Als König Blauzahn vor Sohn Gabelbart floh
Mecklenburg-Vorpommern: Hobbyarchäologen entdeckten auf Rügen einen Schatz, den der sagenumwobene Dänenherrscher einst wohl auf dem Rückzug vergraben ließ
Die Insel Hiddensee im Rücken und einen bronzezeitlichen Grabhügel im Blick - so machten sich der Hobbyarchäologe René Schön und der Schüler Luca Malaschnitschenko auf der Insel Rügen mit Metalldetektoren auf der Suche nach neuen Funden. Das war im Januar. Der 13-Jährige meinte, ein wertloses Stück Alu auf dem Kirchacker nahe der Ortschaft Schaprode entdeckt zu haben. Doch Schön putzte den Dreck von dem matt silbrig schimmernden Stück und war elektrisiert. Was er an jenem Tag in den Händen hielt, entpuppte sich als Teil eines herausragenden Silberschatzes, der im Zusammenhang mit dem Dänenkönig Harald Blauzahn (910-987) steht.
»Das war der Fund meines Lebens«, sagt Schön, nachdem er nun endlich sein Schweigen über den Fund brechen darf. Am Wochenende hat die Landesarchäologie von Mecklenburg-Vorpommern die etwa 400 Quadratmeter große Fläche bergen lassen. Archäologen und Grabungshelfer - darunter auch Schön und Begleiter Luca - entdeckten kunstvoll geflochtene Halsreife, Perlen, Fibeln, einen Thorshammer, zerhackten Ringschmuck und 500 bis 600 teils zerhackte Münzen, von denen mehr als 100 Münzen der Regentschaft des Dänenherrschers zugeordnet werden können.
»Dieser Schatz ist der größte Einzelfund von Blauzahn-Münzen im südlichen Ostseeraum und damit von herausragender Bedeutung«, ordnet Grabungsleiter Michael Schirren den Fund ein. Ähnlich große Münzfunde gab es bislang nur auf dem Gebiet des Dänenreiches. Der als Wikinger geborene Blauzahn gilt als Begründer dieses Reiches, indem er das vorher zersplitterte Land einte, das Christentum einführte und Reformen durchsetzte.
In der Region hat der Name des Dänenkönigs einen besonderen Klang. Bereits 1872 und 1874 war auf der Insel Hiddensee Goldschmuck entdeckt worden, ein 16-teiliges filigran gearbeitetes Schmuckensemble, das Blauzahn beziehungsweise seinem nahen Umfeld zugeschrieben wird. Der umstrittene Herrscher floh historischen Quellen zufolge nach der verlorenen Ostseeschlacht gegen seinen Sohn Sven Gabelbart (965-1014) im Jahr 986 nach Pommern, wo er ein Jahr später auf der Jomsburg unweit des heutigen Świnoujście starb.
Eine Verbindung zwischen beiden Funden liege nahe, sagt Archäologe Schirren. Möglicherweise wurde der bei Schaprode gefundene Schatz während der Flucht Haralds vergraben - wie der berühmte Hiddenseer Goldschmuck auch. Der Wissenschaftler warnt aber vor voreiligen Rückschlüssen. Jetzt warte viel kleinteilige Arbeit zur Lösung des Rätsels auf die Experten - in Kooperation mit den dänischen Kollegen. Doch viele Indizien sprächen für einen Zusammenhang: Der bei Schaprode entdeckte Schatz sei ein typischer »Versteckfund« in einem damals unbesiedelten Gebiet nahe einer markanten Ortsmarke - dem bronzezeitlichen Grabhügel.
Dänische Forscher gehen davon aus, dass die unter Blauzahn geprägten »Kreuzbrakteate« wegen der geringen Stückzahlen vom König überwiegend an die dänische High Society ausgegeben wurden - als Zeichen der Verbundenheit. Mit einem Gewicht von 0,3 Gramm hatten die mit einem christlichen Kreuz versehenen Münzen nur einen geringen Silberwert. Vielmehr zählte der Nennwert der limitierten und deshalb besonders wertvollen Münzen.
In dem Schaprode-Konvolut finden sich auch Münzen aus dem englischen und orientalischen Raum - Ausdruck der damals bereits üblichen Handelstätigkeit im Ostseegebiet. Der Tübinger Münzexperte Lutz Ilisch datiert die älteste, als Anhänger umgearbeitete Münze des Schatzes - einen Damaskus-Dirham - auf das Jahr 714, die jüngsten sind sogenannte Otto-Adelheid-Pfennige, die ab 983 geprägt wurden. Nach dem Alter der Münzen zu urteilen, könne davon ausgegangen werden, dass der Schatz in den späten 80er Jahren des 10. Jahrhunderts vergraben wurde, sagt Ilisch. Zu der Zeit also, als Blauzahn nach Pommern geflohen sein soll und sich Fakten mit Mythen und Legenden mischen. Der Chronist Adam von Bremen (1050-1081/85) beschreibt in seiner Chronik etwa 100 Jahre später das Schicksal Blauzahns und seine Auseinandersetzung mit seinem Sohn Sven Gabelbart. Landesarchäologe Detlef Jantzen: »Wir haben hier den seltenen Fall, dass dieser Fund mit historischen Quellen zusammenzugehen scheint.«
Den Quellen zufolge drehte sich der Vater-Sohn-Konflikt von Harald und Sven um Glauben und Thronfolge. Der Konflikt, so Jantzen, wie auch der Schatz widerspiegele das Hin- und Hergerissensein dieser Epoche zwischen Christentum und dem in der altnordischen Mythenwelt verhafteten Wikingertum. Harald habe die Dänen geeint, dafür auf Hilfe der christlichen Kirche gesetzt und sich taufen lassen. Er habe christliche Bauwerke errichtet und Münzen mit christlicher Symbolik prägen lassen. Sein Sohn hingegen sei dem Denken der Wikingerzeit verpflichtet gewesen. »Der Schatz von Schaprode ist ein einzigartiger und beispielloser Fund«, resümiert Jantzen. Der Fund geht nun zunächst nach Schwerin ins Landesamt, wo er geordnet und konserviert wird. dpa/nd
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