Eine Klasse für sich

Christoph Ruf über das vordemokratisch strukturierte Schiedsrichterwesen und kaltgestellte Kritiker

Es hat manchmal durchaus Vorzüge, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Bundesligaspiel reist. Man bekommt einfach mehr mit als nur einen Stau. Am Samstag, beim Freiburger Heimspiel gegen Schalke 04, gab es in der Straßenbahnlinie 1 zum Beispiel taufrische Erkenntnisse über Not und Elend des deutschen Schiedsrichterwesens frei Haus. Und zwar, als vier Mittzwanziger an der zentralen Haltestelle einen etwas älteren jungen Herren erblickten, der - warum auch immer - mit einer Trainingsjacke unterwegs war, die ihn als Angestellten des Südbadischen Fußball Verbandes auswies. Woraufhin er, halb im Spaß, halb im Ernst, ins Gefährt gezogen und auf einen skandalösen Vorfall angesprochen wurde, der sich beim Kreisliga-A-Spiel der jungen Herren am Vortag abgespielt hatte. Verpfiffen worden sei das Team aus dem Kreis Baden-Baden, berichteten sie, und zwar von einem Referee, der ganz offensichtlich völlig besoffen war. Der so roch, so sprach und auch so pfiff ... Großes Gelächter in der Bahn. Und ein bedauernswerter Funktionär, der sehr kurz angebunden Unverbindliches antwortete und dann etwas sehr Naheliegendes tat: Er schaute unbeteiligt aus dem Fenster, bis die Fahrt unweit des Bundesligastadions endlich beendet war.

Damit zeigte der Mann allerdings eine Reaktion, die im deutschen Fußball üblich ist. Man wartet einfach, bis die Kritik verstummt - und schaut derweil aus dem Fenster. Und das auch bei gravierenderen Fällen, also solchen, die sich ein paar Ligen drüber abspielen und bei denen die Schiedsrichter in letzter Zeit auch nüchtern zuweilen so entschieden, als hätten sie einen im Tee. Es soll hier nicht über Sinn und Unsinn des Videobeweises diskutiert werden. Fakt ist aber, dass man noch fünf Kontrollinstanzen hinter die Entscheidung des eigentlichen Schiedsrichters setzen kann. Wenn die nächsthöhere Instanz Situationen so absurd bewertet wie es Felix Zwayer bei der angeblich klaren Vereitelung einer Torchance im Spiel Stuttgart gegen Freiburg tat, kommt dabei immer ein noch größerer Mist heraus.

Die Wahrheit ist relativ simpel: im deutschen Fußball pfeifen einige Herren an gehobener Stelle, denen die fachliche Befähigung dazu fehlt. Befördert wurden sie offenbar aus anderen Gründen, zum Beispiel der bedingungslosen Loyalität zu den beiden Granden in der DFB-Zentrale, Hellmut Krug und Heribert Fandel. Genau das hat ein gewisser Manuel Gräfe jüngst kritisiert - öffentlich, da intern offenbar keine Kritik geäußert werden kann. Gräfe und Felix Brych (der beim Freiburger Spiel gegen Schalke tadellos pfiff), gehören nicht zu den Lieblingen der DFB-Nomenklatura, Zwayer, dem selbst seine Verstrickung in die Korruptionsaffäre um Robert Hoyzer nichts anhaben konnte, hingegen schon. In einem System, in dem sachliche Kritik als Nestbeschmutzung gilt, wird der Mahner zum Feind. Frauen stören sowieso. Bibiana Steinhaus, eine hervorragende Schiedsrichterin, wurde erst dann befördert, als es gar nicht mehr anders ging.

In einem hermetischen Kastensystem wie dem Schiedsrichterwesen ist Öffentlichkeit per se ein feindliches Imperium. Nur so ist die jüngste DFB-Maßnahme zu verstehen, die Gräfe künftig eine Tätigkeit als Video-Assistent untersagt. Dabei war es Zwayer, der allein im Oktober auf dem Feld und am Video-Apparat mehr Fehlentscheidungen traf als andere in mehreren Spielzeiten. Und nur so sind Pressemeldungen zu verstehen, die wie folgt formulieren: »... wird sich Manuel Gräfe über interne Sachverhalte und über Kollegen nicht mehr unabgestimmt in der Öffentlichkeit äußern«. Wer so etwa schreibt, verlangt danach, ein solch entwaffnendes Zitat in Zusammenhang mit einem etwas älteren zu setzen. »Das Schiedsrichterwesen sei von Gehorsam und Günstlingswirtschaft geprägt. Fandel und Krug beförderten nach Sympathie, hätten kein Mitgefühl, sicherten ihre Macht, indem sie Schiris zu Duckmäusern machten, und verwirrten sie und alle anderen mit fraglichen Regelauslegungen.« Das ist der Auszug aus einem Artikel, den der hellsichtige Kollege Oliver Fritsch im Sommer 2015 auf »Zeit online« geschrieben hat. Er referiert die auf vielen Gesprächen basierenden Bedenken vieler Schiedsrichter an ihrem Apparat und dessen Repräsentanten. Schon 2015 wusste man also vieles von dem, was heute die Malaise des deutschen Schiedsrichterwesens ausmacht. Geändert hat sich seither: nichts.

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