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Bunte Klassen

Hilft Marx’ «Achtzehnter Brumaire» dabei, den aktuellen Rechtsruck zu verstehen?

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen«, schreibt Karl Marx - und dieses Zitat kennt fast jeder: »Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.«

Wer den Aufstieg rechter Parteien nicht nur in Europa beobachtet, wird in diesen beiden Sätzen keine Beruhigung finden. Was, wenn sich Geschichte wiederholt? Und lässt sich in dem Buch, das mit diesem Zitat beginnt, eine Erklärung für die Radikalisierung der Verhältnisse in Richtung autoritärer, rechtsradikaler »Lösungen« finden, die über das bisherige Analyseangebot hinausreichen?

Zurzeit feiert Vereinfachung jeden Tag Triumphe. Der Erfolg einer Partei wie der AfD wird dann entweder einem Stellungsfehler konservativer Kräfte zugeschoben (Raum freigemacht). Oder es werden einfach große Begriffen hinzuaddiert - als ob die bloße Anführung eines Wortes wie »Globalisierungsverlierer« schon irgend etwas besagt. Als Variante der Vereinfachung tritt die Zuweisung der Hauptverantwortung für den Rechtsruck an »die Linken« auf. Diese sei »neoliberal geworden«, heißt es dann zum Beispiel, obgleich der Topf sehr groß ist, in dem da gerührt wird: Welche Linken sind gemeint? Mal rückt jemand wie Didier Eribon in den Kronzeugenstand, wenn es gegen »zu viel Identitätspolitik« geht. Mal werden »neue Konfliktlinien« auf den Boden der »weltgeschichtlichen Thatsachen« gemalt, als ob Schlagwörter allein schon das Begreifen erleichtern.

Also: Was könnte Marxens »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« zur Erklärung der autoritären Welle beitragen? Ein Buch, das fast 170 Jahre alt ist?

Der gegenwärtige Rechtsruck wird oft durch Führerpersönlichkeiten verkörpert, die auf Basis demokratischer Legitimation durch Wahlen einen antidemokratischen Umbau des Staates anstreben und sich dabei auf den Alleinvertretungsanspruch eines angeblichen »Volkswillens« berufen. Nicht selten wird das mit sozial klingenden Parolen verbunden, deren Problem aber nicht nur die nationalistische, ethnozentristische oder rassistische Ausschlusslogik ist, sondern auch, dass hier die soziale Herrschaft der - Marx hätte gesagt: Bourgeoisie in Wahrheit unangetastet bleibt. Der Staat verselbstständigt sich gegenüber der Gesellschaft, ohne die ökonomischen Kräfteverhältnisse dabei anzutasten.

In einem dieser Tage erscheinenden Sammelband des Berliner Karl Dietz Verlages wird dieser Spur nachgegangen - theoretisch, historisch, anhand der jüngsten Entwicklungen unter anderem in den USA, Ungarn, Österreich, Italien. »Fragmentierung der Klassen, Pattsituation in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, Verzicht des Bürgertums auf politische Herrschaft (und zur Not auch auf demokratische Errungenschaften) zugunsten ökonomischer Macht, Verselbstständigung der Exekutive, vermittelte Herrschaft des Pöbels«, so werden dort die zentralen Stichworte von Marx’ »vorbildlicher Analyse der plebiszitären Diktatur«, wie Herbert Marcuse einmal sagte, aufgelistet. Es ist der Versuch, Marx’ 1852 formulierte Analyse für eine Kritik der heutigen Verhältnisse fruchtbar zu machen.

Womit eine Reihe von Problemen verbunden sind. Das geht los mit der Frage, ob die Marx’sche Analyse der politischen Ereignisse von der französischen Revolution im Februar 1848 bis zur autoritären Herrschaft von Bonaparte ab Ende 1851 taugt, um den zeitgenössischen Autoritarismus zu entschlüsseln. Marx selbst, darauf weist Horst Kahrs in seinem Beitrag zu dem Band hin, hätte sich den Vergleich wohl verbeten, weil bei »so gänzlicher Verschiedenheit zwischen den materiellen, ökonomischen Bedingungen« auch die »politischen Ausgeburten« der Klassenauseinandersetzung nicht mehr viel »miteinander gemein« haben.

Ein anderes Problem einer zu einfachen »Übernahme« des »Achtzehnten Brumaire« zur Erklärung des aktuellen Rechtsrucks liegt darin, das merkt Gerd Wiegel an, dass man von »entscheidenden Stichworten« wie dem Gleichgewicht der Klassen heute kaum reden kann. Auch das Verhältnis zwischen den Klassen und deren Struktur haben sich gravierend gewandelt.

Andere Elemente bonapartismustheoretischer Analysen, so Wiegel unter Verweis auf die Rolle innerhalb der modernen Faschismustheorien, ließen sich hingegen durchaus »auf die gegenwärtige Rechtsentwicklung anwenden: die heterogene Klassenbasis der Rechten, die Art der inszenierten, theatralischen Machtausübung (Trump), die scheinbare Überwindung des Rechts-links-Gegensatzes, die antikapitalistische Phrase bei gleichzeitiger Absicherung der Machtverhältnisse«.

Andererseits ginge es ja aus kritischer Perspektive nicht um die »Anwendung« einer Theorie in dem Sinne, als dass sie lediglich wie eine Schablone genutzt wird, in welche die Wirklichkeit zur Not gepresst wird. Rudolf Walther warnt in seinem Stück über die Lage in Frankreich ganz zu Recht vor einem »grobianischen sozialen Determinismus«, wenn es um die Erklärung des Rechtsrucks geht.

