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Konzentration auf der Schiene
Die geplante Fusion von Siemens und Alstom setzt kleinere Anbieter in Europa unter Druck
Als die Kanzlerin vor gut einem Jahr zum Staatsbesuch in China weilte, wurde sie auch vom damaligen Deutsche-Bahn-Chef begleitet. Rüdiger Grube unterzeichnete nicht nur einen Beratervertrag beim Ausbau des Nahverkehrs rund um die Millionenstadt Dalian, sondern vertiefte auch die Beziehungen zum chinesischen Schienenfahrzeugkonzern CRRC. Die DB hat ein Einkaufsbüro in Peking eröffnet und ordert bisher Komponenten wie Radsätze, in einigen Jahren könnten es auch ganze Züge sein, wie die Bahn ganz offen ankündigt.
Dies ließ im fernen Deutschland bei Siemens die Warnglocken läuten. Endgültig vorbei scheinen die Zeiten, als Bahntechnikhersteller in den heimischen Staatsbahnen sichere Hauptkunden hatten. Die Liberalisierung des Schienenverkehrs in der EU, die neue Anbieter auf die Schiene brachten, setzte auch Lieferanten und Dienstleister unter verstärkten Wettbewerbsdruck. Und seit den jahrelangen Verzögerungen und technischen Problemen bei einem Milliardenauftrag für neue ICE-3-Züge schaut sich die DB ernsthaft nach Alternativen zu Siemens auch außerhalb von Westeuropa um. Der neue Weltmarktführer CRRC mit seinen riesigen Produktionskapazitäten und niedrigen Preisen, der offenbar auch qualitativ aufholt, scheint eine Option zu sein.
Diese Entwicklung gab wohl den Ausschlag dafür, dass anders als noch im Jahr 2014 Verhandlungen von Siemens über eine Allianz mit dem französischen TGV-Hersteller Alstom zu einem Ergebnis kommen. Am Dienstagabend unterzeichneten die beiden Konzerne eine Absichtserklärung über die Zusammenlegung ihrer Mobilitätsgeschäfte im Rahmen einer »Fusion unter Gleichen«. Die Zentrale soll demnach im Großraum Paris angesiedelt sein, Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge neuer Vorstandschef werden. Das Gemeinschaftsunternehmen würde mit einem Umsatz von 15,2 Milliarden Euro und rund 62 000 Mitarbeitern mit großem Vorsprung Platz 2 der Bahntechnikhersteller weltweit einnehmen. Der Deal soll bis Ende 2018 über die Bühne gehen - vorausgesetzt, die Wettbewerbsbehörden stimmen zu.
Zuvor hatte der Siemens-Aufsichtsrat grünes Licht gegeben. Auch die Arbeitnehmervertreter sind dafür: »Der Zusammenschluss führt zu einem europäischen Konzern mit guten Erfolgschancen im harten globalen Wettbewerb«, erklärte der Bezirksleiter der IG Metall Bayern, Jürgen Wechsler. Es sei sichergestellt, dass »die Beschäftigten dabei keine Nachteile erleiden«. So wurden bereits Standortgarantien und Kündigungsverzicht für vier Jahre, der Erhalt der Mitbestimmung sowie bisheriger Sozialstandards in Deutschland und Frankreich vereinbart.
Ob dies von Dauer sein wird? Die Konzerne jedenfalls erwarten langfristig einen Anstieg der Umsatzrendite von zuletzt 8 auf 11 bis 14 Prozent sowie Einspareffekte von 470 Millionen Euro jährlich. Alstom-Chef Poupart-Lafarge versuchte am Mittwoch Befürchtungen zu zerstreuen, in dem er sagte, man wolle künftig zwar eine gemeinsame globale Plattform für Hochgeschwindigkeitszüge entwickeln, wobei aber die Endprodukte unterschiedlich bleiben würden.
Tatsächlich geht es bei Zügen nicht um Ware von der Stange, sondern um technisch komplexe Produkte, die individuell nach den Vorstellungen der Großabnehmer hergestellt werden. Wie der Flugzeugbau gehört die Bahntechnik zu den kapitalintensivsten Branchen, bei der nur ganz wenige Anbieter dominieren und finanziell wie technisch in der Lage sind, Innovationen zu entwickeln.
Noch stärker unter Druck dürften nun wohl die kleineren Konkurrenten in Europa geraten, wo sich asiatische Anbieter wie CRRC, Hyundai und Hitachi bisher wegen den aufwendigen europäischen Zulassungsverfahren bisher schwer tun. Dazu zählt die spanische CAF und besonders die kanadische Bombardier, deren angeschlagene Bahntechniksparte in Deutschland angesiedelt ist. Dort soll mehr als jede vierte Stelle in den kommenden Jahren abgebaut werden, wobei Betriebsräte und Politik immerhin durchsetzten, dass es keine betriebsbedingte Kündigungen geben soll.
Siemens-Großkunde Deutsche Bahn sieht die geplante Fusion hingegen positiv: Sie bedeute eine Internationalisierung, die neuen Schwung in den Eisenbahnmarkt bringen und zu mehr Produktinnovationen führen könne. Kommentar Seite 4
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