Zwei Weihnachten für die Ukraine

Anpassung an westliche Bräuche mit einem politischen und wirtschaftlichen Hintergrund

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Ukraine geht derzeit gleich zwei Weihnachtsfesten entgegen. Im November beschoss das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, dass neben dem orthodoxen Weihnachten am 7. Januar auch das katholische Weihnachtsfest am 25. Dezember zum gesetzlichen Feiertag wird. In diesem Jahr also werden am 25. Dezember die Ukrainer zum ersten Mal nicht zur Arbeit gehen müssen. Dass in der Ukraine vorher nur der 7. Januar gefeiert wurde, erklärt sich aus der deutlich überwiegenden Zahl der orthodoxen Christen. Allerdings sind auch Katholiken und Protestanten gerade in westlichen Regionen des Landes stark vertreten.

Doch die Entscheidung der Werchowna Rada ist in erster Linie ein eindeutiges Politikum. »Wir entfernen uns damit von der Moskauer mentalen Okkupation«, meint Parlamentsvorsitzender Andrij Parubij, der zum nationalistischen Kreis der ukrainischen Politiker gehört. »Wir wollen damit allen zeigen, dass wir Ukrainer in die Reihen der freien Völker der Welt gehören.«

Parubij gehört zu den Initiatoren des neuen Gesetzes - und begründet seine Initiative außerdem mit dem Wunsch, das ukrainische Volk zu vereinen: »Am 25. Dezember wird Weihnachten von über 11 000 ukrainischen Gemeinden gefeiert. Daher ist es unsere Pflicht, dass auch der 25. Dezember als gesetzlicher Feiertag gesetzt wird.«

Das Gesetz wurde mit 238 Ja-Stimmen und ohne größere Diskussion vom Parlament verabschiedet - und wenige Wochen später vom Präsidenten Poroschenko, der die Idee ausdrücklich lobte, bestätigt. In der ukrainischen Gesellschaft löste die Entscheidung jedoch mehrere Debatten aus, unter anderem eine kirchenpolitische - ob es für orthodoxe Kirchen überhaupt Sinn macht, an dem alten julianischen Kalender festzuhalten.

Denn der zweiwöchige Unterschied zwischen dem katholischen und dem orthodoxen Weihnachten liegt ausschließlich an der Berechnung. Dabei entsteht ein Paradoxon: Das Neujahr, der wichtigste Winterfeiertag in der Ukraine, wird zwar am 1. Januar gefeiert, sollte aber nach dem julianischen Kalender am 14. Januar gefeiert werden - dieser Tag wird im postsowjetischen Raum innoffiziell als das Alte Neujahr bezeichnet. Und so steht Weihnachten nach dem Neujahr im Kalender, obwohl es grundsätzlich umgekehrt sein sollte.

Die eigentliche Debatte dreht sich um die klassische Politik: Soll die Ukraine wegen ihrer westlichen Ausrichtung auch im Kulturbereich die Bräuche des Westens übernehmen? »Diese Entscheidung ist zu begrüßen«, meint Iryna Geraschtschenko, Abgeordnete der Präsidentenfraktion Blok Poroschenko. »Wir haben wieder gezeigt, dass die Ukraine zur zivilisierten Welt gehört. Gut, dass 238 Abgeordnete auf den gesunden Menschenverstand hörten.«

Anders sieht es im Oppositionsblock aus, dessen Kernwählerschaft vor allem aus dem Osten und Süden der Ukraine kommt. Man müsse zwar die Interessen der Katholiken und Protestanten berücksichtigen, das gehe allerdings auch auf lokaler Ebene - und müsse nicht unbedingt auf nationaler erfolgen. Dazu kommt eine große Debatte in sozialen Medien, die sich unter anderem darum dreht, dass zugunsten des 25. Dezember der 2. Mai, früher ebenfalls Feiertag neben dem 1. Mai, gestrichen wurde.

Tatsächlich wurde die Frage nach der Arbeitsfreiheit am 25. Dezember früher in der Westukraine von lokalen Behörden entschieden. So machte zum Beispiel der Regierungsbezirk Transkarpatien einen Samstag zum Arbeitstag, damit die Bewohner der Region zum katholischen Weihnachten frei haben. Auch im Bezirk Lwiw stellt man keinen großen Unterschied fest. Da Lwiw allerdings als touristische Hochburg gilt, werden vor allem Vorteile im touristischen Bereich erwartet. »Gerade in diesem Jahr fallen der 23. und der 24. Dezember auf das Wochenende, drei Feiertage in Folge können also noch mehr Touristen zu uns bringen«, wird in der Bezirksverwaltung Lwiw betont.

Im letzten Jahr haben 400 000 Menschen Lwiw zu den Neujahrsfeiertagen besucht - und in diesem Jahr hofft man, diesen Rekord zu knacken. Die Entscheidung des ukrainischen Parlaments hat also nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche Dimension, zumal das westukrainische Lwiw mittlerweile als eine billige Alternative für viele westliche Touristen in Frage kommt.

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