Auf der richtigen Seite der Barrikade

André Leisewitz gehört zur seltenen Spezies von 68ern, die sich treu geblieben sind

  • Frank Deppe
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn in diesem Jahr an »50 Jahre 1968« erinnert wird, dann drängen jene damaligen Helden der Teach-Ins und des Straßenkampfes in die Talkshows, die längst wieder in die Reihen der herrschenden Eliten aufgenommen wurden. Weniger Beachtung wird jenen linken Intellektuellen zuteil, die - aus bürgerlichen Familien kommend - noch als Gymnasiasten in der Jugend- und Studierendenbewegung seit Mitte der 60er Jahre politisiert wurden und noch heute wissen, wo die richtige Seite der Barrikade ist. Einer von ihnen ist André Leisewitz.

Linke Lehrer, die ihre Schülerinnen und Schüler auf Ernst Bloch und Wolfgang Abendroth aufmerksam machten, aber auch Kommunisten, die der großen Tradition der Bremer Arbeiterbewegung verbunden waren, prägten den politischen und wissenschaftlichen Weg des jungen André Leisewitz. 1968 beginnt er in Marburg mit dem Studium der Biologie und Soziologie und promoviert 1982 mit »Studien zu einer materialistischen Geschichte der Biologie« bei Kay Tjaden in Kassel. Sein Begriff des Marxismus war und ist auf die Realität der Klassenverhältnisse, des Klassenkampfes und der sozialen Bewegungen bezogen. Als Natur- und Sozialwissenschaftler greift er - etwa im Sinne vom John D. Bernal - Themen auf, die die Entwicklung von Wissenschaft und Technik im Kapitalismus, aber auch die Frage der Mensch-Natur-Beziehungen sowie früh die ökologischen Probleme betreffen.

Seit den frühen 1970er Jahren war André Leisewitz Mitarbeiter des von Josef Schleifstein, danach von Heinz Jung geleiteten Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF), das 1969 in Frankfurt am Main gegründet wurde und der DKP verbunden war. Das kleine IMSF galt nicht nur im »Osten« als hoch produktiver Think Tank. Seine Forschungen zur Klassenanalyse, zur Rolle der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, zur Staatstheorie und Staatsanalyse sowie seine Streikanalysen (zuerst zu den »Septemberstreiks 1969«) und Studien zu Gewerkschaften und sozialen Bewegungen wurden in den marxistischen Theoriedebatten der 70er und 80er Jahre und besonders beim linken Flügel der DGB-Gewerkschaften zur Kenntnis genommen und geschätzt.

Das Ende des »realen Sozialismus« konfrontierte Leisewitz und seine GenossInnen mit neuen beruflichen Aufgaben. Gleichzeitig engagierte er sich für zeitgemäße politische Projekte - vor allem für die »Zeitschrift marxistische Erneuerung - Z«. Sie war als theoretische Vierteljahresschrift noch 1989/90 von Heinz Jung und dem Bremer Ökonomen Jörg Huffschmid gegründet worden und hat sich im linken Medienspektrum einen Platz als Forum ernsthafter kapitalismuskritischer Debatten auf der Höhe der Zeit erworben. Dass sie inzwischen im 28. Jahrgang erscheint, ihre Redaktion sich gerade verjüngt und erweitert und dass Auflage wie Ansehen in der letzten Zeit noch einmal gewachsen sind, ist vor allem auf das Engagement von André Leisewitz zurückzuführen.

Die Marxistischen Studienwochen, die von ihm vor mehr als einem Jahrzehnt mit Unterstützung der Heinz-Jung-Stiftung als Bildungsangebot für junge Intellektuelle - Studierende, Mitglieder des SDS, Nachwuchssekretäre der Gewerkschaft usw. - initiiert wurden, erfreuen sich eines zunehmenden Interesses.

Das Schaffen von André Leisewitz, der in diesen Wochen 70 Jahre alt wurde, zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Kontinuität und die kreative Spannung von Orthodoxie und innovativem Denken aus. Gerne erinnert er daran, wie Jupp Scheifstein den jungen Mitarbeitern Lenin nicht als Dogmatiker empfahl, sondern als Analytiker gesellschaftlich-politischer Verhältnisse und strategischer Anforderungen für die revolutionäre Bewegung. Daher rührt gewiss auch sein Interesse nicht nur für naturwissenschaftliche Problemstellungen, sondern für historische Forschungen, für die Geschichte der Revolutionen und der Sowjetunion. Es kann angenommen werden, dass er ein besonders enges Verhältnis zu Friedrich Engels hat - nicht nur wegen der »Dialektik der Natur«, sondern auch weil Engels - wie Wolfgang Abendroth einmal bemerkte - im Vergleich zu Marx der bessere Historiker war. Friedrich Engels ging 1853 auf die Niederlage der »Revolutionspartei« von 1848 ein. Seine Schlussfolgerung antizipiert Aufgaben, die auch im frühen 21. Jahrhundert nicht überholt sind: »Sind wir … einmal geschlagen, so haben wir nichts anderes zu tun, als wieder von vorn anzufangen. Und die wahrscheinlich sehr kurze Ruhepause, die uns zwischen dem Schluss des ersten und dem Anfang des zweiten Aktes der Bewegung vergönnt ist, gibt uns zum Glück die Zeit für ein sehr notwendiges Stück Arbeit; für die Untersuchung der Ursachen, die unweigerlich sowohl zu der letzten Erhebung als auch zu ihrem Misslingen führten; Ursachen, die nicht in den zufälligen Bestrebungen, Talenten, Fehlern, Irrtümern und Verrätereien einiger Führer zu suchen sind, sondern in den allgemeinen Lebensbedingungen einer jeden, von Erschütterungen betroffenen Nation« (MEW 8: 5/6).

Der Text entstand unter Mitarbeit von Jörg Goldberg, Klaus Pickshaus und Jürgen Reusch. Die nächste Marxistische Studienwoche zum Thema »Klassenanalyse« findet vom 19. bis 23. März in Frankfurt am Main statt: https://marxistischestudienwochefrankfurt.wordpress.com.

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