- Politik
- Debatte um Kosten von Polizeieinsätzen
Ist politischer Protest bald eine Frage des Einkommens?
In Rostock und Mainz sollen Aktivist*innen für Sitzblockaden zahlen
Nora von Gaertner soll zahlen, weil sie sitzenblieb. In den Morgenstunden des 11. Mais 2016 nahm die 28-Jährige zusammen mit rund 20 weiteren Aktivist*innen an einer Sitzblockade gegen eine Sammelabschiebung von Geflüchteten am Flughafen Rostock-Laage teil. Die Aktivist*innen setzten sich auf die Straße und blockierten die Zufahrt zum Flughafen. Nach wenigen Minuten wurden sie von der Polizei weggetragen und erhielten Platzverweise. So weit, so normal. Allerdings: Auf den Protest folgte die Rechnung. Das Polizeipräsidium Rostock stellte den Blockade-Teilnehmer*innen Gebührenbescheide über 126 Euro für das Wegtragen aus. Die Aktivist*innen weigerten sich, zu zahlen und klagten gegen den Gebührenbescheid. Auch zwei Jahre nach der Aktion wird weiter vor Gericht über den Fall gestritten. Und eine Debatte wurde in Gang gesetzt: Wer soll für Polizeieinsätze zahlen? Wird Aktivismus in Zukunft eine Frage des Einkommens sein?
Laut den Aktivist*innen war es in der Geschichte des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern zuvor noch nie zu solch einer Kostenerhebung gekommen. Warum also gerade bei dem vergleichsweise kleinen Protest in Rostock-Laage? »Das hat ganz klar einen politischen Hintergrund«, sagt die Aktivistin von Gaertner dem »nd«. »Innenminister Lorenz Caffier wollte sich zu dieser Zeit als Abschiebeminister profilieren und mit einer Politik der harten Hand am rechten Rand fischen.« Im Mai 2016 befand sich Mecklenburg-Vorpommern gerade in der heißen Phase des Landtagswahlkampfes. Geflüchtete waren ein Reizthema und Proteste gegen Abschiebungen passten der CDU nicht ins Bild.
Bei der Ausstellung der Gebührenbescheide beruft sich das Polizeipräsidium auf die Verwaltungsvollzugskostenverordnung M-V, die vorsieht, dass Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit von den dafür Verantwortlichen getragen werden sollen. Von Gaertner und ihre Mitstreiter*innen sehen das anders. »Eine solche Kostenübertragung schränkt Versammlungs- und Demonstrationsrechte massiv ein.«
Die Aktivist*innen legten Widerspruch ein und klagten gegen die Gebührenbescheide. Im Februar 2018 landete der Fall vor dem Schweriner Verwaltungsgericht. Dort wurden die Gebühren wegen fehlender Aufschlüsselung der Kostenzusammensetzung herabgesetzt, die Erhebung aber grundsätzlich als zulässig erachtet. Lediglich die Gebührenbescheide von zwei Aktivist*innen wurden zurückgezogen, da in dem Polizeivideo nicht zu sehen ist, wie sie weggetragen wurden.
Von Gaertner betont, dass es ihr mit der Klage nicht um die Höhe der Kosten, sondern um eine grundsätzliche Diskussion geht: um Demonstrations- und Versammlungsrechte sowie um das Recht der freien Meinungsäußerung. »Die Kostenübertragung sendet ein fatales Signal, nämlich, dass man für Polizeieinsätze zahlen muss, wenn man sich politisch engagiert«, meint die antirassistische Aktivistin. »Ich kann mir vorstellen, dass sich Menschen nicht mehr an Protesten beteiligen, wenn sie in Zukunft Gefahr laufen, für Polizeieinsätze aufkommen zu müssen.« Daher wolle sie das Urteil nicht akzeptieren. Am Sonntag erklärten die Aktivist*innen, die im antirassistischen Netzwerk »Rostock Hilft« aktiv sind, in Berufung zu gehen.