Ertragreich könne die heutige Lektüre des »Achtzehnten Brumaire« aber deshalb sein, darauf kommt Horst Kahrs zu sprechen, weil Marx darin »die relative Autonomie des politischen Kampfes behandelt. Die ökonomische Lage mündet nicht unmittelbar in politisch artikulierte Forderungen. Ihnen vorgelagert ist eine soziokulturell vermittelte Klärung, welche Interessen sich daraus ergeben könnten.« Das sind keineswegs automatisch »dieselben« nur deshalb, weil man eine ähnliche ökonomische Lage teilt. Was wiederum auf die Mühe verweist, an der kritische Sozialwissenschaft und sozial begründete Kritik sich nicht vorbeimogeln können: Es sind »die Unterschiede in Lebensweise, Interessen und Bildung, die voneinander trennen, nicht allein die bloßen ökonomischen Existenzbedingungen«.

Marx hat ursprünglich a-m Beispiel Frankreichs eine Situation analysiert, in der die aufkommende liberale Bourgeoisie sich »der Diktatur des Louis Bonaparte unterwarf und dabei ihr politisches Projekt, die parlamentarische Republik, aufgibt«, wie es der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe formuliert. Der Grund: Weil sie »im Streit und Kampf der verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen um die politische Macht« nicht die »Hegemonie« erringen konnte. Der Kapitalismus setzte sich auch in Frankreich trotzdem durch.

Und heute? Deppe sieht »die zunehmende Bedeutung autoritärer, antidemokratischer Bewegungen und Regimes« nach der Finanzkrise 2008 wieder als Ausdruck einer »organischen Krise« - aber einer ganz anderen. Wer die erodierende Stabilität kapitalistischer Herrschaft im Rahmen der demokratischen Verfassung erklären will, muss mehr berücksichtigen als ein paar Umfragen, oder Statistiken zur Ungleichheit.

Natürlich, die Krisentendenzen sind auf verschiedene Weise mit der sozialökonomischen Entwicklung verbunden. Es geht aber um mehr: um die Krise eines globalen Kapitalismusmodells, in dem »die inneren Widersprüche« ökonomischer Expansion »mehr und mehr auf die Metropolen des Kapitals« zurückwirken. Diese Krise ist vielgestaltig und mehrdimensional, sie bringt Konflikten zwischen Kapitalfraktionen um »strategische Neuorientierungen für die Sicherung der Herrschaftsverhältnisse« hervor. Auch im »Block an der Macht« bleibt die Zukunft umkämpft.

Was man daraus lernen könnte? Der »Achtzehnte Brumaire« taugt als ein Denkmittel gegen ökonomistische oder andere Verkürzungen und kann »als Lehrbeispiel für die Selbstdestruktion demokratischer Institutionen gelesen werden« (Kahrs). Vor allem ist es aber die Art und Weise, Krisenverhältnisse zu studieren, die für heute fruchtbar gemacht werden könnte. Hilfreich wären mehr Analysen, die, wie es Dorothea Schmidt formuliert, »das gesamte Tableau der Gesellschaft« in den Blick nehmen statt nur einzelne Ausschnitte, weil die womöglich auch noch so gut zur bereits fertigen Argumentation passen. Es geht also um »die herrschenden Klassen und ihre unterschiedlichen Weltbilder, die Rolle von Machttechniken und Medien und schließlich die Willfährigkeit der vielen, die sich aus bewegten Zeitläuften heraushalten und das Glück im Privaten suchen wollen.« Eine Auseinandersetzung mit dem »Achtzehnten Brumaire« könnte also auch die modische Rede von der »neuen Klassenpolitik« mit mehr Leben füllen - wenn es nicht nur um die Wiederanrufung eines »historischen Subjekts« oder um die Ermahnung zu radikalerer Sozialpolitik gehen soll.

Marx’ Beschäftigung mit dem Staatsstreich von 1851 setzt also für heute Maßstäbe - auch an den Politikbegriff, der einer linken Kritik zugrunde liegt. Dieser Politikbegriff sollte deutlicher als in den vergangenen Jahren wieder aus einer genauen, Widersprüche und Veränderungen mitdenkenden Analyse der Klassenverhältnisse entspringen.

Dabei geht es nicht, um noch einmal Deppe zu zitieren, um die »quasi metahistorische Verallgemeinerung Marx’scher Erkenntnisse über den Zusammenhang von Demokratie und Kapitalismus«. Die heute möglichen Erkenntnisse müssen wir schon selber heben.

Der neue Bonapartismus ist »überall in der Welt mit demokratischen Gegenbewegungen konfrontiert«, auch daran erinnert dieser Dietz-Sammelband. Ein bisschen Optimismus könnte die heute nötig gewordene »Verteidigung des demokratischen Kapitalismus« (Yanis Varoufakis) gut gebrauchen. Es geht um nicht weniger als den Kampf um jene Spielräume, in denen linke, progressive Politik vielleicht doch noch einmal »große weltgeschichtliche Thatsachen« schaffen könnte. Nicht um als Farce zu enden, sondern um etwas wirklich Neues zu beginnen.

Martin Beck und Ingo Stützle (Hrsg.): Die neuen Bonapartisten. Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen. Beiträge von Hauke Brunkhorst, Frank Deppe, Axel Gehring, Felix Jaitner, Bob Jessop, Horst Kahrs, Michele Nobile, Sebastian Reinfeldt, Dorothea Schmidt, Ingar Solty, Rudolf Walther, Gerd Wiegel und Przemyslaw Wielgosz. Karl Dietz Verlag Berlin, 220 Seiten, 18,00 €.

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