Die »heilsame Wirkung der Angst«
Im Bundestag ließ ein Antrag der LINKEN, US-Atomwaffen aus Deutschland zu verbannen, die Argumente des Kalten Krieges aufleben
Der LINKE-Abgeordnete Tobias Pflüger erinnerte gar an einen FDP-Außenminister, um die Dringlichkeit des Antrags seiner Fraktion zu unterstreichen. Guido Westerwelle hatte sich in der schwarz-gelben Koalition 2009 bis 2013 darum bemüht, den Abzug der US-Atomwaffen aus dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel zu erreichen - auch wenn er damit gescheitert war. Im Koalitionsvertrag, den die Planer einer erneuten Großen Koalition jüngst ausgehandelt haben, ist dieses Ziel nicht einmal mehr vermerkt. Und auch wenn Karl-Heinz Brunner am Rednerpult im Plenum des Deutschen Bundestages zu erklären versuchte, wieso seine Partei, die SPD, die »Vision einer atomwaffenfreien Welt« erreichen zu können glaubt, indem sie die Atomwaffen lässt, wo sie sind - waren weder die LINKE noch die Grünen davon zu überzeugen. Hatte doch auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im letzten Jahr im Wahlkampf angekündigt, dass er sich als Kanzler für den Abzug dieser Waffen einsetzen werde. Er ist nicht Kanzler geworden, und damit verzichtet nunmehr seine Partei offenbar auch auf dieses Ziel.
Pflügers Fraktionskollegin Christine Buchholz hatte zuvor den Antrag der LINKEN begründet, der darauf abzielt, die Waffen in Büchel loszuwerden. Deutschland solle umgehend dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, der im vergangenen Jahr von 122 Staaten verabschiedet und seither von knapp 60 Staaten unterzeichnet wurde. Außerdem solle sie »unverzüglich die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an der nuklearen Teilhabe der NATO aufkündigen« und Schritte zum Abzug der US-Atomwaffen einleiten. Am Ende der Debatte wurde der Antrag in die Bundestagsausschüsse verwiesen. Dass ihm dort kein Erfolg beschieden sein dürfte, ließ sich am Freitag im Plenum an den Rednern der Mehrheitsfraktionen ablesen.
Diese folgten übereinstimmend der Logik der Atommächte selbst. Die NATO hatte sich dem Vertrag verweigert, auch die Atommächte boykottierten das Anliegen durch Fernbleiben. Allesamt beklagten die Vertreter der Fraktionen, wie groß die Gefahr der Atomwaffen für den Frieden sei und wie weit entfernt die Welt von ihrer Beseitigung entfernt ist. Ja, sogar in der Klage darüber war man sich weitgehend einig, dass die Gefahren in jüngster Zeit gewachsen seien. Als besorgniserregend wurden vielfach die Vorstellungen des US-amerikanischen Präsidenten empfunden, die US-Waffenarsenale mit taktischen, also vermeintlich kleinen Atomwaffen aufzufüllen. Ziel einer solchen Rüstung sei es, einen Atomkrieg führbar erscheinen zu lassen, machte Jürgen Trittin von den Grünen deutlich. Diese »Mini-Nukes«, so warnte er, hätten die Vernichtungskraft jener Atombomben, die die USA auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben.
Am unverblümtesten vertrat vielleicht Frank Steffel, CDU, die Logik der Atomwaffenbefürworter. Ein »einseitiger Verzicht der freien Demokratien« wäre gefährlich und verantwortungslos. Nicht Nachgiebigkeit, nicht Anbiederung oder einseitige Abrüstung hätten dazu beigetragen, dass 1989 die »kommunistische Mauer« fiel. Man werde die militärische Macht nicht den Diktatoren dieser Welt überlassen, mit Pflugscharen werde man sie nicht beeindrucken können, meinte Steffel, der es nicht versäumte, die Aggressivität Russlands als Beispiel zu nennen. Michael Kuffer von der CSU warf der LINKEN vor, mit ihrem Antrag die »Ebene des Populismus« nicht verlassen zu haben und führte dagegen eine heilsame Wirkung der Angst ins Feld, »die weder zu Lethargie noch zu Panik führt«. Die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung dürfe nicht gefährdet werden. Ein Atomwaffenverbotsantrag ohne die Teilnahme der Atomstaaten sei sinnlos. Für Alexander Müller (FDP) besteht die Gefahr, dass Russland sich »weitere Teile Europas« einverleibt, wenn die LINKE Erfolg hätte mit der Reduzierung der Atomwaffen. Und in seiner ersten Bundestagsrede nannte Nikolas Löbel (CDU) den Wunsch nach Atomwaffenabzug aus Deutschland einen Schaufensterantrag - »symptomatisch« fand er es, dass die AfD dem Antrag der Linken zustimmt, ihr »beispringt«, wie er meinte. Deren Redner hatte es fertiggebracht, den geforderten Abzug der US-Atomwaffen allein als einen notwendigen Dienst am deutschen Volk darzustellen. Kommentar Seite 2
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.