- Politik
- Immerath
Kirchenverstromung
Greenpeace-Aktivisten verzögern Abriss des »Immerather Doms« durch Abseil- und Ankettaktionen
So viel Leben hat der kleine Ort Immerath, das gut 20 Kilometer südlich von Mönchengladbach direkt an der Abbruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler liegt, schon lange nicht mehr gesehen. Einst lebten hier über 1500 Menschen, heute ist es nur noch eine Handvoll. Zwei Bauern verkaufen auf ihren Höfen noch Kartoffeln, ein Abrissunternehmer wohnt noch im Zentrum. Sie alle leben in einem Dorf, das sich im Abriss befindet.
Rund um die St. Lambertus Kirche, die von der Bevölkerung auch als »Immerather Dom« bezeichnet wird, haben Bauarbeiter schon das meiste platt gemacht. Kein Baum steht hier mehr und auch die meisten Häuser sind schon verschwunden. Die Kirche steht inmitten einer Brachfläche, auf der sich in diesen Tagen zahlreiche Pfützen bilden. Direkt um das zwischen 1888 und 1891 errichtete Gebäude hat der Energiekonzern RWE Bauzäune aufgestellt. Niemand soll der Kirche und den für den Abriss bereitstehenden Baggern zu nahe kommen.
In den Tagen vor dem Abriss versammeln sich aber hunderte Menschen rund um die St. Lambertus Kirche. Ganz unterschiedliche Motive treiben sie an. Da sind zum Beispiel die Klimaaktivisten aus dem Hambacher Forst, Hobbyfotografen, die einen Ausflug in das Geisterdorf machen, oder ehemalige Einwohner Immeraths, die Abschied nehmen wollen. Die Immerather, sie stehen bei ihrer alten Kirche oder spazieren durch die Reste ihrer alten Heimat. Sie erzählen sich gegenseitig Geschichten. Sprechen über Orte und Erlebnisse, die sie mit ihnen verbinden. »Es ist schwer das alles mit anzusehen«, sagt eine Frau, die jetzt im Umsiedlungsdorf Immerath (neu) lebt. Günther Salentin, der letzte Pfarrer von St. Lambertus, ist am Sonntag nicht zum politischen Gebet nach Immerath gekommen. Zu schwer wäre ihm dies gefallen, erzählt eine der Organisatorinnen der Mahnwache. Dafür ergreift ein evangelischer Kollege aus einem Nachbardorf das Wort und spricht über die »Ignoranz«, mit der sie von der Politik behandelt worden seien. Er habe Briefe geschrieben an Hannelore Kraft, Armin Laschet und alle SPD-Abgeordneten aus der Region. Antworten habe er nicht bekommen. In Gesprächen ernten Ministerpräsident Laschet (CDU) und seine Heimatministerin Ina Scharrenbach besonderen Spott. Von »Schöpfung bewahren« und »Heimatgefühl stärken«, wie beide es nach dem Regierungswechsel angekündigt hatten, sei im Braunkohlerevier nicht viel zu spüren.
Auch linksradikale Aktivisten aus dem Hambacher Forst mischen sich bei der Mahnwache am Sonntag immer wieder in die Gespräche ein, sprechen darüber, dass es um mehr als Heimat gehe, »globale Verantwortung« ist ein Stichwort, das öfter fällt. Auch versuchen sie zu erläutern, dass der Kapitalismus immer wieder zu Zerstörungen und sozialen Verwerfungen führt. Wirklich widersprechen will ihnen in Immerath niemand, stattdessen gibt es viel Lob für ihre Besetzung im Hambacher Forst.
Als es am Montag dann ernst werden soll und die Bagger mit dem Abriss beginnen wollen, sind es Greenpeace-Aktivisten, die RWE den Plan zunächst durchkreuzen. Am frühen Morgen dringen sie in das abgesperrte Gelände um die Kirche ein. Kletteraktivisten der Umweltorganisation betreten die Kirche und seilen sich über dem Eingangsportal ab. Auf einem Transparent steht: »Wer Kultur zerstört, zerstört auch Menschen.«
Weitere Aktivisten haben sich an einen der Abrissbagger gekettet. Der eigentlich ab 9 Uhr geplante Abriss von St. Lambertus verzögert sich. Erst am Mittag treffen Kletterer der Polizei bei den Aktivisten, die am Dom hängen, ein. Mehr als ein Nadelstich gegen die Pläne von RWE kann die Aktion nicht sein. Aber sie verschafft Aufmerksamkeit. Aus Immerath mussten knapp 700 Menschen wegziehen. In Zeiten, in denen breit über einen Ausstieg aus der Kohleverstromung diskutiert wird, wirkt das nur noch schwer vermittelbar. Mit fünfstündiger Verspätung beginnt gegen 14 Uhr der Abriss des Immerather Domes.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.