Gebührenbescheide nach Hausbesetzung in Mainz
Derweil sollen auch in Mainz linke Aktivist*innen für einen Polizeieinsatz zahlen. Im August 2012 besetzten Aktivist*innen aus Protest gegen hohe Mieten und mangelnde alternative Kultureinrichtungen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ein leerstehendes Gebäude. In dem Haus in der Oberen Austraße 7, das sich unweit des Rheinufers in einem Gewerbegebiet befand, sollte ein unabhängiges, linkes Zentrum entstehen. Als die Polizei anrückte, um das Haus zu räumen, setzten sich rund 70 Unterstützer*innen vor das Haus und blockierten den Eingang. Die Polizei trug die Aktivist*innen weg und räumte das Gebäude. Noch am gleichen Tag wurde es mit Baggern abgerissen. Bis heute steht das Gelände leer.
Mehr als vier Jahre nach der Räumung erhielten die Aktivist*innen Gebührenbescheide für den Polizeieinsatz. Auch in Rheinland-Pfalz soll es der erste Fall dieser Art gewesen sein. Einige Blockadeteilnehmer*innen zahlten, andere klagten. In einem Musterverfahren wurde die Beschwerde einiger Aktivist*innen abgelehnt. Ähnlich wie in Rostock wurden lediglich die Kosten wegen fehlender Nachvollziehbarkeit gesenkt.
Auch Hans Ripper war bei der Sitzblockade dabei. Dem »nd« sagt der Aktivist: »Durch eine solche Gebührenübertragung werden unsere Grundrechte massiv eingeschränkt.« Auch Ripper hat gegen den Bescheid geklagt, das Urteil steht noch aus. Er meint: »Ich will nicht zahlen und werde auf jeden Fall Rechtsmittel einlegen. Denn wenn sie damit durchkommen, könnte das auch in Zukunft so ablaufen. Ich habe Angst, dass sich dann Menschen von Protesten fernhalten.«
Bundesligavereine sollen Mehrkosten bei Hochrisikospielen zahlen
Unlängst war auch außerhalb der linken Szene eine Debatte über die Kosten von Polizeieinsätzen entbrannt. Vielerorts wird gefordert, dass Mehrkosten bei sogenannten Hochrisikospielen der Deutschen Fußballbundesliga von den Vereinen und der Deutschen Fußball Liga (DFL) getragen werden soll. In Bremen hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Gebührenforderungen des Bundeslandes Bremen an die DFL grundsätzlich für rechtens erklärt. Damit darf die Stadt den Verband an Mehrkosten für Polizeieinsätze beteiligen. Die DFL legte Revision ein.
Für den Aktivisten Ripper ist es wichtig, die Unterschiede zwischen politischen Protesten und Fußballspielen zu betonen. »Bundesligaspiele sind kommerzialisierte Ereignisse. Ich bin selbst Fußballfan, beim letzten Spiel von Mainz 05 habe ich 40 Euro für eine Eintrittskarte gezahlt. Das ist etwas anderes als ein politischer Protest.« Auch von Gaertner meint: »Man muss unterscheiden, denn sowohl Werder Bremen als auch die DLF sind kapitalistische Großunternehmen mit Einnahmen in Millionenhöhe.«
Die Aktivist*innen in Rostock und Mainz befürchten, dass sich ihre Verfahren zu Präzendenzfällen entwickelten könnten und auch in anderen Städten Polizeikosten auf politische Aktivist*innen übertragen werden. Gerade auf größere politische Mobilisierungen könnte dies Auswirkungen haben. Deshalb gehe es nun auch darum, das Thema bekannter zu machen und bundesweit auf die Gefahren hinzuweisen. Von Gaertner meint: »Politische Beteiligung darf nicht abhängig von der Zahlungsfähigkeit der Bürger*innen sein.«
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