IOC sperrt Russlands NOK
Saubere Athleten der Sportgroßmacht dürfen bei Olympia unter neutraler Flagge an den Start
Der Skandal um massenhaften Dopingbetrug russischer Athleten hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) verhängte eine drastische Strafe gegen die Sportgroßmacht. Um einen Komplettausschluss von den Winterspielen im Februar 2018 in Pyeongchang kommen die meisten Sportler aber herum.
«Das war eine vorher nie dagewesene Attacke auf die Intergrität der Olympischen Spiele und des Sports. Das IOC sanktioniert nun dieses Manipulationssystem, während es die sauberen Sportler schützt», sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Dienstagabend in Lausanne.
Das IOC suspendendiert das Russische Olympische Komitee (ROC), lässt sauberen Einzelsportlern aber die Möglichkeit in Pyeongchang anzutreten, allerdings nicht unter ihrer Nationalflagge, sondern unter der olympischen. Die russische Hymne wird nicht gespielt. Und die Sportler treten offiziell als «Olympische Athleten aus Russland» an. Da diese Bezeichnung auch auf den Uniformen stehen wird, bleibt der Nationenname doch Teil der Spiele.
Nur Sportler ohne Dopingvergangenheit sollen im Februar eingeladen werden. Sie müssen zudem von einer Task Force vorher intensiv getestet worden sein. Wer starten darf, bestimmt diesmal das IOC selbst. Die Entscheidung darüber, wer sauber ist, hatte sie vor den Sommerspielen 2016 in Rio noch den internationalen Einzelsportverbänden überlassen und damit ein CHaos ausgelöst.
Russische Funktionäre werden jedoch definitiv nicht akkreditiert. Vizeregierungschef und Ex-Sportminister Witali Mutko sowie sein ehemaliger Vize im Sportministerium Juri Nagornych wurden nicht nur von Pyeongchang, sondern von allen kommenden Spielen ausgeschlossen. Das ROC muss zudem 15 Millionen US-Dollar Strafe zahlen. «Nur wenn Russlands Funktionäre und die eingeladenen Sportler unsere Untersuchungsergebnisse akzeptieren, können die Sperren frühestens zur Abschlussfeier in Pyeongchang wieder aufgehoben werden», heißt es im Urteil.
Die IOC-Exekutive war vor ihrer Entscheidung vom früheren Schweizer Bundesrat Samuel Schmid über die Ergebnisse seiner Untersuchungskommission informiert worden. Schmid ging der Frage nach, inwieweit russische Behörden in den Dopingskandal eingebunden waren. Mit Dopingsubstanzen verseuchte Proben russischer Athleten hat es in Sotschi nicht gegeben, weshalb Russland auch immer wieder darauf beharrte, dass es keine Beweise gebe. Das sollte das Manipulationssystem rund um vertauschte Proben allerdings auch erreichen, weshalb die Welt-Antidoping-Agentur WADA und das IOC mehrere forensische Untersuchungen in Auftrag gaben. Deren Ergebnisse bestätigten die Aussagen des Kronzeugen Grigori Rodtschenkow. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Dopinglabors hatte unter anderem berichtet, dass Spitzenathleten zunächst saubere Proben abgegeben hatten. Mit diesen wurden dann bei den Winterspielen 2014 in Sotschi offenbar dopingbelastete Proben vertauscht. Die IOC-Exekutive folgte nun Schmids Sanktionsempfehlungen.
Sollte Russland das Strafmaß akzeptieren, wäre das wohl als diplomatischer Erfolg von Bach zu werten. Schließlich hatten russische Politiker und Sportfunktionäre immer wieder offen mit dem Boykott der Spiele in Südkorea gedroht, sollten ihre Athleten nicht unter eigener Flagge antreten dürfen. Bereits am Montag hatte sich jedoch ein Abrücken von dieser Position angedeutet, als Regierungssprecher Dimitri Peskow bestritt, dass ein Boykott überhaupt diskutiert werde: «Darüber wird nicht beraten», hatte er gesagt und argumentierte, eine «Nichtteilnahme» könnte der Olympischen Bewegung schweren Schaden zufügen«. Dass bereits die massiven Dopingmanipulationen diesen Schaden angerichtet hatten, erwähnte Peskow freilich nicht.
