• Politik
  • Demonstrationen in der Islamischen Republik

Der Frust der Iraner

Proteste gegen steigende Preise und gegen das System äußern sich im ganzen Land

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es begann, soweit man das sagen kann, damit, dass die Stadtverwaltung von Maschhad Mitte der vergangenen Woche entschied, die Preisbindung für Grundnahrungsmittel anzuheben. Das passiert derzeit sehr oft in Iran, doch dieses Mal gingen die Menschen dagegen auf die Straße. Zunächst waren es nur ein paar Hundert, dann ein paar Tausend. Und in einem Land in dem schon kleine unangemeldete Versammlungen von der Polizei aufgelöst werden, ist das sehr viel.

Doch dieses Mal war etwas anders: »Wir haben im Internet gesehen, wie die Leute da demonstrieren, und die Polizei nichts dagegen tut«, sagt Ali, ein Student an der Universität Teheran: »Und mit Demos ist es bei uns so, wie wenn‘s irgendwo ein Sonderangebot gibt: Man muss alles stehen und liegen lassen, weil es schnell wieder vorbei sein kann.«

Und auch wenn die derzeitigen Proteste größenmäßig weit hinter den vergangenen großen Protesten 2009 zurück bleiben: Vor allem junge Leute nutzen die Gelegenheit. Anders als 2009 gibt es aber keine zentralen Forderungen; die derzeitigen Proteste sind Einzeldemonstrationen, die sich gleichzeitig abspielen: Mal richten sich sich gegen die Wirtschaftspolitik von Präsident Hassan Ruhani, mal gegen das System insgesamt. In einigen Städten wurde für mehr Umweltschutz demonstriert, in Teheran gingen Studenten für Frauenrechte und gegen die Todesstrafe auf die Straße.

Es ist eine tief sitzende Frustration, die in den Protesten zum Ausdruck kommt: Die Arbeitslosigkeit liegt bei offiziell 28 Prozent. Wer Arbeit hat, verdient oft nicht genug zum Überleben. Gleichzeitig steigen die Preise auch für Grundnahrungsmittel ständig. Immer wieder wird derzeit die Korruption kritisiert. In den vergangenen Monaten erlebten die Menschen mit, wie die Justiz öffentlich Funktionäre der Revolutionsgarden anklagte. Erstmals überhaupt machten auch Mutmaßungen über die Kosten für das militärische Engagement in Syrien, die Unterstützung von Hisbollah, Hamas und der jemenitischen Huthi-Milizen die Runde. »Helft uns, nicht Syrien«, skandierten Demonstranten in Teheran, in Qom und Maschhad. In Qom gingen Anhänger der »Islamischen Gemeinschaft der Ingenieure« auf die Straße, einer rechtskonservativen Gruppierung, deren prominentester Vertreter Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist, und auch anderswo waren Plakate rechter Gruppierungen zu sehen, die ansonsten vehemente Unterstützer der Hardliner sind. Bei den Demonstranten dürfte es sich eher wenig um Unterstützer des Reformerlagers handelt, dem auch Präsident Ruhani angehört.

Ruhani mahnt die Demonstranten derzeit immer wieder zur Gewaltfreiheit, und die Behörden zur Zurückhaltung. Die Meinungsfreiheit müsse gewährleistet werden. Er hat derzeit viel zu verlieren, und das nicht so sehr, weil sich der Unmut vielfach an seiner Politik entfacht. Im Wahlkampf hatte er mehr Meinungsfreiheit, mehr Bürgerrechte versprochen, und gleichzeitig auch selbst immer wieder Debatten über Themen entfacht, die in Iran bislang als Tabu galten - die Todesstrafe, vor allem. Gleichzeitig wurden erstmals überhaupt Wahldebatten live im Fernsehen übertragen, über Korruptionsermittlungen berichtet, und auch jetzt erleben die Menschen ein Novum: Das Staatsfernsehen zeigt erstmals Bilder der Proteste.

Vor allem in der traditionell von Ultrakonservativen durchsetzten Justiz und in den Revolutionsgarden, die neben dem Regierung/Parlament und dem oberster Ajatollah/Wächterrat den dritten Machtfaktor in Iran stellen, wird nun ein hartes Durchgreifen gegen die Proteste gefordert. Vor allem in Kleinstädten geht die Polizei auf Anordnung der Provinzgouverneure mit Gewalt gegen Demonstrationen vor; mindestens zehn Menschen starben. Auffällig ist dabei, dass sich Ajatollah Ali Chamenei bislang noch nicht zu den Protesten positioniert hat: Man beobachte die Lage sehr genau, habe aber »volles Vertrauen« in die Regierung.

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