Schweigen im Walde
Mit dem Verschwinden der Insekten sind auch viele Vogelarten bedroht
Der jüngste Befund zu einem dramatischen Rückgang der Insektenbestände alarmiert die Vogelkundler in Rheinland-Pfalz. »Das Insektensterben ist da, es ist klar, dass dies nicht ohne Wirkung auf die Vogelwelt bleibt«, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR), Michael Schmolz.
Er beobachtet seit über 30 Jahren Vögel, aber noch nie habe er ein Jahr wie dieses erlebt: Bei Führungen habe er große Probleme gehabt, den Teilnehmern Vögel zu zeigen, berichtet Schmolz. Wenn das selbst in einem Naturschutzgebiet wie dem Laubenheimer Ried bei Mainz so sei, dann könne etwas nicht mehr stimmen. »Das rauschende Vogelkonzert, das man in den 1980er Jahren hatte, gibt es nicht mehr.«
Schmolz plädiert für eine Neuorientierung im Naturschutz. Mit Artenschutzprogrammen für besonders attraktive Vögel wie den Schwarzstorch seien in den vergangenen Jahren zwar positive Erfolge erzielt worden. »Man kann aber nicht jedes Feldlerchennest schützen«, sagt der Biologe. »Stattdessen müssen wir dazu übergehen, über großflächige Landschaftskonzepte möglichst viele Arten zu erhalten.«
Vor allem der ständige Flächenverbrauch erschwert Vögeln das Überleben in Rheinland-Pfalz. Nach Daten des Statistischen Landesamts gab es Ende 2015 eine versiegelte Fläche von 1255 Quadratkilometern. Das sind 6,3 Prozent der Gesamtfläche von Rheinland-Pfalz, ein Zuwachs um 6,3 Prozent seit Beginn des Jahrhunderts. Siedlungen und Straßen beanspruchen 2844 Quadratkilometer oder 14,3 Prozent der Landesfläche. Schmolz kritisiert dabei den Bau von immer mehr Logistikzentren auf der grünen Wiese: »Jeder, der online Waren bestellt, trägt dazu bei, dass diese Zentren in der Landschaft stehen.«
Etwa drei von vier Vögeln in Rheinland-Pfalz sind Insektenfresser und deswegen besonders vom Schwund der Fliegen, Bienen oder Käfer betroffen. So sei der Mauersegler ein »ausschließlicher Luftplanktonjäger«. Er ernähre sich von kleinen Insekten, erklärt Schmolz. »Auch Schwalben sind auf Gedeih und Verderb auf fliegende Insekten angewiesen.« Zudem fütterten fast alle Arten ihre Jungen mit Insekten, so dass letztlich die ganze Vogelwelt betroffen sei. Als Beispiele nennt Schmolz Haussperling und Grünfink.
Beerenfresser wie die Mönchgrasmücke wiederum sind auf die Bestäuberleistung der Insekten angewiesen, damit Holunder und Weißdorn auch genügend Früchte entwickeln. »Wenn diese nicht mehr bestäubt werden, haben auch Beerenfresser ein Problem.« Letztlich leide daher das gesamte Ökosystem unter dem Insektenschwund.
Die alarmierende Studie von Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden ergab, dass der Bestand an Fluginsekten in den vergangenen 27 Jahren um mehr als 75 Prozent zurückgegangen ist. »Ein Schwund wurde bereits lange vermutet, aber er ist noch größer als bisher angenommen«, sagt der Mitautor der im Fachmagazin »PLOS ONE« veröffentlichten Studie, Caspar Hallmann. Vermutlich spiele die intensivierte Landwirtschaft samt dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie der ganzjährigen Bewirtschaftung eine Rolle, erklären die Forscher.
Der Deutsche Bauernverband pocht auf weitere Untersuchungen. »In Anbetracht der Tatsache, dass die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten stattfand, verbieten sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft«, sagt Generalsekretär Bernhard Krüsken. Die Kritik der Naturschützer richte sich nicht gegen die Gruppe der Landwirte, betont Schmolz. »Es ist die Gesellschaft, die so tickt, jeder will sich verwirklichen und alles billig haben.«
»Der Rückgang ist drastischer als vielfach angenommen wurde - für unser Ökosystem ist das ein alarmierendes Zeichen«, sagt der Staatssekretär im Umweltministerium, Thomas Griese (Grüne). Die Insekten seien als Nahrungsgrundlage für Vögel und als Bestäuber für Wild- und Nutzpflanzen unverzichtbar. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.