Härte, Hoffnung, Herzlosigkeit
Woody Allens »Wonder Wheel« ist ein Melodrama in Jahrmarktsfarben
Die Jahrmarktsbuden haben ihre besten Zeiten hinter sich, das Karrussell ist altmodisch, die Gegend heruntergekommen - nur der Lärm hat nie nachgelassen, und die Lichter von Coney Island sind so bunt wie eh und je. Woody Allens 47. Film spielt in Brooklyns Vergnügungspark am Meer, trägt ein Riesenrad im Titel und ist beleuchtet wie eine billige Bühnenversion von »Endstation Sehnsucht«.
Jahrmarktslichterketten färben jeden Winkel in Ginnys Schlafzimmer karmesin - so entsteht eine Untergangsstimmung, die sich angesichts ihrer Lebensumstände als allzu treffend erweist. Ginny (Kate Winslet) kellnert in einer Muschelbude am Pier, ist mit dem Karrussellbetreiber Humpty (Jim Belushi) verheiratet und kümmert sich um ihren kleinen Sohn. Das ist die eine Ebene. Auf der anderen Ebene - und dies ist die Version ihres Lebens, die sie selbst um Längen bevorzugt - ist Ginny eine Schauspielerin kurz vor dem Durchbruch zu den großen Rollen, führte mal eine Traumehe mit einem Drummer und spielt ihr augenblickliches Leben nur, auf Zeit, temporär, so wie jede andere Rolle auch.
Ginny ist knapp vierzig, lädiert von den eigenen Fehlern, genervt vom steten Lärm der Schießbuden und Jahrmarktsorgeln, voller Sorge, dass Humpty wieder zu trinken anfangen könnte, und ratlos, was das ständige Zündeln ihres Sohnes angeht. Dass sie ihre erste Ehe offenbar durch unüberlegtes Fremdgehen selbst zerlegte, ist ihr schmerzhaft bewusst. Dass sie mit dem brüsken, Doppelrippunterhemd tragenden Humpty wenig gemein hat, auch - seine liebste Freizeitbeschäftigung ist das Angeln mit den Kumpels am Pier. Dass ihr Sohn sie über- und ihre Arbeit sie unterfordert, keiner ihrer hochfliegenden Träume je wahr wurde und nie mehr als eine Nebenrolle drin war - es lastet auf Ginny, es zeichnet steile Falten in ihre Stirn und legt eine Spur von Härte und Hysterie in ihre Stimme. Sie ist mit den Nerven am Ende - und sagt das auch häufig.
Hinzu zu allem Dauerstress kommt noch eine neue Belastung, Humptys aus der Vergangenheit auftauchende, entzückende blond gelockte Tochter (Juno Temple), die sich auf der Flucht vor ihrem Gangster-Ehemann und seinen Schergen befindet. Und Ginnys mühsam zusammengehaltene Contenance bricht zusammen. Die sommerliche Affäre mit Mickey Rubin (Justin Timberlake), Weltkriegsveteran, New Yorker Dramastudent mit angemessen schäbiger Bude im Künstler- und Autorenviertel Greenwich Village und jobbender Bademeister am Strand von Coney Island, muss plötzlich als letzte Hoffnung herhalten: auf die große Flucht aus den Umständen, auf ein besseres Leben, eine bessere Rolle. Als diese Traumvorstellung platzt, lässt Ginny sich zu etwas hinreißen, das sie niemals wird wiedergutmachen können.
»Wonder Wheel« ist ein Melodrama in Jahrmarktsfarben, mit einer Portion Douglas Sirk, einem Klacks Tennessee Williams, ein wenig Clifford Odets, einer Prise Eugene O’Neill, großzügig durchsetzt mit Versatzstücken aus diversen Woody-Allen-Werken, von »Der Stadtneurotiker« über »Bullets over Broadway« und »Mighty Aphrodite« bis zu »Verbrechen und andere Kleinigkeiten«. Es ist eine Hymne an vergangene Tage - man schreibt die Fünfziger - , aber auch eine Abrechnung mit Frauen in der Midlife-Krise. Und leider, trotz Kate Winslets manchmal anstrengend anzusehender Bravura-Performance, kein zweiter »Blue Jasmine«.
Vielleicht liegt es ja an Justin Timberlake: Mickeys klischeegetränkte Sentenzen kommentieren den Film, aber anders als in anderen Filmen Allens geht das nicht bis zum Imitat der zwischen stotterndem Zögern und atemlosem Wortschwall schwankenden Aphorismen des Filmemachers zu Gott, Welt und dem anderem Geschlecht. Timberlakes Mickey bleibt Stereotyp, das zweidimensionale Abziehbild eines Adonis in attraktiv altmodischer Badebekleidung. Vielleicht ist es Absicht, dass seine Kommentare so abgeschmackt und banal sind, seine Ansichten so uninspiriert, seine Leseempfehlungen so vorhersehbar prätentiös. Falls Doppelbödigkeit beabsichtigt war, ein Überführen des Verführers mit dessen eigenen Worten, verblasst sie gegenüber der Boshaftigkeit der Frauenporträts und der Herzlosigkeit des Elends, in dem Allen seine Protagonistinnen zurücklässt.
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