Gott zu Ehren und dem Teufel zu Trotz

Die Säkularfeiern der Reformation vor 400, 300, 200 und 100 Jahren.

  • Günter Vogler
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Jahr 1617, in einer unruhigen Zeit, rüsteten sich die lutherischen und reformierten Kirchen im Reich, den 100. Jahrestag des Reformationsbeginns festlich zu begehen. An Martin Luther war schon öfters in besonderen Gottesdiensten erinnert worden, zum Beispiel anlässlich seines Geburts-, Tauf- oder Todestags. Nun aber wurde erstmals der vermeintliche Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 als Anlass zum Feiern gewählt und damit der »Reformationstag« kreiert.

Abraham Scultetus, Hofprediger des Pfälzer Kurfürsten in Heidelberg, rief in seiner Predigt am Neujahrstag 1617 in Erinnerung, dies sei das hundertste Jahr »von der Zeit an/ da der ewige allmächtige Gott unsere Vorfahren in gnaden angesehen/ und sie aus dem schrecklichen finsternuß deß Bapsthumbs gerissen/ und in das helle Licht deß Evangelions geführet hat«. Darum sei es angebracht, Gott für diese Wohltat zu danken.

Einige Monate später ersuchte die Wittenberger Theologische Fakultät den sächsischen Kurfürsten, aus diesem Anlass eine lokale Feier zu veranstalten. Der kursächsische Hof verfügte daraufhin, »Gott zu Ehren und dem Teufel zu Trotz« vom 31. Oktober bis 2. November Luthers »göttliches Handeln« zu würdigen. Der Reformator sollte als von Gott gesandter Prophet und die lutherische Kirche als Hort des wahren Glaubens gewürdigt werden. In der Kurpfalz bestand zudem Interesse an einer gemeinsamen Feier mit Kursachsen. Doch diese Absicht scheiterte an den konfessionspolitischen Differenzen, denn jeder der beidem Landesherren beanspruchte die führende Rolle - ein Konflikt, der in den 1618 beginnenden Dreißigjährigen Krieg hineingetragen wurde. Auch rief Papst Paul V. im Juni in der Tradition der römischen Jubeljahre ein Heiliges Jahr aus, so dass weitere Konflikte vorauszusehen waren.

Obwohl eine gemeinsame Feier der evangelischen Fürsten nicht zustande kam und von einer Tradition der Reformationsfeier noch keine Rede sein konnte, waren Weichen gestellt worden: Die Landesherren diktierten den Charakter und Inhalt der Veranstaltungen, die Drei-Tage-Feiern wurde später beibehalten, und mit der Konzentration auf die Person Luthers erfolgte eine Personalisierung der Reformation. Nur in Kursachsen wurde seit 1668 regelmäßig des Reformationsbeginns gedacht.

Die zweite Jahrhundertfeier 1717 fiel in eine Zeit kriegerischer Auseinandersetzungen, den Nordischen Krieg (1700 - 1721), in den auch deutsche Fürsten eingebunden waren. In den meisten protestantischen Territorien wurde der Reformationstag zwar an drei Tagen feierlich begangen, aber konfessionspolitische Differenzen legten es auch diesmal nahe, Zurückhaltung zu üben, um die katholischen Reichsstände nicht herauszufordern, zumal der sächsische Kurfürst inzwischen zum Katholizismus konvertiert war. Aufklärerisch beeinflusste Kreise polemisierten zudem gegen den Lutherkult und sahen in der Reformation eher einen Aufbruch, um das »finstere Mittelalter« zu überwinden und der Geistesfreiheit Raum zu schaffen. Im Rückblick konstatierte anlässlich des 200. Todestags Luthers der katholische Priester Johann Nicolaus Weißlinger, »daß alle Jubel-Predigten vom Jahr 1617 und 1717 mit ungemeinen Lobsprüchen dieses Manns überhäufet sind«.

