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Revolution als Beziehung
Bini Adamczak über postrevolutionäre Depression und Notwendigkeiten für eine gelingende Revolution
Zum 100. Jahrestag der russischen Revolution wird wieder viel über den »Roten Oktober« diskutiert. Auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in Ihrem neuen Buch »Beziehungsweise Revolution« wird ein neuer Begriff in die Debatte geworfen: postrevolutionäre Depression. Was meinen Sie damit?
Mit postrevolutionärer Depression bezeichne ich eine rätselhafte Traurigkeit, von der viele russische Revolutionäre und Revolutionärinnen befallen waren. Sie waren traurig, dass die Revolution vorbei war. Die Jungen, weil sie sie verpasst hatten und die Älteren darüber, sie nicht länger erleben zu können. Diese Traurigkeit ist erklärenswert.
Sie beschäftigen sich in Ihrem neuen Buch nicht nur mit der Oktoberrevolution, sondern auch mit der Revolte von 1968 im Westen. Was für Gemeinsamkeiten oder Unterschiede gibt es da?
1917 wollten die Bolschewiki mit Hilfe des Staates die gesamte Gesellschaft transformieren. Die ’68er kämpften gegen eine Gesellschaft an, die sehr statisch und bürokratisch war. Es ging um Befreiung und Veränderung der Individuen. Beides, die Orientierung auf Totalität wie die auf das Individuum, führt in Sackgassen. Ich versuche dies mit einem relationalen Revolutionsbegriff zu vermeiden.
»Perspektiven auf den Roten Oktober« heißt die Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die am heutigen Freitag (19 Uhr) in deren Domizil am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin beginnt und am Wochenende mit internationalen Gästen fortgeführt wird. Zur Einstimmung auf die dreitägige Veranstaltung sprach für »nd« Christoph Wimmer mit der Berliner Kommunismusforscherin und Feministin Bini Adamczak (Jg. 1979). Foto: : RLS/Erwin Heil
Was soll das wieder heißen?
Es geht darum, Gesellschaft als Ensemble von Beziehungen zu verstehen und Revolution als Veränderung dieser Beziehungsweisen. Die Revolution wird damit eher zu einem Prozess als zu einem Ereignis oder Bruch in der Geschichte.
Es geht Ihnen also mehr um die Veränderung der Beziehungsweisen als um Machtübernahme oder Veränderung staatlicher Strukturen? Welche Arten von Beziehungen müssten verändert werden?
Mein Vorschlag ist, auch den Markt, den Staat oder die Nation genau wie die Familie oder Freundschaftsbeziehung als Formen zu begreifen, in denen sich Menschen aufeinander beziehen. Die Revolution muss all die Beziehungsweisen verändern, die Menschen Leid verschaffen, sie einsperren oder vereinzeln. Daher müssen wir auch die Beziehungen dieser Beziehungsweisen zueinander ändern. Wir brauchen andere Verhältnisse von Intimität und Anonymität oder Öffentlichkeit und Privatheit.
Was bedeutet dieser Fokus auf Beziehungen für die Praxis von politisch Handelnden?
Gesellschaftliche Transformation relational zu konzipieren heißt, weder auf die Totalität, den Staat zu fokussieren, noch auf die einzelnen Menschen, die Individuen. Stattdessen geht es um das Dazwischen, um die Veränderung der Beziehungen. Das ist etwas, was wir in allen politischen oder sozialen Bewegungen auch immer wieder beobachten können, dass herrschende Beziehungsformen in Frage gestellt und Beziehungen anders geknüpft werden.
Von Bini Adamczak erschienen jüngst »Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende« (Suhrkamp, 320 S., br., 18 €) sowie »Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman. Vom womöglichen Gelingen der Russischen Revolution« (Edition Assemblage, 176 S., br., 12,80 €).
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