«Studentification» im Wedding

Die Gentrifizierung ganzer Stadtteile beginnt mit dem Zuzug der Studenten. Davon profitiert ein Viertel, es steigen aber auch die Mieten. Von Isidor Grim

  • Isidor Grim
  • Lesedauer: 5 Min.

Ick bin dafür, wenn jetzt die janzen Studentinnen kommen. Überhaupt wird, auch in unserm Haus, allet neu jemacht. Aber brauchen die so viel Komfort? Die zahlen doch original das Doppelte, wat ick zahle, und ick zahle noch 216 Euro.« Gert Siebert wohnt seit 25 Jahren im Berliner Stadtteil Wedding, nahe der Müllerstraße unweit des Rathausplatzes, der gerade städtebaulich erneuert wird.

Bei ihm gegenüber wurde gerade ein siebenstöckiger Neubau mit kubisch versetzten Eckfenstern und Studentenapartments eröffnet. Nicht weit entfernt, auf dem Grundstück des abgerissenen Stadtbads der Gerichtstraße, ist auch ein riesiger Komplex mit Studentenwohnungen im Bau. Beide gehören privaten Immobilienunternehmen. In die Amrumer Straße, hinter der Beuth-Hochschule, kamen Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, und Bezirksstadtrat Ephraim Gothe Ende September zur feierlichen Grundsteinlegung eines öffentlich finanzierten Studierendenwohnheims.

»Wir bauen hier an der Müllerstraße ein Objekt mit 163 Betten, hauptsächlich sogenannte Mikro-Apartments mit 18 bis 22 Quadratmetern ab 510 Euro im Monat. Berlin als Studentenstandort ist schon mal generell interessant. Wir sprechen gern von der Versorgungslücke, die Differenz zwischen vorhandenen Studienplätzen und Schlafmöglichkeiten - in Berlin über 100 000 Plätze! Der Wedding ist attraktiv, weil er sehr sehr zentral liegt, seit der Bezirksreform gehört er zu Mitte, und alle Hochschulen sind gut erreichbar.« So präsentierte Heiko Henneberg, Geschäftsführer der Firma YOUNIQ, das Haus in der Müllerstraße, während außen noch die letzten Ziegelsteinpaneele angebracht wurden.

Was Paris, London, Mailand lange schon erleiden, hat Berlin im Schnelldurchlauf durchgemacht: Verdrängung durch Gentrifizierung, die sogenannte Aufwertung von Stadtvierteln durch Bau, Sanierung und Bevölkerungsaustausch. Internationale Investoren gesellen sich der alten, nicht minder unsympathischen westdeutschen und Westberliner Eigentümerkaste zu und krempeln den Wedding um. »Studentification« - die Umwandlung von Wohnraum in Studentenwohnungen und von Stadtraum in Studentenviertel - ist ein klares Signal im Gentrifizierungsprozess.

Der ehemals Rote Wedding, wo 1933 noch 40 Prozent die KPD wählten, türkisch geprägtes Gastarbeiterviertel seit den 1960er Jahren und lange preiswerter Wohnbezirk in der Einflugschneise des Tegeler Flughafens, ist jetzt reif für einen kompletten Bevölkerungsaustausch. Der handgemalte Slogan aus den 1990er Jahren »Fuck Yuppis, Wedding bleibt dreckig!« blieb ein unfrommer Wunsch und läutete den Wandel ein. Zunächst wurde der Stadtteil aufgefüllt: In den letzten fünf Jahren nahm die Bevölkerung um fast 7000 auf rund 85 000 Einwohner zu. Drei Viertel dieses Zuwachses bestehen aus jüngeren Erwachsenen (27 bis 45 Jahre), und von diesen 5000 sind viele ausländische Studierende oder Berufsanfänger. Die Sparkassenleitung in der Müllerstraße hat es bemerkt: Die Hälfte der Kontoeröffnungen wird inzwischen auf Englisch durchgeführt.

