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Aufruf zur Einmischung
Der Chaos Computer Club lädt mit klassischen Hackerthemen und politischen Kontroversen zum Kongress
Riesige Hallen und umherlaufende Roboter, Laserstrahlen und Matratzenlager, piepende Modularcomputer und selbstgebackene Plätzchen, hackende Kinder und programmierende Eltern - es ist eine surreale Mischung aus seriöser Professionalität und eigensinnigen Computerfreak-Basteleien, aus Futurismus und Do-it-yourself, die die Atmosphäre des 34C3, des jährlichen Kongresses des Chaos Computer Clubs, ausmacht. Zum 34. Mal kommt die Hackercommunity mit rund 15 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern diese Woche zusammen, um über Themen wie Netzpolitik, Datenschutz, Abhörskandale oder Programmieren zu diskutieren, sich auszutauschen und zu vernetzen. Erstmals findet das Treffen in Leipzig statt.
Dabei geht es um mehr als um nächtelange Kryptopartys, die Programmierung von Robotern oder das Hacken von Webseiten. »Der Kongress ist Utopie«, sagt der Hacker Tim Pritlove bei der Eröffnungsveranstaltung. Damit ruft bereits die Eingangsrede nicht nur zu utopischem Denken, sondern auch zu gesellschaftlicher Einmischung auf.
Es ist genau das, was dem größten Hackerkongress in Europa eine Besonderheit verschafft: ein gesellschaftskritischer Anspruch, der nicht zuletzt durch das nostalgisch-angehauchte Motto »TUWAT!« seinen Ausdruck findet. Es verweist auf den Einladungstext zu dem Tuwat-Treffen autonomer Gruppen, das im Jahr 1981 stattgefunden hat. Damals hatte unter anderem der inzwischen verstorbene CCC-Mitbegründer Wau Holland zu einem »Neustart der Gesellschaft« aufgerufen. In der damals veröffentlichten Erklärung, die gleichsam der Eröffnungstext für den diesjährigen Kongress ist, heißt es: »Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat.«
Der Anspruch des 34C3 ist es, eine »temporäre autonome Zone« zu schaffen. In den vergangenen Jahren fand der Kongress in Hamburg statt. Dort saßen Menschen mit Laptops auf dem Schoß in Grüppchen auf Teppichböden in engen Gängen und diskutierten oder tauschten Daten aus. Im Vergleich dazu wirkt der Kongress in den massiven Leipziger Messehallen weitaus unpersönlicher. Es scheint, als habe die Professionalisierung die essenziellen Do-it-yourself-Aspekte marginalisiert. Die Hallen sind riesig, die Wege weit. So weit, dass sich einige mit Cityroller fortbewegen. Ecken, in die sich Grüppchen zurückziehen können, gibt es zwar. Sie sind jedoch weit verstreut. Schadet die Expansion also dem Gemeinschaftsaspekt? »Eigentlich ist es gut, dass das Interesse so groß ist«, sagt Paul Wolke, der zum dritten Mal an dem Kongress teilnimmt. »Es wird sich die nächsten Tage aber zeigen, ob die Leute es schaffen, sich den Raum wie in den vergangenen Jahren zu nehmen und selbst zu gestalten.«
Auch wenn Veranstalter und Teilnehmende sich bemühen, kritische Debatten und gesellschaftliche Interventionsmöglichkeiten auf die Agenda zu bringen, sucht man nach manchen Themen vergeblich. So wies Pritlove zwar in der Eröffnungsrede auf die Relevanz von Leipzig als Veranstaltungsort hin - in Sachsen ist die AfD bei der Bundestagwahl mit 27 Prozent stärkste Partei geworden. Eine klare Thematisierung des Rechtsrucks blieb jedoch zunächst aus. Debatten zur Enttabuisierung rassistischer Diskurse oder zum Erstarken der AfD tauchen auch im Programm nur an wenigen Stellen auf. Von einem antifaschistisch geprägten Kongress, auf dem Nazi-Webseiten gehackt werden und linke Lektüre diskutiert wird, hätte man sich mehr erhofft.
Doch es ist nicht die einzige Auseinandersetzung, die fehlt. Seit Jahren begleiten den Kongress Sexismus-Kontroversen - nicht unüblich in der männerdominierten Hackerwelt. Bereits 2013 wurde darüber gestritten, ob Computerspezialist Jacob Appelbaum, dem mehrfach sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung vorgeworfen wurde, einen Vortrag auf der Konferenz halten darf. Er durfte. Kurz darauf erklärte der CCC ihn jedoch aufgrund erneut aufkeimender Debatten zur unerwünschten Person. Appelbaum entschuldigte sich öffentlich für sexuelle Übergriffe - wies jedoch die Vergewaltigungsvorwürfe zurück.
Die explizite Thematisierung von Sexismus in der Hackercommunity sucht man vergebens. Ein fatales Zeichen in einer Community, in der Frauen noch immer unterrepräsentiert sind. Auch wenn unter den Vortragenden viele Frauen sind - der bittere Beigeschmack bleibt, insbesondere, weil der CCC einen explizit politischen Anspruch hat. Auf anderen Ebenen taucht dieser Anspruch indes immer wieder auf - zum Beispiel in dem Vortrag des früheren Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele zum Abhörskandal oder in dem netzpolitischen Wetterbericht von Blogger Markus Beckedahl.
Auf dem Kongress geht es um Überwachung und Datenschutz, um Trump und die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft. Und es geht um Fluch und Segen von Algorithmen und um künstliche Intelligenz. Beispielsweise wies der Science-Fiction-Autor Charles Stross in seiner Präsentation auf die Gefahren von künstlicher Intelligenz hin. Auch in den kommenden Tagen wird das Thema eine Rolle spielen.
Letztlich kommt es neben großen Vorträgen auf das diesjährige Motto an: Tu was. Auch wenn der 34C3 hinter einigen Debatten her hinkt, er bietet gute Rahmenbedingungen für Auseinandersetzung, Debatte und Vernetzung. Dass er zum angestrebten Neustart in der Gesellschaft führt, daran lässt sich zweifeln. Doch in der gelebten Utopie des Kongresses steckt der transformative Wert. Der Aufruf zur Intervention, der im diesjährigen Motto steckt, ist jedenfalls genau das, was die gesellschaftlichen Debatten derzeit benötigen.
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