Mit einem Lächeln wurden die Teufel empfangen
Mit einer friedlichen Revolution befreite sich vor 50 Jahren die Karibikinsel Anguilla von ihren Besatzern
Zufrieden lächelnd sitzt Felix Fleming vor seinem kleinen Theater. Sein Stück über die Befreiung Anguillas, »Pepper in the Soup«, war ein voller Erfolg. »Wir dürfen die Vergangenheit nicht vergessen«, sagt der 79-Jährige. Die begann in Anguilla, als die Engländer 1650 ihren Union Jack in den Sand des kleinen Landstrichs rammten. Vorher hatte Kolumbus die karge, von Kalk- und Korallengestein geformte Insel auf seiner zweiten Entdeckungsreise 1493 umsegelt. Wegen ihrer lang gestreckten Form nannte er sie Anguilla (spanisch: Aal) und nahm ohne weiteres Interesse Kurs auf die großen Antilleninseln wie Kuba, Puerto Rico oder Hispaniola, die sich die spanische Krone damals sicherte. Anguilla blieb derweil verwaist, bis englische und irische Siedler von St. Kitts und Nevis angesegelt kamen, um Baumwolle anzupflanzen. Nachdem die ersten Versuche wenig Ertrag einbrachten, zogen sie wieder von dannen. Die mit auf die Insel gebrachten schwarzen Sklaven ließen sie zurück. Die teilten sich nun das karge Inselchen mit einigen genügsamen Siedlern.
Als sich die überschaubare Anzahl an Siedlern auf Anguilla mit ihrem bescheidenen Leben vom Fischfang, ihren Ziegen und Hühnern arrangiert und dafür ihre Freiheit schätzen gelernt hatte, kam deren Mutterland auf die Idee, die Insel mit St. Kitts und Nevis politisch unter der britischen Flagge zu vereinen und unter deren Verwaltung zu stellen. Keine gute Nachricht für die Bewohner des aalförmigen Eilands. Schnell wurde klar, dass die Gelder, die England für den Aufbau Anguillas schickte, beim großen Bruder auf St. Kitts und Nevis hängenblieben. Dafür schickten die Verwalter Polizeibeamte, die sich auf der gerade mal 91 Quadratkilometer großen Insel breit machten. »Am langen Arm haben die uns verhungern lassen«, empört sich Felix Fleming noch heute.
Die friedlichen Proteste von der Insel Anguilla, die zu den Leeward Islands gehört, den Inseln über dem Wind, wie es in der Seemannsprache heißt, verwehten gleichsam im Wind. Heute schmunzelt der Schauspieler, wenn er sich an aberwitzige Geschichten von damals erinnert. »Wissen Sie, warum der zweite Pier auf St. Kitts «Anguilla Pier» heißt?« fragt er grinsend. »Die hatten schon einen und bauten sich mit dem Geld, das für unseren Steg bestimmt war, einfach selbst einen zweiten!«, lacht Fleming.
Vor 50 Jahren hatten die Anguillaner endgültig genug von den ständigen Benachteiligungen. Wutentbrannt jagten sie die stationierten Polizeibeamten von ihrer Insel und erklärten ihren Austritt aus dem Dreierbund. Damit waren die Briten alles andere als einverstanden. Um den karibischen Zwerg in die Schranken zu weisen, schickte London ihre »Red Devils« (Rote Teufel) auf das 26 Kilometer lange und fünf Kilometer breite Stück Antillenland. Doch statt mit Waffen wurde die verblüffte Elitetruppe mit einem Lächeln empfangen. Die verarmten Insulaner hatten geglaubt, die Engländer kämen, um ihnen zu helfen, während das einstige Empire, nicht wissend, woher die Rebellion rührte, mit den Truppen demonstrieren wollte, wer Herr über Anguilla ist. Mit dem freundlichen Empfang war die geplante Invasion beendet, noch bevor sie begonnen hatte. Dennoch mussten sich die Anguillaner noch bis 1980 gedulden. Erst dann erhielt ihre Insel den offiziellen Status eines eigenständigen britischen Überseegebietes und sie konnten ihren beherzten Rebellenführer Ronald Webster in freier Wahl zum offiziellen Regierungschef küren.
Von Aufbruchstimmung erfasst, kultivierten die Anguillaner ihre Insel jetzt selbst, legten Strom- und Wasserleitungen und asphaltierten die Hauptstraße, die von einem zum anderen Ende der Insel durch karges Buschland führt. Schnell entstanden die ersten Hotels. Einer der Hoteliers der ersten Stunde ist Jeremiah Grumbs. Frustriert hatte er seiner Insel den Rücken in Richtung USA gekehrt. Doch als der heimatverbundene Auswanderer von dem politischen Wandel hörte, zog es ihn vom Lärm in der Stadt zurück auf seine ruhige Insel. In der Rendezvous Bay, einer von Palmen gesäumten Bilderbuchbucht, baute er ein feines Hotel und schlug damit ein neues Kapitel in Anguilla auf.
Weiter geht es auf der Inseltour. Ganz gleich, ob man links oder rechts abbiegt, immer führt ein Weg oder eine fest gefahrene Sandpiste in ein kleines Paradies: weiße, feinkörnige Sandstrände, von seichtem, smaragdgrünen Meerwasser umspielt, so weit das Auge reicht. »Wir haben die schönsten Strände der Karibik«, hatte Mona Fleming gesagt, die wie ihr Mann Felix mit dem Inseltheater verwurzelt ist. Also hinein ins Strandvergnügen. Nach einer erholsamen Planscheinlage im wohltemperierten Wasser in Sandy Ground und anschließend einem eiskalten Caribe Bier zum frisch gegrillten Lobster, begleitet vom Reggae Sound und einer leichten Brise vom Meer erfasst mich endgültig das Karibikfeeling.
Zurück auf der schnurgeraden Hauptstraße mit ihren zum Jubeljahr bunt geschmückten Kreisverkehren legen wir in der Inselhauptstadt The Valley einen Stopp ein. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Während schicke Gästehäuser und Luxusherbergen die Buchten säumen, Strandhütten im Karibikstil für Stimmung sorgen und sich die Einwohnerzahl auf 14 000 verdoppelt hat, gibt es in der City Anguillas kein Szenecafé, kein Kino und keine Spur einer Shopping Mall. Das Touristikzentrum verbirgt sich hinter nüchternen Mauern. Nur der Platz mit dem Food Truck lockt. Zwar reizt uns das karibische Standardangebot aus Hühnchen und Cheeseburger nicht, die Pfeffersuppe, die in einem großen Topf vor sich hinköchelt, aber umso mehr: ein nahrhafter Eintopf aus Süßkartoffeln, Bohnen, Erbsen, Mais, Schweineschwanz und natürlich Pfeffer. Während wir essen, läuft noch einmal das Theaterstück »Pepper in the Soup« von Felix Fleming und seinen 25 Laiendarstellern in im Kopfkino ab.
Infos
Anguilla Tourist Board: www.visitanguilla.com oder www.anguillainsel.de
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