Musik zur Zeit

Alte und neue Hipster: Pere Ubu

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Knarzen, Grollen, Rauschen, Sägen. Als würde man umflutet von Geräuschen, wie sie entstehen, wenn Kühlschränke, Autos und verrostete Rohre sich aneinander reiben, während nebenan sich Bohrmaschinen durch Stahlwände fräsen. Als würde die Welt, die einen umgibt, sich plötzlich verdunkeln und anthrazitfarben werden und nur noch aus einem einzigen großen, freudlos vor sich hinbrummenden und -knatternden Maschinenpark bestehen, der alles menschliche Leben ausgelöscht hat. Musik zur Zeit also, die den gar nicht mehr so schleichenden, sondern offensichtlich gewordenen Zerfall unserer Welt und das herrschende Chaos kommentiert: Wo der Mensch nichts mehr bedeutet, nur noch Ressource ist und Anhängsel der Maschinenwelt, ist er zum Verstummen verurteilt. Wenn man das Verbleibende, den Rest in Töne übersetzt, kommt so etwas wie Ben Frosts Album »The Centre Cannot Hold« dabei heraus. Für Freunde harscher Noise-Klänge ist diese Musik wie gemacht: Es ist nichts als Schmerz / sagt die Angst / Es ist was es ist / sagt die Liebe. Und wenn man ganz genau hinhört, schimmert unter all dem durch die Schwärze flirrenden Krach sogar das eine oder andere zarte Melodiefragment keck hervor, als wollte es andeuten, dass Hoffnung selbst noch in der menschenfeindlichsten Gegenwart aufkeimt.

Kommen wir aber nun von Ben Frost, dem bärtigen Junghipster mit Schiffchenfrisur und einem Hang zu dystopischer Weltdeutung, zu David Thomas, dem bärtigen Althipster mit Altherrenhut und einem Hang zu dystopischer Weltdeutung: Der schlecht gelaunte 64-Jährige ist jetzt seit über 40 Jahren Kopf und Sänger der immer noch existierenden US-amerikanischen Prä- und Art-Punk-Band Pere Ubu, deren an geistesverwandten Künstlern wie Captain Beefheart geschulte Musik, die stets an der Zukunft des noch Ungehörten orientiert war, sich schon immer aus den verschiedensten Quellen (Jazz, Punk, Chanson, Rock) bedient und hernach eine Art Amalgam daraus bildet. Was ebenso, auch auf der neuen Veröffentlichung der Band, bis heute bleibt, sind die Themen, die der bärbeißige David Thomas mit dem ihm eigenen Sarkasmus immer wieder neu verhandelt: Angst, Einsamkeit, das Unbehagen in der Moderne, Scheitern, Tod. Auch hier also ein nicht gerade fröhlicher Blick auf unsere Gegenwart. Wie gewohnt nölt und näselt sich Thomas hier durch windschief klingende und zuweilen eine Spur ins Atonale kippende Songs, die wirken, als seien sie aus den 80er Jahren in unsere Gegenwart herübergerettet worden. Das neue Album habe er ursprünglich »Bruce Springsteen is an Asshole« nennen wollen, sagt Thomas. Dann habe er den Satz geändert zu »Robert DeNiro is an Asshole«, habe dann aber beschlossen, dass auch dieser Titel keine gute Idee sei.

Konzert: Ben Frost, 6.10., 20.30 Uhr, Funkhaus Berlin. Ben Frost: »The Centre Cannot Hold« (Mute / Rough Trade); Pere Ubu: »20 Years In A Montana Missile Silo« (Cherry Red / Rough Trade)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -