- Politik
- Unabhängigkeitsstreit in Katalonien
Spanien setzt auf Inhaftierung statt auf Dialog
Untersuchungshaft für zwei Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung verhängt
Es war kein Zufall, dass am Montag um 10 Uhr, als das spanische Ultimatum gegen Katalonien auslief, die beiden Präsidenten der großen katalanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Chef der Regionalpolizei vor den Nationalen Gerichtshof in Madrid geladen waren. Ihnen wird zum zweiten Mal »Aufruhr« vorgeworfen, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Nachdem der katalanische Regierungschef nicht eingeknickt war und weiter auf Dialog zur Lösung der Krise setzt, war es auch kein Zufall, dass die Richterin Carmen Lamela, auf Antrag der Staatsanwaltschaft nun den Präsidenten des Katalanischen Nationalkongresses, Jordi Sànchez, und den Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural, Jordi Cuixart, inhaftieren ließ.
Den beiden »Jordis« wird vorgeworfen, die Bevölkerung am 20. September zu den katalanischen Ministerien mobilisiert zu haben. Zehntausende gingen damals gegen die Razzien und die Festnahmen von hohen Beamten auf die Straße. Das wertet Lamela als »Aufruhr«, also als »Erhebung gegen die Autorität«. Doch dafür muss »gemeinschaftlich und gewalttätig« vorgegangen werden. Davon kann in diesem Fall keine Rede sein, denn die katalanischen Proteste sind friedlich. Stets haben sich die nun betroffenen Aktivisten gegen Gewalt ausgesprochen. In einer Videobotschaft, die vor der Inhaftierung aufgenommen wurde, bekräftigen sie diese Haltung.
Als Vorwand für die Verhaftungen zieht Lamela die Beschädigung von drei Jeeps der paramilitärischen Guardia Civil bei der Demonstration heran, als einige der rund 40.000 Menschen auf die Fahrzeuge stiegen. Sànchez und Cuixart seien die »Antreiber« gewesen, heißt es aus Madrid. Die Richterin erklärt weiter, dass es sich dabei nicht um einen »isolierten und zufälligen Protest« handele. Dahinter stehe vielmehr eine »komplexe Strategie«, an der beide Aktivisten mitwirkten. Es gehe um einen »Fahrplan, um die Unabhängigkeit von Katalonien zu erreichen«, worin das Referendum ein zentraler Bestandteil sei.
So richtet sich Lamela gegen das Referendum. Die Vorgänge am Wirtschaftsministerium sind nur ein Aufhänger. Letztlich geht es darum, dass die spanische Regierung und ihre Sicherheitskräfte am 1. Oktober von den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern vorgeführt wurden. Madrid hatte stets behauptet, dass es kein Referendum geben werde. Doch die Abstimmung fand statt. Auch mit Gewalt konnten Guardia Civil und Nationalpolizei nur knapp 100 von mehr als 2000 Wahllokalen schließen und die Urnen beschlagnahmen. Spanien, das in zehn Jahren der Gesprächsverweigerung die heute angespannte Situation erst geschaffen hat, setzt auf Eskalation, statt die Lage durch Vermittlung und Dialog zu entschärfen, wie es von vielen Beobachtern gefordert wird.
Die Zentralregierung in Madrid hat ein neues Ultimatum bis Donnerstag gestellt: Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont müsse bis Donnerstag um 10.00 Uhr »mit aller Klarheit, die die Bürger und das Gesetz verlangen«, seine Position zur Unabhängigkeit Kataloniens kundtun. Dann soll damit begonnen werden, die katalanische Autonomie auszusetzen. Weitere Verhaftungen sind nicht auszuschließen. Möglich ist, dass darunter auch Puigdemont ist. Der Chef der katalanischen Regionalpolizei, Josep Lluís Trapero, blieb am Montag unter Auflagen auf freiem Fuß. Er musste eine Kaution von 40.000 Euro hinterlegen, seinen Pass abgeben, darf Spanien nicht verlassen und muss sich regelmäßig bei Gericht melden.
Die Reaktionen auf die neuen Verhaftungen fallen deutlich aus. Bereits in der Nacht gab es sogenannte Caceroladas weit über Katalonien hinaus, um mit »Topfschlagen« gegen die Inhaftierungen zu protestieren. Am Dienstag sind in Katalonien Proteste geplant und um 12 Uhr soll die Arbeit niedergelegt werden. Für den Abend sind große Demonstrationen angekündigt. Auch ein Generalstreik wird debattiert.
Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, sprach nach den neuen Verhaftungen von »Barbarei«. Sie nennt das Vorgehen Madrids einen »großen Fehler« und sagte Sànchez und Cuixart »volle Unterstützung« zu. Der Chef der spanischen Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, erklärte, dass die »Korrupten« der regierenden Volkspartei (PP) frei seien, aber katalanische Unabhängigkeitsanhänger im Gefängnis säßen. »Die PP zerstört die demokratische Demokratie.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.