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Mandate ohne Friedenskonzepte

In dieser Woche wird das Kabinett eine Verstärkung deutscher Truppen in Afghanistan und Irak beschließen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Derzeit liegt die Mandatsobergrenze für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bei 980 Soldatinnen und Soldaten. Die Zahl ist erreicht, doch sie reicht nicht. Rund 150 Deutsche arbeiten im Hauptquartier von »Resolute Support«. Das liegt in der Hauptstadt Kabul. Deutschland ist zudem verantwortlich für den Norden des Landes, also hat sich die Masse der Bundeswehrsoldaten in der Festung von Mazar-i Sharif verschanzt.

Die eigentliche Aufgabe der deutschen Militärs besteht in der Ausbildung und Beratung der afghanischen Truppen. Deren Wert aber nicht erkennbar wird, wenn Kabuls Soldaten mit den Aufständischen konfrontiert sind. Die Lösung? Mehr Beratung vor Ort, dort also, wo Kämpfe stattfinden. Doch die werden immer heftiger und verlustreicher.

In der kommenden Woche wird Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – nach einem Beschluss des Kabinetts in dieser Woche – einen neuen Mandatsantrag ins Parlament einbringen. Er sieht eine Personalaufstockung um ein Drittel auf bis zu 1300 Soldaten vor. Die Masse der zusätzlichen Soldaten soll die deutschen Ausbilder schützen, denn die Lage wird im 17. Jahr des Krieges von Monat zu Monat kritischer für die Kabuler Regierung und deren westliche Verbündete. Das zeigt sich auch im einst vergleichsweise ruhigen Norden Afghanistans.

Die Anzahl der von der UNO bestätigten zivilen Opfer betrug im vergangenen Jahr 10 453. Damit lag diese Zahl zum vierten Mal hintereinander über 10 000. 3438 Frauen wurden umgebracht, 7015 verletzt. Die schreckliche Statistik weist auch 861 getötete und 2318 verwundete Kinder aus. Täglich fliehen 380 Zivilisten aus ihrer Heimat. Weder Taliban noch die Kabuler Regierung können den Krieg gewinnen.

Bisher hat Präsident Ashraf Ghani die Taliban stets nur als Terroristen bezeichnet. Nur jene, die die Waffen niederlegten, könnten Gesprächspartner sein. Diese Sicht hat er jetzt wohl aufgegeben. Er ist ohne Bedingungen bereit zu direkten Gesprächen mit dem bewaffneten Feind. Sogar die Überprüfung der afghanischen Verfassung legt er als Offerte auf den Tisch. Unter Druck stehen aber auch die Taliban. Ein Konkurrent, die Gotteskrieger des in Irak und Syrien schwächelnden Islamischen Staates (IS), macht ihnen die Oppositionsrolle streitig. Mittendrin steht der konzeptlose Westen. Der sich auch noch simplen »Lösungsmethoden« des US-Präsidenten zu erwehren hat.

Nun wäre die Erkenntnis, dass keine Seite siegen kann, höchst förderlich für einen Friedensschluss. Doch wie würde der aussehen, wenn die Taliban daran beteiligt werden? Gewiss nicht so, dass der Westen und die UNO behaupten können, der Einsatz für Demokratie, als der der Afghanistan-Krieg ja stets ausgegeben wurde, habe sich gelohnt. Wozu die Opfer der Sicherheitskräfte, wozu Milliarden für sogenannte Entwicklungshilfe? Ein abermaliges Desaster ist zu befürchten. Doch ob mehr Soldaten es abwenden können? Alle Erfahrungen sagen: Nein!

Am Mittwoch will das amtierende Kabinett auch einen zweiten Antrag für einen Militäreinsatz beschließen. Der betrifft Irak. Neben dem Einsatz eines Tankflugzeuges, mehrerer Tornado-Aufklärer und der Bereitstellung von AWACS-Personal unterstützte die Bundeswehr bislang vor allem die kurdischen Peschmerga. Man lieferte Waffen, Munition und Gerät. Zudem brachte man den Kämpfern militärische Grundregeln bei.

Nach wochenlangen Debatten haben sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) offenbar auf den Rahmen für einen veränderten Einsatz in Syrien und Irak geeinigt. Nun geht es um den »Export« von rund 800 Bundeswehrsoldaten. Der Tanker und die Tornados werden weiterfliegen, auch der AWACS-Auftrag, der mit einem anderen Mandat begründet ist, bleibt. Doch wird man »unauffällig« Distanz zu den Kurden in Erbil suchen, um dafür zur Stärkung der von Bagdad geführten irakischen Armee beizutragen. Durch Ausbildung von Ausbildern. Das Modell dafür kann man im Nachbarland Jordanien betrachten.

In Irak, wo harte Kämpfe mit dem Islamischen Staat zu bestehen waren, besteht zudem Bedarf an der Schulung von Kampfmittelräumern. Darauf hatte von der Leyen bereits bei ihrem Bagdad-Besuch vor einem Monat hingewiesen und angeboten, auch im Logistik- sowie Sanitätsbereich hilfreich zu sein. Dass auch mehr irakische Militärs zur Schulung nach Deutschland kommen, ist denkbar.

Das Mandat soll erst einmal nur sieben Monate gelten. Das ist eine ungewöhnlich kurze Zeit. Wer zudem die Anzahl der Soldaten mit der im vorangegangenen Mandat vergleicht, wird möglicherweise zu der irrigen Annahme kommen, dass weniger Soldaten gegen den IS losgeschickt werden. Ja und nein. Auf dem Boden werden es mehr, denn der Einsatz einer deutschen Fregatte im Verband des französischen Flugzeugträgers »Charles de Gaulle« ist überflüssig.

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