Da kann man viel Geld verlieren

Wie die Stadt Trier den 200. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes Karl Marx vermarktet

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 6 Min.

Kaum etwas, so formulierte es der »FAZ«-Redakteur Dietmar Dath kürzlich im Gespräch mit der linken Wochenzeitung »Der Freitag«, interessiere ihn weniger »als dieses idiotische Zeug der traditionsreichen Partei der Kriegskredite, der Ebert-Noske-Schweinereien, des Radikalenerlasses, des NATO-Doppelbeschlusses, der Hartz-IV-Gesetze, des Jugoslawienkrieges und was man sonst noch alles bestimmt nicht bei Marx findet«. Er meint natürlich die SPD, deren B-Promis sich plötzlich, aber erwartet für den einflussreichsten Kommunisten der Geschichte erwärmen wollen.

Wohl dem, den das bürgerliche Feuilleton als linken Exoten duldet. Die Chronistenpflicht des Mitarbeiters einer sozialistischen Tageszeitung gebietet es, sich gerade jetzt nach Trier aufzumachen, wo Karl Marx am 5. Mai 1818 zur Welt kam. Zum runden Jubiläum veranstaltet die Stadt ein zu Ehren ihres berühmtesten Sohnes nie erlebtes Programm. Nun befindet sich das Geburtshaus in Händen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. In Rheinland-Pfalz und in Trier haben die Sozialdemokraten außerdem, man traut beim Aufschreiben kaum dem selbst recherchierten Fakt, politisch noch immer das Sagen.

Darum sind sie es, die neben der Katholischen Kirche die drei an diesem Samstag eröffneten Ausstellungen zu Leben, Werk und Wirkung auf die Beine stellen durften. Zur großen Pressekonferenz im Rheinischen Landesmuseum gaben sich am Donnerstag die Ehre: Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Ebert-Stiftungschef Kurt Beck, Oberbürgermeister Wolfram Leibe, Domprobst Werner Rössel - und Beatrix Bouvier, jene wissenschaftliche Leiterin der Landesausstellung, die sich als »ausgewiesene Marx-Kennerin« ansagen ließ. Was einen in der vorwiegend dem Werk gewidmeten Schau an diesem Ort erwartet, brachte Bouvier mit erstaunlich offenen Worten zum Ausdruck: »Wir wollen Karl Marx historisieren und nachweisen, dass vorschnelle Aktualisierungen falsch wären.«

Tatsächlich ist beinahe jedem Exponat der Ausstellung anzumerken, mit welcher Mühe man hier der Arbeit des Karl Marx jede politische Relevanz geraubt hat. Das »Kommunistische Manifest« von 1848 wird in einem Kürzestfilm abgefrühstückt, der Arbeiter und Kapitalisten als Relikte des 19. Jahrhunderts präsentiert. An den Wänden anderer Räume hängt realistische Malerei, die das Elend zu Marxens Zeit illustriert. Schlimm, schlimm war das damals; gottlob haben wir all das in unserer Ära von »Wohlfahrtsstaat« und »sozialer Marktwirtschaft« überwunden, so geistert es ungesagt durch die Säle.

Auch Alfred Krupp wird zitiert: »Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein.« Darunter der putzige Kommentar: »Doch diesem moralischen Anspruch an sich und seine Arbeiter wird er nicht immer gerecht.« Wer dies schon für den Höhepunkt an unfreiwilliger Komik hält, den belehren kurz darauf diese Sätze eines Besseren: »Nach Marx werden im Kapitalismus alle Arbeitsprodukte und Dienstleitungen zu Waren. Auch die Arbeitskraft ist eine Ware. Ihr Wert wird vor allem durch die darin enthaltene Arbeit bemessen. Diese Einschätzung ebenso wie die Theorie des Mehrwerts wird von heutigen Ökonomen nicht mehr geteilt.« Man muss das schon wörtlich zitieren, sonst glaubt es einem wieder keiner.

Die Installation »Kapitalistische Produktion« zeigt schließlich den industriellen Arbeitsprozess mit Werkzeugen, Fließband - und eigens versprühtem Fabrikhallenduft. Was mussten die Menschen einst schuften, als wir noch in einer Klassengesellschaft lebten, so schwirrt es vielleicht demnächst manchem Besucher durch die Sinne, der eine Leiharbeitsbude betreibt, einen Apple-Store führt oder ein Callcenter leitet.

Wer vor dem Besuch der zweiten Ausstellung im Stadtmuseum Simeonstift etwas über das verklemmte Verhältnis dieser an der Grenze zu Luxemburg gelegenen Miniaturmetropole zu Karl Marx erfahren will, der sollte die Simeonstraße 8 aufsuchen. Es ist das Haus, das Marx mit seiner Familie vom zweiten bis zum achtzehnten Lebensjahr bewohnte. Eine kleine Hinweistafel an der Fassade ist alles, was den Kameras der Touristen geboten wird. Im Erdgeschoss logiert ein »Euroshop«, der überwiegend in China produzierte Billigwaren anbietet. Für so etwas erfand Hegel, der philosophische Hausgott des Karl Marx, seinen schönen Begriff von der »Ironie der Geschichte«.

