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Die Demokratie erstickt
Peter Schaar zeigt auf, wie westliche Demokratien im Kampf gegen den Terror ihre Grundwerte verraten
Mit dem Terror wuchs die Macht von Polizei, Geheimdiensten und staatlichen Behörden in nie dagewesener Weise. Kaum ein Jahr seit den Anschlägen am 11. September 2001 in New York, ohne dass auch in Deutschland mindestens ein Gesetz verschärft wurde - ohne größeren Aufschrei, durchsetzbar allein durch das Versprechen von mehr Sicherheit. Doch es ist eine »Trügerische Sicherheit«, wie der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sein Buch über 16 Jahre Anti-Terror-Kampf betitelt.
Peter Schaar: Trügerische Sicherheit. Wie die Terrorangst uns in den Ausnahmezustand treibt.
Edition Körber, 285 S., br., 17 €
Viele dieser Gesetzesverschärfungen fielen in die zehn Jahre seiner Amtszeit, die 2013 endete. Schaar beschränkt sich nun nicht mehr auf die Aspekte, die mit dem Schutz persönlicher Daten zusammenhängen. Vielschichtig und umfassend beleuchtet er in seinem Buch die staatliche Aufrüstung nach den blutigen Anschlägen der vergangenen Jahre, sucht nach den Ursachen für Radikalisierungen und zeichnet nach, wie die westlichen Demokratien im Kampf gegen den Terror ihre Grundwerte verraten. »Terrorangst verschiebt das politische Koordinatensystem in Richtung autoritärer Lösungen und entzieht der Demokratie die Luft zum Atmen«, schreibt Schaar.
Sein wichtigstes Gegenargument ist die Erfolglosigkeit: Trotz vieler neuer Befugnisse konnten die Sicherheitsbehörden weder die Anschläge von Madrid und Paris noch von Brüssel, London und Berlin verhindern. Für Schaar ein Hinweis, dass die schiere Masse der gesammelten Daten die Entdeckung von Tätern sogar erschwert. Dennoch wird der eingeschlagene Weg kaum grundsätzlich in Frage gestellt. Selbst wenn - wie beim Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt - das Behördenversagen offensichtlich ist, werde »die Gesetzgebungsmaschine angeworfen«, moniert Schaar. Dabei habe vieles, was unter dem Schock neuer Gewalttaten verabschiedet wird, nicht einmal im Ansatz etwas damit zu tun. Schaar kann jedenfalls nicht erkennen, wie mehr Videoüberwachung, Polizisten mit Bodycams oder neue Lesesysteme für Kfz-Kennzeichen den Attentäter Anis Amri hätten stoppen sollen.
All das hat die Große Koalition in diesem Jahr verabschiedet, kaum einer hat es bemerkt, kaum einer kritisch nachgehakt. Schaar interessiert sich deshalb auch für die psychologische Seite der Sicherheitshysterie, diskutiert, warum Terror so viel mehr Angst erzeugt als riskante Sportarten oder die Teilnahme am Straßenverkehr.
Aufschlussreich ist sein Blick in die USA, die Türkei und nach Frankreich, wo der einmal verhängte Ausnahmezustand immer wieder verlängert wurde. Es zeigt, welche Folgen die Überwachung im Alltag hat und wie eng verflochten die Bundesrepublik mit ausländischen Sicherheitssystemen ist. Detailliert weist Schaar nach, wie sich führende Politiker von Frank-Walter Steinmeier bis Wolfgang Schäuble mit schuldig gemacht haben an CIA-Verschleppungen und Folter in US-Gefängnissen. Doch der Skandal verpuffte.
Trotz seiner Beunruhigung schreibt Schaar sachlich und widersteht dem Impuls, die Kriegsrhetorik der anderen mit eigener verbaler Aufrüstung zu beantworten. Er wählt das Argument, nicht die Pauke, und trifft damit einen Ton, der in der Diskussion über heutige Terrorgefahren generell wünschenswert wäre. Welche Alternativen es zur autoritären Karte gibt, schreibt er auch, ein wenig gequetscht am Ende. Die Seiten reichen jedoch, um klar zu machen, dass die Instrumente gänzlich andere wären.
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