Der Anfang vom Ende

Christian Klemm über die Möglichkeiten für eine Minderheitenregierung nach der Bundestagswahl und die Folgen einer Jamaika-Koalition

Jamaika: Die Insel im Karibischen Meer wird in der Regel mit Sonne, weißem Sandstrand, Reggae, Marihuana und exklusivem Kaffee in Verbindung gebracht. Mit einem Leben also, das sich wesentlich von der täglichen Maloche im verregneten Deutschland unterscheidet. Doch unter der schwarz-gelb-grünen Flagge wird in den kommenden Wochen und Monaten nicht etwa das eine oder andere Pfeifchen gestopft, sondern knallhart geschuftet. Es geht darum, eine neue Bundesregierung auf die Beine zu stellen - und das wird schwer genug. Die SPD hat sich kurz nach der Bundestagswahl in die Opposition verabschiedet; eine Neuauflage der Großen Koalition wird es nicht geben. Jamaika ist also zum Regieren verdammt. Das Damoklesschwert der Neuwahl hängt über den Köpfen von Merkel, Seehofer, Lindner, Özdemir und Peter.

»Moment!«, werden einige Beobachter an dieser Stelle einwenden. Es gäbe noch die Möglichkeit, eine Minderheitenregierung mit wechselnden Mehrheiten zu bilden. Der Publizist Rudolf Walther zum Beispiel hat darauf verwiesen (»nd« vom 12.10.), die Politikwissenschaftlerin Maria Thürk ebenfalls (»nd« vom 13.10.). Dabei scheint eine stabile Politik unter diesen Voraussetzungen nur schwer vorstellbar. Und das ist vor allem dem Politikverständnis der bürgerlichen Parteien geschuldet.

Im Bundestag wird die Fraktionsdisziplin groß geschrieben. Nur in Ausnahmefällen wird diese aufgehoben - zum Beispiel bei der Abstimmung über die Präimplantationsdiagnostik. In der Regel sind die Abgeordneten an die Mehrheitsmeinung in der Fraktion gebunden. Nicht selten stimmen sie zähneknirschend für einen Vorstoß, den sie insgeheim ablehnen. So bei der Abstimmung über die Rente mit 67. Für diese faktische Kürzung der Altersbezüge stimmte ein Großteil der SPD-Fraktion. Dabei war die Maßnahme damals sowohl in der Fraktion als auch in der Partei höchst umstritten. Die sozialdemokratischen Führungsfiguren dagegen haben sie vehement verteidigt.

Wer eine Minderheitenregierung nach dem 24. September für möglich hält, der muss erklären, wo die Mehrheiten herkommen sollen. Ampel plus Linkspartei? Undenkbar. Schwarz-Gelb plus AfD? Zumindest im Moment nicht machbar. Ampel plus AfD? Auch unmöglich. Und Schwarz-Gelb plus LINKE? In diesem Leben nicht mehr. Mit Blick auf das Wahlergebnis ist der Vorstoß von Walther und Thürk also nicht mehr als ein gut gemeinter Hinweis ohne realistische Chance auf Umsetzung.

In dieser Woche haben die Jamaika-Sondierungen begonnen. Vor dem großen Geschacher macht man gute Miene zum bösen Spiel, posiert für die Kameras, tauscht Nettigkeiten aus. Dabei wird diese Koalition ein Experiment sein - eins, das bereits vor Jahren auf Landesebene zwar nicht in der Karibik, dafür aber in der Saar baden ging.

Angela Merkel steht spätestens seit der »Flüchtlingskrise« in den eigenen Reihen massiv unter Beschuss. Durch das gute Abschneiden der AfD bei den Bundestagswahlen (12,6 Prozent) ist die Kanzlerin zusätzlich angeschlagen. In den anstehenden Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen wird sie die CDU nicht weiter nach rechts drücken können, so wie viele ihrer Kritiker es von ihr erwarten. Sonst käme Jamaika nicht zustande. Als schwarz-gelb-grüne Kanzlerin wird sie die Konservativen in der Partei auch nicht besänftigen können. Ob Merkel dem Druck die Legislatur über standhält, ist offen.

In einer ähnlich misslichen Lage befindet sich Horst Seehofer. Er wird vor allem für das schlechte Abschneiden am 24. September (38,8 in Bayern) verantwortlich gemacht. Der CSU-Chef wird in den anstehenden Gesprächen auf eine Obergrenze für Flüchtlinge beharren. Die aber wird nicht durchzusetzen zu sein. Ein Gesichtsverlust für den »bayerischen Löwen«. Auch sein politischer Werdegang ist heute offener denn je.

An einen Jamaika-Urlaub erinnert man sich gerne. Merkel und Seehofer werden das nicht tun. Für sie könnte Jamaika der Anfang vom Ende sein.

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