Denn jene Chinesen sind es, die der Stadt zum Jubiläum ein besonderes Geschenk bereitet haben. Auf dem Vorplatz des Stadtmuseums steht eine in der Volksrepublik angefertigte, an diesem Samstag feierlich enthüllte und 5,50 Meter hohe Statue des Kritikers der politischen Ökonomie. Um dieses Monument fanden zuletzt harte ideologische Kämpfe statt. Man dürfe kein Präsent eines Landes annehmen, das die Freiheit seiner Bürger einschränke. Außerdem habe Marx viele Millionen Tote zu verantworten, das sei doch eine Schande für die Stadt.

Es sind dieselben Stimmen, die erfolgreich darauf pochen konnten, dass auch die neue Ausstellung im Karl-Marx-Haus (»Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute«) die Visionen des dort Geborenen als fast notwendig in den Totalitarismus führende Gefahren darstellt. Darauf wies Kurt Beck in seinem Statement bei der Pressekonferenz hin, und zwar in dem ihm auch jenseits der großen Politikbühne erhalten gebliebenen Duktus des staatstragenden Provinzfürstenstolzes.

Im Stadtmuseum ist der zweite Teil der Ausstellung »Karl Marx 1818 - 1883. Leben. Werk. Zeit« zu sehen, der sich weniger mit dem Schaffen des Arbeitswütigen als vielmehr mit dessen Biografie beschäftigt. In sinnlich gestalteten Räumen handelt die Schau chronologisch die Lebensstationen ab und bindet sie in den Kontext der Zeit ein. Wer bisher wenig über den Menschen Karl Marx weiß, findet an dieser Stelle eine gelungene Einführung.

Auf dem Weg zur dritten Ausstellung im Dommuseum lohnt eine Werbepause, denn das Stadtmarketing hat auch an Merchandising gedacht. Da wäre etwa der für drei Euro zu erwerbende Null-Euro-Geldschein mit Marx-Konterfei. Oder die Marx-Ente: Das vermenschlichte Gummischnabeltier ist auf dem Köpfchen und im Gesicht mit grau melierten Haaren gesegnet. Es trägt ein antiquiertes Jackett, in Händen hält es eine Feder und eine »Kapital«-Ausgabe. Für 5,90 Euro gibt es das Souvenir in allen Museen von Trier. Im Straßenverkehr treffen Fußgänger auf Ampelmännchen mit rundem Leib und Rauschebart. Das nach Marxens Spitzname benannte »Café Mohr« hat Marx-Konfekt in die Auslage gelegt, und eine Bäckerei verkauft das Karl-Marx-Brot für 2,95 Euro.

Mit diesen Eindrücken geht es sich gleich viel beschwingter in die Schau »LebensWert Arbeit« im Museum am Dom, zu deren Würdigung der Domprobst Werner Rössel bei der Pressekonferenz als Einziger auf dem Podium den aktuellen Kern des Marxschen Werkes herausstellte: »Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit hat sich wieder stärker zugunsten des Kapitals verschoben.« Und er schob gleich nach: »Das ist sehr scharf ausgedrückt. Ich möchte es auch bei dieser Schärfe belassen.« In der Ausstellung stellen überwiegend jüngere Künstler ihre Perspektiven auf die in Deutschland ebenso wie global noch immer von Ausbeutung geprägte, weil kapitalistische Arbeitswelt der Gegenwart vor - leider fast vollständig ohne Verbindung zum Werk von Karl Marx.

Auch dies ein Zugeständnis an die Klientel, für die dieses Trierer Spektakel konzipiert ist. Deren klassische Optionen für den Kurzurlaub bestehen in einer Fahrt in die älteste Stadt Deutschlands und im Besuch eines Musicals in Hamburg. Um diese zahlungskräftigen Kunden nicht zu vergraulen, distanziert sich die Stadt folgerichtig von allem, was Marx gesagt und getan hat. Der Schriftsteller und Musiker Sven Regener dichtete vor ein paar Jahren die dazu passenden Zeilen: »Städtemarketing steht und fällt mit der Kompetenz / der Leute, die sich für so was interessieren. / Da kann man viel Geld verlieren und man steht immer in Konkurrenz / zu anderen Städten. Das nervt.«

Die Trierer Ausstellungen »Karl Marx 1818 - 1883. Leben. Werk. Zeit« im Rheinischen Landesmuseum und im Stadtmuseum Simeonstift sowie »LebensWert Arbeit« im Museum am Dom sind jeweils bis zum 21. Oktober zu sehen. Die Ausstellung »Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute« ist die neue Dauerausstellung des Karl-Marx-Hauses Trier.

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