»Normalerweise kostet in Berlin ein WG-Zimmer 400 Euro und ein Zimmer im Studentenwohnheim 350 Euro im Monat, doch die genannten Luxusprojekte liegen ein Vielfaches darüber«, erläutert Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. »Das Studierendenwerk hat eine riesige Warteliste, so bleibt Studierenden nur der freie Wohnungsmarkt, wo sie mit allen konkurrieren, die auf der Suche nach günstigen kleinen Wohnungen sind. Es gibt auch Vermieter, die Altbauwohnungen aufteilen und einzelne Zimmer für 400 Euro vermieten. Unter solchen Bedingungen ist es natürlich schwierig, die geltende Mietpreisbremse anzuwenden.«

Zrdavko Lozar ist so ein Vermieter, dem ein ganzes Mietshaus nicht weit vom Goethepark gehört. Fast alle Wohnungen sind an Studenten vermietete Wohngemeinschaften, zimmerweise für 350 Euro Monatsmiete scheinbar günstig. Er ist kein anonymer Investor, sondern wohnt auch selbst im Haus und kümmert sich um alles und jeden. Im neuen kommunalen Studentenwohnheim der Gewobag in der benachbarten Amrumer Straße, dem weitere Projekte mit bis zu 5000 Schlafplätzen folgen sollen, sollen es »bezahlbare Mieten« werden. Dort gibt es sinnvollerweise Zimmer in Zweier- bis Siebener-WGs.

Der Reiseführer Lonely Planet bescheinigt dem Wedding »Prägentrifizierungsauthentizität«, und auch jüngste Entwicklungen wie die Übernahme der Uferhallen durch eine Investorengruppe um einen der Samwer-Brüder, dem Zalando gehört, deuten darauf hin, dass die IT-Branche mit ihrem Bedarf an jungen flexiblen Kräften zum Sprung in den Bezirk ansetzt.

So schön das neue studentische Flair im Stadtteil anmutet, so verhängnisvoll wird es langsam für seine Einwohner. Um den Gesundbrunnen sind die Mieten in einem Jahr um 21 Prozent gestiegen. Ein weiterer Verdrängungsfaktor droht immer mehr Mietern, die in parzellierten Häusern mit lauter neuen Eigentümern wohnen - ihr Kündigungsschutz hält bei Eigenbedarf bis zu acht Jahren, dann müssen sie raus.

Wie Andrej Holm, ehemaliger Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Landesregierung, mehrfach betonte, sind es eben nicht nur Marktkräfte, die hier wirken, sondern es ist ein politisch gesteuerter Prozess. »Es ist ein hochreguliertes System von Steuerabschreibungsregeln, von Fördergeldern, von Baugesetzen, Mietrecht, Denkmalschutz usw. Stadtpolitiken können geeignet sein, Gentrification zu fördern, wenn ich das Mietrecht liberalisiere, Investitionsanreize schaffe. Sie können aber den Verdrängungsprozess auch bremsen. Das geht, indem ich in bestimmten Vierteln das Wohngeld pauschal erhöhe oder die Mieten tatsächlich einfriere.«

Milieuschutz wird im Wedding schon seit Jahren diskutiert, doch wie ernst ist es der Stadt damit? »Die Möglichkeiten, die Mieten mit der Verordnung zum Milieuschutz zu begrenzen, sind eingeschränkt«, warnte Mittes Baustadtrat Carsten Spallek schon mal im Voraus. Luxusobjekte wie das Mehrfamilienhäuschen neben dem Silent Green Kulturquartier im umfunktionierten Krematorium treiben gleich mal den Mietspiegel für alle ein bisschen in die Höhe.

Es käme jetzt darauf an, die Nachbarschaftsinitiativen zu politisieren und aus ihrer Caffè-Latte-Gemütlichkeit herauszuholen, der Rentneraufstand, wie ihn der Kabarettist Georg Schramm stets forderte, wäre ein Träumchen. Doch es wird schwierig. die neue Studentengeneration im Wedding, die auch Gert Sieberts Haus bewohnt, hat ihre Wurzeln woanders. Sie ist die neue mobile Blue-Collar-Generation, den Kopf in der Cloud, kleinbürgerlich, fügsam, eigenbrötlerisch. Die für sie errungenen günstigeren Mieten nehmen sie gern an, doch sie werden Wedding, wie Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg zuvor, als leere Hülle zurücklassen.

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