Nicht Dingos und Jäger, die Dürre war’s

Warum verschwand der Beutelwolf schon vor 3000 Jahren vom australischen Festland? Von Michael Lenz

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor 81 Jahren verstarb in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1936 im Zoo von Hobart der Beutelwolf Benjamin, ein Weibchen, das allerdings zeitlebens für ein Männchen gehalten worden war. Der Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus), wegen der Streifen am hinteren Rücken auch Tasmanischer Tiger genannt, war einst das größte fleischfressende Beuteltier Australiens. Um den Beutelwolf ranken sich Geschichten und Mythen; so mancher mag nicht recht an sein endgültiges Verschwinden glauben. Immer wieder gibt es Berichte über Sichtungen.

Trotz seiner im Englischen gebräuchlichen Bezeichnung als Tasmanischer Tiger ähnelten die Tiere eher Wölfen, mit denen sie aber ebenso wenig zu tun haben wie mit Tigern. »Thylacinus ist ein Beuteltier und daher näher mit dem Känguru verwandt als mit Hunden oder Katzen«, erläutert Lauren C. White vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie Leipzig.

Der Beutelwolf lebte einst auch auf dem australischen Festland, wo er aber schon vor rund dreitausend Jahren verschwand. Das erklärten die wenigen Thylacinusexperten bislang mit den etwa vor 3500 Jahren vermutlich von asiatischen Seefahrern nach Australien eingeführten Dingos - Wildhunde - sowie der Jagdlust der Aborigines.

Ein Forscherteam um Lauren Christine White und Jeremy Austin vom Australian Centre for Ancient DNA der Universität Adelaide hat jetzt den Klimawandel als Ursache für das Verschwinden des Beutelwolfs vom australischen Festland ausgemacht. Vor 3000 Jahren hätten verstärkte El Niños zu höheren Temperaturen und Dürre auf dem Kontinent geführt. »Daher nehmen wir an, dass der Klimawandel einer der wesentlichen Faktoren der Ausrottung auf dem Festland war«, sagte White gegenüber »nd«.

Für die Untermauerung ihrer unlängst im »Journal of Biogeography« (DOI: 10.1111/jbi.13101) veröffentlichten Studie hatten Austin und White 51 neue mitochondriale DNA-Sequenzen untersucht, die sie aus fossilen Thylacinusknochen aus australischen Museen gewonnen hatten. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Population des Thylacinus auf Tasmanien auch auf einem Tiefpunkt war, als die Population auf dem Festland ausstarb. Der Klimawandel hat also auch die tasmanische Population beeinflusst«, sagt White. Der Klimawandel sei also der entscheidende Faktor neben einigen anderen für das Aussterben des Beutelwolfs auf dem Festland gewesen. Was aber dem Thylacinus im 250 Kilometer südlich gelegenen Tasmanien weitere 3000 Jahre Leben beschert habe, sei wohl die Abwesenheit von Dingos und die dünne menschliche Besiedlung gewesen.

Letzteres änderte sich radikal mit der Ankunft weißer Siedler Anfang des 19. Jahrhunderts. Erst wurde Tasmanien eine Sträflingsinsel, dann rückten Schafzüchter an. Für die war der Thylacinus mit seinem kräftigen, hundeähnlichen Gebiss ein Feind, der sich an ihren Schafen gütlich tat. Historiker vertreten inzwischen eher die These, verwilderte Hunde hätten seinerzeit die meisten Schafe gerissen.

Die Behörden setzten Kopfgelder auf den Thylacinus aus. Schätzungen sprechen von bis zu 4000 Beutelwölfen, die bei der Ankunft der Europäer 1803 noch durch Tasmaniens Wälder zogen. Einhundert Jahre später waren mehr als 2000 tot. 1905 fiel die Zahl der wild lebenden Raubtiere besonders scharf ab, was damals vermutlich zu Recht mit einer mysteriösen Krankheit erklärt wurde.

Die Krankheit wie auch die Jagd waren aber auch auf Tasmanien nicht die einzigen Ursachen für das Verschwinden der Beutelwölfe. Brandon Menzies von der Universität Melbourne fand 2012 zusammen mit Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin heraus, dass der Beutelwolf eine begrenzte genetische Variabilität besaß. Der Grund dafür sei die geografische Isolation der Insel Tasmanien vom Festland Australien, so Menzies. Die Studie von Austin und White nennt der Forscher aus Melbourne eine »überzeugende These« für den Einfluss des Klimawandels auf das Verschwinden des Thylacinus vom australischen Festland.

Doch war Benjamin tatsächlich der letzte seiner Art? Daran gibt es inzwischen glaubwürdige Zweifel. Mindestens bis in die 1940er Jahre habe es in Tasmanien mit ziemlicher Sicherheit noch eine kleine, wild lebende Population gegeben, heißt es in einer 2016 im »Australian Zoologist« veröffentlichten Studie.

Und bis heute reißen Berichte von Sichtungen des enigmatischen Tiers nicht ab. Zuletzt sorgten vor wenigen Wochen einige ältere Herren mit der Veröffentlichung reichlich unscharfer Aufnahmen eines angeblichen Beutelwolfs in einem Wald in Tasmanien für Wirbel.

Die Experten reagieren verhalten auf solche Berichte. Bill Flowers von der Tasmanian Tiger Research Unit (TRU), einer Vereinigung von (Wild)Tierexperten auf der Insel, sagt: »Augenzeugenberichte mögen vor Gericht ausreichend sein, aber die Wissenschaft stellt sehr viel höhere Anforderungen.« Menzies findet, es gebe für die jüngste Sichtung keine »klaren Beweise«, es sei aber »gut möglich, dass es angesichts der großen Flächen eines intakten Habitats und der Isolation noch einige geben kann«. Für White ist das nur eine »schöne Fantasie«, die aber »leider nichts mit der Wirklichkeit zu hat«.

Noch ist nicht aller Tage Abend. 2013 sorgte der Filmemacher John Young für eine Sensation: Er hatte in Australiens tiefstem Outback den seit 1890 als ausgestorben geltenden Nachtsittich gefilmt. 1994 tauchte das seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Gilbert-Kaninchenkänguru plötzlich wieder aus der Versenkung auf. Niemals geht man eben so ganz.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -