Hans Modrow muss noch warten
Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Recht auf Akteneinsicht des LINKE-Politikers
Hans Modrow feierte erst vor wenigen Wochen seinen 90. Geburtstag. Ein Alter, in dem man etwas kürzer tritt. Doch Modrow, der zu DDR-Zeiten als Parteichef des Bezirks Dresden, als DDR-Ministerpräsident in den Zeiten der Wende und als Abgeordneter des Deutschen Bundestages wie des EU-Parlaments immer wieder im Rampenlicht politischer Kämpfe und der öffentlichen Aufmerksamkeit stand, hat noch eine Mission. Am Mittwoch führte diese ihn nach Leipzig, vor das Bundesverwaltungsgericht. Modrow verlangt Kenntnis darüber, was bundesdeutsche Geheimdienste in Jahrzehnten über ihn gespeichert haben. Speziell der Bundesnachrichtendienst, von dem Modrow erfuhr, dass der ihn von 1956 bis 2012 bespitzelte. Modrow geht es dabei um Gerechtigkeit bei der Betrachtung der Geschichte beider deutscher Staaten. Während die Akten der DDR-Staatssicherheit offenliegen und Gegenstand breiter gesellschaftlicher, meist höchst einseitiger Auswertung sind, gelten die westdeutschen Geheimdienste als unbescholten und über alle Zweifel erhaben.
Dabei bietet der Fall Modrow Gelegenheit zur Genüge, Risse an dieser Legende zu erkennen. Modrow weiß seit vielen Jahren, dass er im Fokus der Geheimdienste steht - des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und auch der Staatssicherheit der DDR. Das Spionieren ist für Modrow kaum Grund nachträglicher Empörung. Er war selbst in hoher staatlicher Verantwortung der DDR und wusste, welche Rolle Geheimdienste in der täglichen Politik spielten. Nur war dies eben keine einseitige, allein der DDR immanente Gewohnheit. Zwischen 1946 und 1990 spionierte der BND und seine Vorläuferorganisation Gehlen 71 500 Ostdeutsche aus, wie die Linksfraktion vor drei Jahren auf eine Anfrage an die Bundesregierung erfuhr. Was Modrow sauer aufstößt, ist neben der bis heute geübten Milde bei der Beurteilung westdeutscher Spitzelpraxis die Tatsache, dass seine eigene Beobachtung nicht etwa 1990 endete, als die DDR zusammengebrochen war und aus zwei deutschen Staaten wieder einer wurde. 2013 erfuhr Modrow vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, dass er noch bis 2012 Objekt geheimdienstlicher Begierde gewesen war, auch als Abgeordneter des Bundestages, der er bis 1994 war, sowie als Mitglied des Europaparlaments von 1999 bis 2004.
Damit ist Modrow keine Ausnahme; Teile seiner Partei wie auch einzelne Mitglieder der Bundestagsfraktion wurden über Jahre hinweg beobachtet, wie die Berichte des Verfassungsschutzes und auch Auskünfte der Bundesregierung belegten. Erst im März 2014 teilte das Bundesinnenministerium mit, dass Bundestagsabgeordnete der Partei nicht länger vom Verfassungsschutz beobachtet würden. Einer von ihnen, Bodo Ramelow, führte einen jahrelangen Kampf vor Gericht, um Auskunft über seine Akten zu erhalten und zu erwirken, dass die Beobachtung seiner Person als rechtswidrig eingestuft werde. Letzteres hat er erreicht, vollständige Auskunft über das Ausmaß seiner Beobachtung nicht.
Hans Modrow führt seinen Kampf um Akteneinsicht nunmehr ebenfalls bereits seit mehreren Jahren. In dem kurz vor Prozessbeginn erschienenen Buch »Ich will meine Akte« zeichnet der Autor Robert Allertz nach, welch bizarre Form seine Korrespondenz mit den Behörden dabei annahm. Mit dem Ergebnis, dass ihm die Akteneinsicht verweigert wurde. Die Berichte, die im Bundesarchiv unter Verschluss gehalten werden, dürften erst 2027 geöffnet werden, weil sie Staatsgeheimnisse enthalten könnten. Die Vermutung ist naheliegend, dass sich der BND damit weiteren Erklärungsforderungen ausgesetzt sähe. Modrow selbst, seit 2007 Vorsitzender des Ältestenrates der Linkspartei, ist mit seinen 90 Jahren entschlossen, den Kampf zu gewinnen. Er selbst fürchtet dabei keine Enthüllungen, wie es aussieht. »Sollte ich die Akten bekommen, werde ich sie unverzüglich Historikern zugänglich machen«, zitierte ihn die »Süddeutsche Zeitung«. Das Bundesverwaltungsgericht deutete am Mittwoch an, dass es die Auffassung der Behörden teilt, die sich unter Berufung auf das Staatswohl auf eine Veröffentlichungssperrfrist berufen hatten. Jeder habe ein Recht auf Einsicht in Akten, die über ihn angelegt wurden, zitierte die Nachrichtenagentur den Vorsitzenden des 6. Senats. Voraussetzung sei jedoch, dass die Akten älter als 30 Jahre seien, dem Staatswohl nicht entgegenstünden und der Schutz der Quelle nicht verletzt sei.
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