»Ein Olympiaboykott hat noch nie irgendetwas erreicht. Ich sehe auch keinen Grund dafür, weil wir den sauberen Athleten erlauben, teilzunehmen und zu zeigen, dass es in Russland saubere Sportler gibt«, sagte Bach nun. Auch ein Bann aller Russen von den nächsten Spielen hatte angeblich zur Disposition gestanden. Die Angst davor, dass das IOC diese Strafe aussprechen würde, war in den vergangenen Tagen in Russland offenbar immer größer geworden.
Auf direkte Schuldzuweisungen an das ROC oder Politiker wie Mutko verzichteten Bach und Schmid. Trotzdem hätten das Sportministerium und das ROC in der Verantwortung für die Spiele und das Funktionieren des Antidopingsystems gestanden: »Sie können daher nicht einfach sagen, dass sie von nichts wussten«, so Schmid.
IOC und WADA halten Rodtschenkow für glaubwürdig. Dieser hatte auch berichtet, er habe mit Mutko über das systematische Doping gesprochen. Rodschenkow lebt heute in den USA in einem Zeugenschutzprogramm. Russland bezichtigt ihn der Lüge und fordert seine Auslieferung.
Zuletzt war der WADA auch eine Datenbank des Moskauer Labors zugespielt worden, die alle Testdaten zwischen 2012 und 2015 beinhalten soll und damit weitere Betrügereien nachweisen könnte. Die WADA hält den Datensatz für echt und soll ihn der Schmid-Kommission zur Verfügung gestellt haben. WADA-Ermittler Richard McLaren hatte zuvor erklärt, mehr als 1000 russische Athleten sollen in den vergangenen Jahren davon profitiert haben, dass positive Proben von ihnen nicht gemeldet wurden oder sie anderweitig von höchsten Stellen geschützt wurden.
Eine weitere IOC-Kommission unter Vorsitz von Denis Oswald hatte in den vergangenen Monaten bereits 25 russische Sportler, die am Dopingsystem in Sotschi 2014 beteiligt gewesen sein sollen, lebenslang für Olympia gesperrt. Russische Funktionäre sagten ihnen danach stets ihre Unterstützung zu. »Alles, was wir tun können, ist, vor Gericht zu ziehen und die Interessen unserer Leute zu schützen, die wir als Champions betrachten«, hatte der neue Sportminister Pawel Kolobkow noch am Dienstag wenige Stunden vor der IOC-Entscheidung laut Nachrichtenagentur Tass gesagt.
»Das internationale Sportsystem und die olympische Gesetzgebung haben sich als sehr kompliziert und widersprüchlich erwiesen, da in ähnlichen Fällen völlig unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden«, behauptete Kolobkow weiter. Dem entgegnete nun Schmid mit der eindeutigen Aussage: »Wir haben noch nie Manipulation und Betrug in diesem Ausmaß erlebt, die den Olympischen Spielen einen immensen Schaden beschert haben.«
Russland hatte mehrere Abgesandte nach Lausanne geschickt, um der IOC-Exekutive noch einmal seine Sicht der Dinge zu vermitteln. ROC-Vositzender Alexander Schukow soll sich laut Bach entschuldigt haben. Als IOC-Mitglied wurde er trotzdem erst mal suspendiert.
Währenddessen berichtete die noch recht neue Task Force, zwischen April und November dieses Jahres fast 7000 Tests an 4000 Athleten aus 62 Ländern vorgenommen zu haben. Das seien rund 50 Prozent mehr als im vergleichbaren Zeitraum vor den Sommerspielen 2016. Die Spezialeinheit, an der sich neben dem IOC auch die WADA und internationalen Sportverbände beteiligen, will mit einer drastischen Erhöhung der Testanzahl Doping besser eindämmen. »Wir gehen davon aus, dass es bis zu den Spielen 20.000 Tests sein werden«, sagte Richard Budgett, IOC-Direktor für Medizin und Wissenschaft in Lausanne.
Ein Schwerpunkt der Kontrollen lag demnach auf russischen Athletinnen und Athleten, die 1240 Tests unterzogen wurden. Über mögliche positive Tests machte das IOC keine Angaben. Die Sportler mit negativen Resultaten dürfen nun zumindest darauf hoffen, im Februar nach Südkorea reisen zu dürfen.
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