Der Waldrapp und die Festung der Bayern-SPD
Burghausen im Südosten des Freistaats hat nicht nur eine einmalige Burganlage - es ist in mancherlei Hinsicht besonders
Der Wappenvogel der Stadt ist er zwar noch nicht, aber er hat das Zeug dazu - der Waldrapp. Denn dieser gänsegroße Ibis mit überlangem Krummschnabel, Irokesenschnitt und rotem Kahlschädel ist in Deutschland und vielleicht ganz Europa nirgends so häufig anzutreffen wie in Burghausen. Zur bayerischen Landesgartenschau 2004 war er erstmals dort zu sehen, ab 2018 rechnen Artenschützer mit rund 50 Waldrappen in den beiden Brutkolonien von Burghausen.
Seit 2011 kehren die einst weit verbreiteten, dann aber durch starke Bejagung vor 350 Jahren fast ausgerotteten Schreitvögel aus ihren Winterquartieren in der Toskana wieder nach Burghausen zurück. Seit 2012 brüten sie an der Salzach und geben ihre Zugtradition an den Nachwuchs weiter - nun bereits ohne das anfangs nötige menschliche Zutun. »Eine tolle Erfolgsstory!«, meint Johannes Fritz, der 2002 das EU-geförderte europäische Waldrappteam gründete und seither auch leitet.
Dabei ist Burghausen - eine Industrie- und Hochschulstadt mit gut 18 000 Einwohnern direkt an der Grenze zu Österreich - nicht eben weithin bekannt. Die »Salzachperle«, wie sich die Stadt bewirbt, gilt als Geheimtipp. Nicht einmal in Bayern gehört es zum Jedermannwissen, dass sich durch Burghausen die mit 1051 Metern Ausdehnung längste Burganlage der Welt zieht. Scheinbar endlos reihen sich über einen Bergrücken Zinnen und Türme aneinander. Und darunter erhielt sich ein geschlossenes Denkmalensemble aus bunten spätgotischen Giebelhäusern und Gassen. Dies dank der Tatsache, dass die Stadt im frühen 20. Jahrhundert so schnell wuchs, dass man Altes nicht erst abriss, sondern gleich eine komplette, allerdings schmucklose Neustadt errichtete.
Fußballfreaks erinnern sich noch, dass der SV Wacker ab 2002 einige Jahre in der 2. Bundesliga kickte. Politisch Interessierten könnte bekannt sein, dass die LINKE in Burghausen immerhin gut zwei Prozent erreichte. Dank einer starken Wirtschaft, vor allem durch die global agierende Wacker Chemie AG sowie Bayerns größte Erdölraffinerie, etablierte sich über die Jahre auch eine beachtliche Kulturszene. Seit Ende der 1960er Jahre lockt etwa die Internationale Jazzwoche Burghausen viele Musikgrößen in die Stadt.
Obwohl der Waldrapp nicht zu den Störchen zählt, hat er inzwischen wohl auch eine fruchtbringende Wirkung für Burghausen. Denn die Zahl der Geburten steigt wieder. So finden zwar in den sechs Kitas 95 Kinder Platz, doch weitere 32 Zwerge sind sozusagen in der Warteschleife. Drum plant man im Rathaus für 2018 eine weitere Einrichtung, sofern im Januar der Stadtrat dafür grünes Licht gibt. Avisiert ist eine bisher selten praktizierte Patenschaft: Der SV Wacker will die Kita als Sportkindergarten profilieren. Bereits beschlossen wurde im November, dass für junge Eltern ab 2018 keine Krippengebühren mehr anfallen. Ein folgerichtiger Schritt, nachdem der Kindergarten in Burghausen seit Jahren schon kostenlos ist.
Motor des Ganzen ist der Erste Bürgermeister Hans Steindl (SPD). Selbst jene, die längst eigenen Nachwuchs morgens zur Kita bringen, waren kaum geboren, als er erstmals ins Rathaus einzog: Mit 27 Amtsjahren ist der 67-jährige eines der dienstältesten Stadtoberhäupter Deutschlands.
Steindl sieht mit seinen für heutigen Geschmack etwas zu langen Haaren ein wenig wie ein alternder Schlagersänger aus. Doch so, wie jene mit zunehmender Reife oft noch immer neue Fans ansprechen, legte auch er von Wahl zu Wahl zu. 1984 noch am CSU-Widersacher gescheitert und 1990 nur knapp in der Stichwahl erfolgreich, holte er zu seiner vierten Wiederwahl 2014 schon im ersten Wahlgang satte 84 Prozent. Erstmals öffentlich für Schlagzeilen sorgte er übrigens schon als Teenager, nämlich als einer Initiatoren für das Freizeitheim Burghausen. Das ist eines der ältesten bis heute bestehenden selbstverwalteten Jugendzentren der Bundesrepublik. Der »rote Rebell« - so nannte ihn damals die Lokalpresse.
Unterpfand von Steindls Popularität sowie der seiner Partei, die er inzwischen zur absoluten Mehrheit im Stadtrat mitriss, ist eine nicht nur für Bayern beispielhafte Sozialpolitik. Denn um die Vorstellung einer »Familienstadt« umzusetzen, geht man in Burghausen in vielen Bereichen weit über die Pflichtleistungen einer Kommune hinaus. Das Parken in den Tiefgaragen ist ebenso unentgeltlich wie die winterliche Eisbahn in der Stadtmitte, die Grüngutentsorgung oder die Nutzung kommunaler Gebäude durch Burghausener Vereine.
Die Stadt - obwohl nicht einmal Kreissitz - leistet sich neben gebührenfreien Kitas auch ein Bürgerhaus, eine Musikschule mit 20 Lehrkräften, einen preisgünstigen City-Bus und eine Stadtbibliothek. Hinzu kommen eine beeindruckende Bäderlandschaft unterhalb sowie mehrere museale Einrichtungen auf der Burg, eine eigene Verkehrsüberwachung sowie ein nächtlicher Sicherheitsdienst. Auch für die fünf Hortgruppen - sie sind anders als eine Ganztagsschule aber nicht kostenlos - gab Steindl jüngst eine Bestandsgarantie. Das allerdings nur bis zum Jahr 2020 - dem Ende nunmehr wohl letzten Amtsperiode des Bürgermeisters.
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