite preiszugeben, das ist die große Frage, der sich dieser Theaterabend leider komplett verweigert.
Nächste Vorstellungen: 24. September; 7., 21., 28. Oktober
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