Jenseits des Ehrenkodex

»Rockerkrieg« zeigt die organisierte Kriminalität der Hells Angels

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Rocker? Da klingelt es bedrohlich in den Ohren älterer Leute. Rocker, das klingt nostalgisch nach Lederjacke, Hals-Tattoo und Rauschebart, als all dies noch nicht ironisch von Hipstern zitiert wurde. Rocker waren ja auch innerlich harte Jungs, die ganze Städte zum Schlachtfeld atavistischer Stammeskriege erklärt haben. »Ob die Gesetze oder Verbote rausbringen?«, sagt einer von ihnen und ergänzt: »Wen juckt’s?«. So war das, als die Hells Angels zum Synonym organisierter Kriminalität wurden. In den Siebzigern, den Achtzigern. Damals.

Damals? Wie aktuell das Thema ist, belegt der Mann ohne Gesetzesjuckreiz: Rudolf Triller, genannt Django. Mit grauem Schnauzer sieht der Höllenengel zwar nicht mehr so gefährlich aus wie vor 30 Jahren, als sein Foto mit pechschwarzem Gesichtsbewuchs durch den Pressewald rauschte. Seine Ansichten aber sind ähnlich. »Wir machen unser Ding«, legt er die Latte fürs Zuschauerentsetzen gleich zu Beginn von »Rockerkrieg« tief. Der dokumentarische Dreiteiler zeigt nämlich, wie aus dem kalifornischen Motorradclub seit 1948 das weltumspannende Syndikat der Hells Angels wurde - und welche Folgen es auf fünf Kontinenten hat.

Der Filmemacher Thomas Heise unternimmt dabei eine Zeitreise durch 70 Jahre Rockerhistorie, die gleichermaßen abstößt und anzieht. Grisselige Schwarz-Weiß-Bilder erzählen von der Keimzelle im San Bernardino County, die sich Mitte der Sechziger über den Rest der USA nach Europa fortpflanzt. Verwaschen farbig wird das Archivmaterial, als sich die Angels ab 1973 von Hamburg aus in Deutschland ausbreiten. Gestochen scharf schließlich schillert die Phase wachsender Konkurrenz mit Namen wie »Bandidos« oder »Bones«, deren Skrupellosigkeit Mitte der Neunziger bürgerkriegsartig mit dem Ehrenkodex der Platzhirsche kollidiert.

So richtig eindrücklich sind allerdings gar nicht mal die Ansichten exzessiver Gewalt untereinander; weit nachhaltiger wirken die Momente, in denen vielfach Vorbestrafte seltsam sachlich von ihrer Arbeit jenseits aller zivilisatorischen Grundübereinkünfte berichten. »Auch mit einem Lungensteckschuss« dürfe man »nie die Contenance verlieren«, sagt die Hamburger Kiezlegende Kalle Schwensen auf einer der subkulturell bedeutsamen Rocker-Beerdigungen und lächelt, »das zieht man wieder hoch und spuckt das aus.« Doch Lungensteckschüsse - ob ausgespuckt oder tödlich - gibt es nahezu ein halbes Jahrhundert nach der Gründung des ersten Angels-Chapters auf St. Pauli nicht weniger als in der Hochphase deutscher Rockerkriege. Eher mehr.

Deshalb unternimmt das Team von Thomas Heise auch keine Zeitreise, sondern liefert eine Zustandsbeschreibung. Denn mit »Mongols«, »Osmanen« oder »Satudarahs« erweiterte sich das Täterspektrum zuletzt um Gruppen, denen Macht und Profite weit wichtiger sind als Motorräder und Moral. Angesichts dieser Eskalation ist es umso erstaunlicher, wie viele Protagonisten dieser strukturell verschwiegenen, notorisch gewaltbereiten Szene Thomas Heise freiwillig vor die Kamera kriegt. Und mit welch furchtloser, beinahe todesmutiger Verwegenheit er ihnen selbst dann nachstellt, wenn von Freiwilligkeit ersichtlich keine Rede sein kann. Das Resultat sind dreimal 45 Minuten Frontalkonfrontation mit einer Unterwelt, die sich irritierend oft an der Oberfläche zeigt und schon deshalb permanent Abschaltimpulse auslöst.

ZDFinfo, 28.4., 20.15 Uhr

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