100 Jahre später, im Jahr 1817, wurde das nun schon traditionelle dreitägige Gedenken an den Reformationsbeginn von der Abwerfung der napoleonischen Fremdherrschaft geprägt. Sichtbares Zeichen war am 18. Oktober das Wartburgfest der deutschen Burschenschaften. Luther wurde nun als deutscher Patriot und Vorbild gepriesen: »Burschen hat er uns erkohren,/ Zu vollenden solche That./ Auf das Wohl der sel’gen Brüder,/ Die durch Luthers Geist beseelt,/Ein Gebäude stürzen nieder,/ Wo sich Macht mit Nacht vermählt.«

Der Sieg über Napoleons Truppen förderte ein Gemeinschaftsbewusstsein, das in Luthers Choral »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen« ein Fundament zu haben schien. Das Ringen um bürgerliche und politische Freiheit begünstigte zudem eine nationale Interpretation der Reformation, die bald in nationalistische Schwärmerei ausartete, für die auch Luther in Anspruch genommen wurde. Anlässlich der Feiern zum 350. Jahrestag im Jahr 1883 ließ sich zum Beispiel der Historiker Heinrich von Treitschke zu einem fragwürdigen Vergleich hinreißen: »Aus den Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der alte Heldenmut der Germanen, der die Welt nicht flieht, sondern sie zu beherrschen sucht durch die Macht des sittlichen Willens«. Im Rückblick beklagte 1904 der kritische Theologe Albert Kalthoff: »Ein gut Stück Größenwahn steckt in den protestantischen Kirchen, ja das Reformationsfest scheint gerade dazu ausersehen, dass an ihm dieser Wahn seine jährliche Orgie feiert.«

Das bestätigte sich auf erschreckende Weise 1917: Als der Reformationstag bevorstand, war es nicht opportun zu jubeln. Deutschland befand sich im dritten Kriegsjahr und nach der verheerenden Schlacht von Sedan in einer kritischen Situation. Diejenigen, die angesichts des Ernstes der Lage ein »stilles Gedenken« anmahnten, wurden indes bald übertönt. Die für den 31. Oktober geplante große Feier in Wittenberg wurde zwar abgesagt, aber Luthers Choral »Ein feste Burg ist unser Gott« drang bis in die Schützengräben an den Fronten vor, und die Charakterisierung Luthers als Verkörperung des »deutschen Wesens«, des »wahren Deutschen« erlebte trotz kritischer Einwände eine Blütezeit. Der Heidelberger Theologe Hans von Schubert schrieb damals: »›Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt‹. Hei, wie singen unsere Jungen und Alten draußen vor dem Feinde und drinnen im Lande mit heiliger Begeisterung das alte vaterländische Bekenntnislied.«

Trotz der Reduzierung der Veranstaltungen wurden Festreden und Predigten in großer Zahl gehalten, vor allem aber literarische Formen genutzt. Den Buchmarkt überschwemmten Gedichte, Festspiele, Romane und historische Schriften, so dass von einer »gewaltigen Materialschlacht« die Rede war. »Zuviel Luther?« fragte denn auch nach dem Jubiläum der evangelische Theologe und linksliberale Politiker Martin Rade.

Der evangelische Theologe Gottfried Maron urteilte mit dem Blick auf das Jubiläum von 1917: »Diese unangefochtene Lutherbegeisterung, ja -euphorie hat etwas Beängstigendes, wenn nicht gar Bestürzendes. Sie nimmt überhaupt nicht zur Kenntnis, was sensibleren Geistern sehr wohl zu schaffen machte: daß das Lutherjahr mit seinen vielen falschen Tönen so etwas wie Luthermüdigkeit, ja Lutherüberdruß hervorgerufen haben könnte.«

Im Jahr 2017 geht es nicht um drei Tage des Feierns. Denn im Rahmen der »Lutherdekade« wurde seit 2008 auf ein »Reformationsjubiläum globalen Ausmaßes« (Thomas Kaufmann) hingearbeitet. Auf eine Bilanz dieses Jahrzehnts kann man gespannt sein.

Günter Vogler lehrte vier Jahrzehnte an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte der frühen Neuzeit; vom Gründungsmitglied der Thomas-Müntzer-Gesellschaft und Autor zahlreicher Publikationen zum Bauernkrieg und der Frühbürgerlichen Revolution erschien zuletzt, gemeinsam mit Siegfried Bräuer verfasst, die Biografie »Thomas Müntzer: Neu Ordnung machen in der Welt« (542 S., geb., 58 €).

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