Gefährlicher Spielbetrug mit Jod 125
Radioaktive Karten sind für Hohenschönhausen neu, in Vietnam ist das Phänomen schon seit Jahren bekannt
Der Betrug mit radioaktiven Spielkarten, wie ihn die Polizei kürzlich in einem Restaurant in Hohenschönhausen aufgedeckt hat, ist in Berlin ein neues Phänomen. »Unsere Kollegen waren alle sehr erstaunt. Aber man lernt nie aus«, sagt Polizeisprecherin Konstanze Dassler. Das Lokal und weitere Räume in einem Asia-Markt wurden Mitte November durchsucht. Teile des Gebäudes wurden bis zur Reinigung durch eine Fachfirma gesperrt. Inzwischen ist die Reinigung erfolgt.
Ermittelt wird gegen die 41-jährige vietnamesische Restaurantbesitzerin wegen der Freisetzung ionisierender Strahlen. In Nebenräumen ihres Restaurants fand die Polizei 13 mit Jod 125 belastete Spielkartenteile. Laut Polizei könnte sich der Spielbetrug wie folgt abgespielt haben: Durch einen verdeckt am Körper getragenen Detektor kann der betrügende Spieler erkennen, welche Karten markiert sind, und sich so beim Glücksspiel einen Vorteil verschaffen. Die markierte Karte könnte vibriert haben.
Während das Phänomen in Berlin neu ist, ist es in Vietnam und Kambodscha mindestens seit 2014 bekannt. Die zwei Zentimeter kleinen Teilchen, die in das Innere einer Spielkarte gepresst werden und wegen der geringen Halbwertzeit öfter ersetzt werden müssen, werden dort offen im Internethandel angeboten. Das Gleiche gilt für die Detektoren. Vietnamesische Wissenschaftler warnen vor den damit verbundenen Gesundheitsrisiken.
Bereits im Jahre 2014 wird der Nuklearwissenschaftler Luu Hanh Dung aus Ho-Chi-Minh-Stadt in einer vietnamesischen Zeitung zitiert: »Bei direktem Hautkontakt können bei infizierten Personen Krebs, Schwindel und Bewusstlosigkeit auftreten.« Dung warnt aber auch schwangere Frauen: Bereits das Einatmen radioaktiver Substanzen könnte Geburtsfehler zur Folge haben. Aber auch empfindlichen Menschen könnten durch das Einatmen der Substanz an Übelkeit, Müdigkeit und Hautproblemen leiden.
Jod 125 ist ein Nuklid, das in der Medizin verwendet wird, etwa bei Schilddrüsenuntersuchungen. Die Berliner Polizei sieht eine Gesundheitsgefahr allerdings nur bei unmittelbarem Kontakt ohne Schutzkleidung.
In der vietnamesischen Gemeinde in Berlin hat der Fall heftige Reaktionen ausgelöst. Viele Gastronomen fürchten, dass durch die Berichterstattung Kunden vom Besuch vietnamesischer Restaurants abgehalten werden könnten. In den meisten Asia-Restaurants wird allerdings überhaupt kein Glücksspiel betrieben. Das ist nur in einigen wenigen gastronomischen Einrichtungen in Lichtenberg der Fall, die sich speziell auf ein vietnamesisches Publikum ausrichten. Auch hier könnte sich illegales Glücksspiel eher in für ein Normalpublikum nicht zugänglichen Hinterzimmern abspielen. Solche Restaurantinhaber sind durch die Berichterstattung, die auch in vietnamesischsprachigen Onlinezeitungen und sozialen Netzwerken stattfindet, hellhörig geworden und wollen beim Kartenspiel jetzt genauer hinschauen, um eine Gesundheitsgefahr und letztlich Besucherrückgänge in ihren Restaurants zu vermeiden. Doch wie das ohne Geigerzähler gehen soll, ist den Diskutanten in sozialen Netzwerken noch nicht klar.
Die Restaurantbesitzerin aus Hohenschönhausen, eine alleinerziehende Mutter, wurde nicht festgenommen, weil ihr die Tat nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Es spricht viel dafür, dass die Frau lediglich auf dem Papier Restaurantbesitzerin ist. Ein vietnamesischer Journalist aus Berlin berichtet von einem Mann, der am Mittwoch in seine Redaktionsräume kam, um sich über die Berichterstattung zu beschweren. Sie hätte zur Stornierung von Bestellungen in »seinem« Restaurant geführt, obwohl die vorgeschriebene Reinigung bereits erfolgt sei.
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