Parteichef ohne Hausmacht

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz kann sich intern nicht mit seinen Strategien durchsetzen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Argumente, warum Martin Schulz beim Berliner Bundesparteitag in der kommenden Woche erneut zum Vorsitzenden gewählt werden sollte, fallen Abgeordneten der SPD-Bundestagfraktion derzeit nicht ein. Darauf angesprochen, lautet die Antwort in der Regel, dass Schulz bei der Basis beliebt sei. Das kann durchaus zutreffen. Dass in den vergangenen Monaten trotz des schlechten Wahlergebnisses der SPD Tausende Menschen in die Partei eingetreten sind, dürfte auch mit Schulz zu tun haben. Im Unterschied zu anderen führenden Parteikollegen wird er vor allem mit sozialdemokratischer Europapolitik und nicht mit dem auch von der SPD betriebenen Sozialabbau und deutschen Kriegsbeteiligungen in Verbindung gebracht.

Seine Unerfahrenheit in der Bundespolitik ist aber zugleich die größte Schwäche von Schulz. Zwar ist er seit 1999 auch Mitglied des SPD-Vorstands, aber ihm fehlt offensichtlich das Gespür dafür, wie man in den Gremien der Partei Mehrheiten organisiert und Kompromisse schließt. Schulz hatte in der vorigen Woche noch Neuwahlen im Bund präferiert und im SPD-Vorstand erfolgreich für einen Beschluss geworben, in dem es trotz des Scheiterns der schwarz-gelb-grünen Sondierungsgespräche heißt, die SPD sehe »keine Basis« für eine Große Koalition. Das entsprach seiner Haltung vom Wahlabend, als der gescheiterte Kanzlerkandidat seine Partei unter dem Jubel der anwesenden Mitglieder im Willy-Brandt-Haus auf die Oppositionsrolle eingestimmt hatte.

In der Bundestagfraktion konnte er sich damit nun nicht durchsetzen. Viele Abgeordnete fürchten Neuwahlen und einen Verlust ihres Mandats. Denn die Umfragewerte für die SPD haben sich seit ihrer 20,5-Prozent-Wahlschlappe nicht deutlich verbessert. Ein Kanzlerkandidat drängt sich in der Partei derzeit nicht auf. Der Vorsitzende wurde von seinen Genossen letztlich dazu gedrängt, von seinem Oppositionskurs abzurücken. Auch viele Mitglieder im Parteivorstand waren erleichtert, dass Schulz überredet werden konnte. Der Parteichef hat nun aber ein Glaubwürdigkeitsproblem, seit er Schwarz-Rot nicht mehr ausschließt und von der »Verantwortung« der SPD redet. Dadurch könnte auch sein guter Ruf in der Basis Schaden nehmen.

Wie wenig Schulz in der Fraktion zu sagen hat, zeigte sich bereits kurz nach der Bundestagswahl. Der Parteichef wollte, dass sein scheidender Generalsekretär Hubertus Heil neuer Parlamentsgeschäftsführer wird. Doch der konservative Seeheimer Kreis machte Schulz klar, dass er bei der Postenverteilung berücksichtigt werden wolle. Heil musste seine Ambitionen zurückstellen. Gewählt wurde der Seeheimer-Sprecher Carsten Schneider.

Das Problem von Schulz sind nicht nur diese Netzwerkstrukturen in der SPD, mit denen er weniger vertraut ist als seine Genossen, die seit vielen Jahren im Berliner Politikbetrieb arbeiten. Hinzu kommt die Macht der SPD-Minister. Sie würden gerne ihre Ämter behalten und weiterhin lukrative Staatssekretärsposten an Parteifreunde verteilen. Politiker wie Außenamtschef Sigmar Gabriel, Justizminister Heiko Maas, aber auch die Exministerinnen Manuela Schwesig und Andrea Nahles, inzwischen Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Fraktionsvorsitzende im Bundestag, haben kein Interesse daran, dass die SPD sich radikal von ihrer Politik in der Großen Koalition distanziert.

Bei einer Pressekonferenz am Montag hat Schulz nicht ausgeschlossen, selber ein Ministeramt in einem möglichen schwarz-roten Kabinett zu übernehmen. Ohne ein solches Amt würde er als Vorsitzender einer an der Regierung beteiligten Partei nur noch eine Art Grüßaugust ohne großen Einfluss sein.

Wie die Kooperation von Union und Sozialdemokraten aussehen könnte, werden die schwarz-roten Gespräche in den kommenden Wochen zeigen. Debattiert wird über eine Fortsetzung der Großen Koalition, eine von der Union geführte Minderheitsregierung, die bei zentralen Projekten auf die Unterstützung der SPD zählen könnte, und über andere Formen der Zusammenarbeit. Erste Gespräche sind am Donnerstag bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geplant. Daran werden neben Schulz auch die Parteichefs von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, teilnehmen. Schulz kündigte nun an, Andrea Nahles mitnehmen zu wollen.

Fraglich ist, wie lange Schulz Parteichef bleiben kann. In der SPD hieß es kürzlich, er solle nur den Übergang organisieren. Dass für die Vorstandswahlen in der kommenden Woche bislang kein weiterer Bewerber bereitsteht, liegt zum einen daran, dass der Job des Parteichefs angesichts der großen Krise der Bundes-SPD derzeit wenig attraktiv ist. Außerdem hat der größte interne Widersacher von Schulz, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, offensichtlich Zweifel daran, dass er auf eine Mehrheit der Delegierten hoffen könnte. Scholz kann zwar auf Wahlerfolge in der Hansestadt verweisen. Aber vor allem Politiker des linken SPD-Flügels haben bislang Bedenken gegen den weiteren Aufstieg des bekennenden Schröderianers.

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