»Sorry, dass ich gewonnen habe!«

Zum Abschied scheitert Darts-Superstar Phil Taylor am neuen Weltmeister Rob Cross, der sein Nachfolger werden soll

Als Rob Cross auch noch die letzten 140 Punkte mit nur drei Pfeilen auswarf, hätte er eigentlich jubeln sollen. Immerhin war der 27-jährige Engländer gerade Darts-Weltmeister geworden. Zum ersten Mal. Bei seiner ersten WM-Teilnahme. In seiner ersten Profisaison. Doch Cross kratzte sich nur kurz am Kopf und drehte sich dann mit hängendem Kinn zu seinem Gegner um, als wollte er ihm sagen: »Sorry, dass ich gewonnen habe!« Cross hatte nicht einfach nur gewonnen. Er hatte den großen Phil Taylor mit 7:2 besiegt. In dessen letztem Match. Eine Karriere beginnt, die andere endet. Und der junge Cross entschied sich, erst einmal die des 30 Jahre älteren Superstars zu feiern.

Wenige Minuten später erhielt der neue Weltmeister die riesige Sid-Waddell-Trophäe, und nicht mal die wollte er haben. Er winkte Taylor an seine Seite: Hier, nimm sie noch ein letztes Mal! »Ich fühle mich großartig. Das ist meine erste Trophäe«, sagte Cross. »Aber hier geht es um Phils Abschied. Er ist phänomenal und hat so viel für diesen Sport getan, ich hoffe er tritt zufrieden zurück.«.

Ja, dieser Abend triefte vor Pathos. So etwas kommt oft peinlich daher, diesmal schien es irgendwie angemessen. Denn ohne Phil Taylor wäre Darts nicht der Sport, der er heute ist. Darts wäre in den Augen der allermeisten noch nicht mal ein Sport. Das änderte sich erst in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten, die Phil »The Power« Taylor so dominiert hat. Seit 1990 gewann er 16 WM-Titel, von 1995 bis 2002 waren es sogar acht in Serie.

Taylor war - auch wenn er nie besonders gut aussah - der Posterboy der Szene. Ende der 80er Jahre drohte der Pub-Sport sogar in seiner britischen Heimat in der medialen Versenkung zu verschwinden. Dann trennten sich 16 Spitzenspieler, darunter Taylor, von der British Darts Organisation, und danach wuchs die Popularität in der professionelleren Professional Darts Corporation (PDC) wieder an. Taylor wurde ihr Star und gewann mehr als 200 Turniere weltweit.

Ehefrau Yvonne und die gemeinsamen vier Kinder sah er kaum. Stattdessen nahm er sich weit weg von daheim schon mal junge Mädchen mit in den Van - und wurde 2001 der sexuellen Belästigung schuldig gesprochen. Die Fans bekamen davon kaum etwas mit. Sie sahen nur die Siege, und davon immer mehr. Als Taylor 1990 erstmals Weltmeister wurde, lief nur die WM im englischen Fernsehen. Jetzt ist Darts, speziell in England und den Niederlanden überall zu sehen. Sogar auf dem Spartensender Sport1 schauten bis zu 2,73 Millionen Deutsche Cross und Taylor beim präzisen Pfeilewerfen zu.

Taylors größtes Verdienst ist aber, dass sich sein Sport keine Zukunftssorgen macht, nun da er abtritt. Dem Engländer eiferten viele Talente nach, die selbst Stars wurden, viel Geld verdienen und Taylor in den vergangenen Jahren das Leben immer schwerer machten. Allen voran Doppelweltmeister Michael van Gerwen aus den Niederlanden - und jetzt auch noch Cross, der zuerst im Halbfinale den Weltranglistenersten van Gerwen und danach Taylor bezwang. »Ich hab einfach nicht mehr die Energie, einen Mann wie Rob Cross zu schlagen«, gestand Taylor.

Zu Beginn des Jahres hatten die Engländer noch über ein Nachwuchsproblem debattiert, nun jubeln sie ihrem neuen Liebling zu und ziehen allerlei lächerliche Parallelen: Im Jahr von Taylors erstem WM-Erfolg wurde Cross geboren. Und wie einst dem großen Vorbild gelang auch dem Jungprofi gleich bei der ersten Teilnahme der WM-Erfolg. Cross ist zudem der einzige Spieler, der eine positive Bilanz gegen Taylor hat - es war ihr erstes Duell. Und dann sind da ja noch die elektrifizierenden Spitznamen: Auf »The Power«, was in einer seiner vielen Bedeutungen auch Strom bedeutet, folgt jetzt »Voltage«, die Spannung. Klare Anzeichen für eine erfolgreiche Karriere!

Doch auch Taylor sieht in Cross seinen legitimen Nachfolger: »Er spielt so, wie ich es vor 25 Jahren tat. Er lässt nicht locker. Er hat sich dem Sport vollends verschrieben, und er betreibt ihn nicht des Geldes wegen, sondern weil er einfach gewinnen will. Die anderen werden noch große Probleme mit ihm bekommen«, lobte Taylor seinen Rivalen und strich ihm väterlich über den kahlen Kopf.

Taylor selbst wird Pfeile und Scheibe übrigens nicht in den Keller bringen, er hat nur keine Lust mehr auf den Turnierstress. Stattdessen will er nach einer kleinen Auszeit 180 Showmatches in diesem Jahr bestreiten. Den Fans geht der Superstar also nicht verloren.

Wohl aber der PDC, die weiß, was sie an Taylor hatte. Keine zwölf Stunden nach dem WM-Finale, wurde das zweitwichtigste Turnier, das World Matchplay, in »Phil Taylor Trophy« umbenannt. Es war sein Lieblingswettbewerb, und er gewann er es 2017 noch ein letztes Mal. Wie bei der Weltmeisterschaft hat er auch hier 16 Turniersiege vorzuweisen - Rekorde für die Ewigkeit.

Es sind solche Bestwerte, die die Faszination des 57-Jährigen ausmachen: 236 WM-Matches spielte Taylor, nur 13 davon verlor er. 21 Mal stand er im Finale, nur fünf mal gewann er es nicht. Er verdiente sich umgerechnet 8,1 Millionen Euro Preisgeld, holte 83 Major-Siege und warf 22 sogenannte Neun-Darter, diese so seltenen perfekten Durchgänge, in denen neun Pfeile reichen, um alle 501 Punkte zu erzielen. Taylor warf einst den ersten live übertragenen Neun-Darter. Im TV gab es überhaupt erst 51 zu sehen. Bei der WM warf Taylor nie einen. Im Finale 2018 hätte es fast noch geklappt. Acht Perfekte Pfeile hatte er im fünften Satz schon getroffen, doch die Doppel-12 verfehlte er um Millimeter. Stattdessen gewann Cross den Durchgang und zog davon. Das perfekte Sinnbild der Wachablösung.

Natürlich wurde Taylor nach seinem etwas überraschenden Finaleinzug gefragt, ob er nicht doch noch weitermachen wolle. »Nein«, antwortete er entschieden. »Heutzutage muss man sieben Tage die Woche spielen. Ich bin immer weg von zu Hause in irgendwelchen Hotels. Ich möchte dieses Leben nicht mehr. Es reicht.«

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