Lachen, wenn’s zum Heulen ist
Fast ein Dreivierteljahr dauert die Gefangenschaft Deniz Yücels, des Berliner Türkei-Korrespondenten der »Welt«, nun schon. Seit Monaten sitzt er in Einzelhaft, und doch gibt es bisher weder eine Anklageschrift gegen ihn noch eine ernst zu nehmende Begründung des türkischen Regimes dafür, warum Yücel und zahlreiche andere deutsche und türkische Staatsbürger in Hochsicherheitsgefängnissen sitzen. »Gäbe es eine Anklageschrift, wüssten wir wenigstens, was die Anschuldigungen gegen Deniz sind, worauf sie beruhen und was die Beweise sind«, sagte Yücels Anwalt Veysel Ok am Freitag der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«.
Bereits seit Monaten entsteht der Eindruck, Erdoğan und der ihm willfährige Justiz- und Polizeiapparat lassen wahllos alle verhaften, die es wagen, sich kritisch über den türkischen Staatspräsidenten zu äußern, der wohl nicht grundlos eine ähnliche Vorliebe für geschmacklose großkarierte Sakkos hegt wie der künftige AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland.
Die Bundesregierung, seit Monaten dazu aufgefordert, der Geiselnahme und Einzelhaft Yücels ein Ende zu machen, stellt sich derweil taub. Weder will sie die Geschäfte deutscher Unternehmen mit dem »Irren vom Bosporus« (Martin Sonneborn, Europaparlamentarier) gefährden noch den sogenannten Flüchtlingsdeal, den sie mit dem türkischen Regime ausbaldowert hat.
Dominik Bauer vom bekannten Zeichnerduo Hauck & Bauer hat nun gemeinsam mit anderen eine Cartoon-Lesung zugunsten von Yücel organisiert. »Dass wir einen Abend lang Witze machen, finde ich ganz passend, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Deniz vom Istanbuler Haftrichter tatsächlich ein nacherzählter Witz zur Last gelegt wurde«, sagte Bauer dem Berliner Magazin »Tip«.
Und weiter: Es dürften »keine deutschen Gelder mehr an die Türkei« fließen, »solange deutsche Bürger dort ohne Grund gefangen gehalten werden. Und neben der Politik darf sich gerne auch die deutsche Wirtschaft für Menschenrechte einsetzen, z.B. ein so wichtiger Partner Erdoğans wie die Firma Siemens.«
Ihre Erdoğan-Witze vorlesen und ihre Cartoons zeigen werden heute neben anderen die Zeichnerinnen und Zeichner Flix, Til Mette, Katharina Greve, Rattelschneck, Hannes Richert und Miriam Wurster. Die Cartoon-Gala ebenso kenntnisreich wie unparteiisch moderieren wird der umstrittene nd-Kolumnist und ehemalige »Titanic«-Chefredakteur Leo Fischer. Es wird also sehr lustig, aber auch ein bisschen traurig werden. tbl
Cartoon-Lesung: »Deniz raus!«, 21. Oktober, 18 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2, Treptow
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.