Was vom Schulz-Drama bleibt

Auch Journalisten müssen sich fragen, ob sie im Umgang mit dem Ex-SPD-Chef immer richtig gehandelt haben

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Hollywood hätte seine Freude an der Martin-Schulz-Story. Ein klassisches Drama vom Aufstieg und Fall eines Emporkömmlings, mit Zwischenstationen in Würselen, Brüssel und zuletzt Berlin. Eine Geschichte, die sich mitreißend erzählen lässt und die viele Hauptstadtjournalisten mitriss, weil sich an ihr alle Facetten des sozialdemokratischen Dilemmas nachvollziehen lassen. Der letzte Akt dieses Dramas dauerte fast genau ein Jahr. Ende Januar 2017 rief das Willy-Brandt-Haus Schulz als Kanzlerkandidaten und künftigen Parteichef aus, bald darauf erfolgte seine 100-Prozent-Akklamation per Parteitag. Und ja: PR-Strategen hatten ihre Freude an der Geschichte.

Marvin Schade stellt auf meedia.de fest, dass Schulz’ Vita einer »Heldenreise« gleicht, die auf Menschen eine besondere Anziehungskraft ausübt: »Vom Mann ohne höheren Bildungsabschluss, zunächst dem Alkohol verfallen und perspektivlos als klassischer Antiheld dastehend, folgte er eines Tages einem inneren Ruf nach etwas Großem. Die Ära Merkel zu beenden und Deutschland als Bundeskanzler zu dienen, hätte diese Reise perfekt gemacht.« Erzählt wurde diese Aufstiegsgeschichte in jenen Wochen dutzendfach, bekam in einer »Spiegel«-Titelgeschichte mit der Überschrift »Sankt Martin« gar eine religiöse Schlagseite, der »Stern« titelte von einem »Eroberer«. Schulz als der Erlöser einer darbenden Sozialdemokratie.

Bernd Ulrich und Stefan Willeke schrieben bereits am 14. Mai 2017 auf zeit.de über den »Schulz-Hype«, dieser habe viel mit dem Zustand der SPD zu tun. Jahrelang sei »die Partei von den Wählern bestraft worden für ein ›Verbrechen‹, das mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, die Agenda 2010. Viele Medien behandelten die SPD wie eine Partei, die sich selbst abgeschafft habe. Auch die Genossen hatten sich an das fahle Licht im 20-Prozent-Keller gewöhnt.« Schulz dagegen habe den Weg frei gemacht für die »Sehnsucht der SPD nach ihrer früheren Bedeutung«. Ulrich und Willeke stellten die These auf, dass die Medien, die die Partei vorher unterbewerteten, sie nun für kurze Zeit überbewerteten, gar vom baldigen Ende der Ära Merkel schrieben. Drei Tage, bevor diese Analyse erschien, hatte die SPD die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren. Auf Euphorie folgte Ernüchterung, die sich auch in der Berichterstattung über die SPD und Schulz im Speziellen niederschlug. So mancher Hauptstadtjournalist projizierte das Wohl und Weh einer ganz Partei auf ihren Vorsitzenden. Egal, wie groß dessen Einfluss auf verlorene Landtagswahlen war oder nicht.

Hans-Martin Tillack fragt sich auf Stern.de, »warum es immer wieder zu solchen Medien-Hypes« kommen kann. »Im Fall von Martin Schulz hat man einen Kandidaten erst für angebliche Qualitäten gelobt, die er in Wahrheit nie hatte - und ihm das dann hinterher zum Vorwurf gemacht«, so Tillack, der den Europapolitiker Schulz aus seiner Zeit als Brüsseler Korrespondent kannte. Ihm sei Schulz damals als »jemand aufgefallen, dem es um die eigene Karriere ging« und der den Ruf Gabriels auch deshalb annahm, weil er seit 2016 wusste, er würde seinen Posten als EU-Parlamentspräsident abgeben müssen. Doch in der späteren Erzählung sei vor allem von Schulz, dem Glaubwürdigen, die Rede gewesen. Eine Zuschreibung, die sich nur wenige Wortbrüche später als Märchen herausstellte. »Wie war es möglich, sich in diesem Mann so zu täuschen?«, so Malte Lehming auf tagesspiegel.de. Die Frage müssten sich auch Journalisten selbstkritisch stellen, findet Tillack und verweist auf den (im wahrsten Sinne des Wortes) Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, an dem sich gezeigt habe, was Rudeljournalismus bedeutet. Während einige über die Vorwürfe gegen Wulff recherchierten, gab es auch genug, die »einfach mitschwammen und hinterherklapperten« und sich schließlich sogar in Opportunismus übten, als Stimmen laut wurden, die Wulff verteidigten. »Wir Menschen sind Herdentiere und stehen mit einer Meinung nicht gerne allein; das ist vielfach sozialpsychologisch belegt«, so Tillack.

Peter Nowak bringt auf heise.de noch einen Aspekt ins Spiel, der das Problem solcher Personifizierungen im Wahlkampf offenbart: »Mit Schulz ist auch eine Form der Politikinszenierung gescheitert, die glaubt, auf Inhalte verzichten zu können, und die das Publikum für dümmer verkaufte, als es ist.«

Fatalerweise war es dieser Tage Schulz, der diesen Fehler zu wiederholen versuchte. Er wollte Andrea Nahles auf kurzem Wege zu seiner »kommissarischen« Nachfolgerin küren und drohte damit, die SPD-Debatte über das Für und Wider des Koalitionsvertrages mit einer Personalfragen zu verbinden. Damit wäre es kritischen Genossen schwer gefallen, Nahles die Gefolgschaft zu verweigern, ohne so die Partei zu beschädigen. Das SPD-Drama geht in die Verlängerung.

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