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Ein Ufo ist gelandet
Die Volksbühne zeigt »Women in Trouble« von Susanne Kennedy
Castorf ist gegangen (worden) und die »gefeierte Regisseurin« (Eigenanzeige Volksbühne) Susanne Kennedy ist als Hausregisseurin gekommen. Wortreich im Bewerben der eigenen Absichten ist man hier allerdings. Chris Dercon gibt den eloquenten Medienoberseminarton vor und alle folgen.
Die Volksbühne also scheint buchstäblich über Nacht befreit von all ihrer Ost-West-Geschichte, von erzählbaren Geschichten überhaupt, bewegt sich kalt und desinteressiert durch das neue Berlin. Wobei ihr dick auf der Stirn geschrieben steht: Ich bin ein Global Player!
Ein Ufo ist in der Berliner Theaterlandschaft gelandet! Gymnastik gab es auf dem Tempelhofer Flugfeld (das war noch im Sommer), Zuschauertalk mit Beckett auch, aber am letzten Novembertag dann endlich doch die erste richtige Premiere in der Volksbühne mit Susanne Kennedys selbst geschriebenem und inszeniertem Stück »Women in Trouble«. Komplett auf Englisch (mit deutschen Obertiteln)! Ein Spiegel des internationalen Berlins - oder völliger Instinktverlust? Auf die Zuschauerzahlen dieser Spielzeit darf man gespannt sein.
Studiert man das Jahresprogramm, wird das hier unweigerlich einer von drei, vier Höhepunkten dieser Spielzeit. Ansonsten viel (spezielles) Kino, Tanz und Filmseminar. Also von welch einem »Trouble« hat uns Susanne Kennedy (geboren 1977 in Friedrichshafen) zu berichten? Der Theaterbegriff Susanne Kennedys scheint kompliziert. So kompliziert, dass man ganze Seminare darüber veranstalten kann. Aber sich auch einfach in den Zuschauerraum setzen, zusehen und zuhören, oder - ein ganz frevelhaftes Wort benutzend: sich gar gut unterhalten?
Bekannt geworden ist Susanne Kennedy mit zwei Inszenierungen, die auch zum Theatertreffen eingeladen wurden: Marieluise Fleißers »Fegefeuer in Ingolstadt« (2013) und »Warum läuft Herr R. Amok?« (2014). Da zeigte sich ihr analytischer Ansatz: Körper und Stimme wurden getrennt, die Schauspieler mittels Masken in Larven verwandelt und keimfrei in Glaskästen gehalten.
Das war, salopp gesagt, mal was anderes. Auch wenn man diesen Entkörperlichungseffekt von der Britin Katie Mitchell bereits kannte - Kennedy treibt es auf vorsätzliche Weise über eine Grenze bis zur völligen Abtötung alles Lebenden. Denn - Achtung, Theorie! - das Subjekt (damit auch seine Bewegung, alle Vitalität überhaupt) ist verschwunden, wir leben im Zeitalter danach. Wir brauchen eine neue »Matrix«!
Wenn die kommenden zweieinhalb Stunden »Women in Trouble« durchaus aufschlussreich werden, dann, weil sie demonstrieren, wie die forcierte Dekonstruktion umschlägt in eine krypto-religiöse Vision: »Cyborg«-Esoterik, »Quellcode«-Überlegungen der raunenden Art. Das »Cyborg«-Manifesto von Donna Haraway geistert durch Kennedys Welt der lebenden Toten. Was Materie war, wird Geist! Fragt sich nur, was für einer.
Man könnte diese Veranstaltung also sehr schnell als ein von einem Sektenspirit getriebenes Hardcore-Cyborg-Community-Event abtun (und das muss man letztlich wohl auch), aber nicht, ohne ein Wort zu dem zu sagen, was auf der Bühne von Lena Newton zu sehen ist. Anfangs blicken wir auf ein Karussell, das vorrangig in den Farbspektren von Hipp-Pink bis Selbstmörder-Violett gehalten ist. Mit Anklängen eines 60er-Jahre-Retro-Ambientes. Auf einem Bildschirm sehen wir galaktische Urzustände: Ströme von kosmischem Gestein rasen auf uns zu. Sonst passiert erst einmal nichts.
Dann doch: Die Bühne kreist und hört damit 160 Minuten lang nicht mehr auf. Das Karussell ist in mehrere Parzellen geteilt, in denen sehr kurze szenische Sequenzen stattfinden, eher Schlaglichter oder Schaubilder. Eine komplett synthetische Welt, eine Welt nach dem Menschen - aber für Kennedy auch das Embryonalstadium eines neuen Menschen.
Die dramaturgische Leitlinie für diese Grundsatzerklärung: Angelina Dreem (eine multiple Figur) spielt in einer amerikanischen Fernseh-Soap. Die läuft hier als Dreh vor uns ab, Angelina selbst wird zur Soap. Aber sie hat Krebs, sie wird sterben - das sprengt bisherige Sehgewohnheiten, ebenso wie Identitäten zersplittern. Kennedy will gleichzeitig von innen und außen auf die Szenerie blicken, den künstlichen Soap-Charakter beibehalten (wir drehen hier nur einen schlechten Film!) und gleichzeitig etwas anderes damit zeigen: die Neu-Geburt mittels Schmerz, die Erlösung aus dem multimedialen Jammertal. Mit einem Wort von Franz Fühmann gesagt, das aus einem anderen Zeitalter stammt, aber den sich überwinden wollenden Menschen aller Zeiten meint: eine »Zwangsapotheose«.
Da ist es dann doch, das verneinte Subjekt, der einzelne Mensch, den es hier - per strukturalistischem Dekret - gar nicht geben darf. Aber bei Susanne Kennedy kommt auch er, so scheint es, aus der Retorte. So höre ich die einzigen am Ende von »Women in Trouble« auf Deutsch gesprochenen und insistierend wiederholten Worte aus dem Off mit einer Reserve, die aus Gleichgültigkeit und Feindschaft gemacht scheint: »Zeige deine Wunden! Zeige deine Wunden ...«
Ach ja, diese knallharten Wellness-Welten, die auch die Köpfe fluten! Eine guruhafte Stimme (männlich-mächtig) aus dem Off spricht alle Szenenanweisungen und die Hälfte dessen, was auf der Bühne gesagt wird. Die andere Hälfte kommt aus der Konserve. Nun ist solches Playback-Theater vor allem eins: mörderisch langweilig. Den Volksbühnenraum jedenfalls füllt es keinesfalls. Nicht dass man hier in den vergangenen Jahrzehnten nicht schon viel bedeutungsschwer kommentierten Leerlauf gesehen hätte! Jedoch, die Banalität, das schier ewig dauernde Verlesen von Beipackzetteln für Krebsmittel, die ausgestellte Scheinhandlung der Figuren und das Manifestpathos nerven am Ende nur noch.
Gewiss, »die Durchsichtigkeit des Spiels wird Teil des Spiels«, wie es selbsterklärend heißt, eine »zynische Distanz« entstehe so - dagegen hat ja niemand etwas. Aber die Abwesenheit aller Lust am Spiel (von Humor nicht zu reden) in dieser Inszenierung, der bedeutsamkeitsheischende Verkündigungston wirken unangenehm und zuletzt leer. Theater als multimediale Kirche? Gott bewahre!
Nächste Vorstellungen: 2., 3. Dezember
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