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  • Waffenexporte durch Heckler & Koch

Das Verderben kommt aus Oberndorf

Die Sturmgewehre des Rüstungskonzerns ziehen in Mexiko eine Blutspur hinter sich her

  • Timo Dorsch
  • Lesedauer: 6 Min.

43 Monate sind nach dem gewaltsamen Verschwindenlassen von 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa in Mexiko verstrichen. In einer konzertierten Aktion wurden sie in der Kleinstadt Iguala im Bundesstaat Guerrero in der Nacht auf den 27. September 2014 mehrmals von Polizisten angegriffen, aufgegriffen und daraufhin der kriminellen Gruppe »Guerreros Unidos« ausgehändigt. Während das örtlich stationierte Militär sowie Strukturen der Landes- und Bundespolizei zumindest über das Geschehen informiert gewesen waren und hätten einschreiten können, starben zwei der Studenten sowie drei weitere Personen durch Schüsse aus Waffen lokaler Polizisten. Ein dritter Student wurde mit Folterspuren tot aufgefunden. Das schaurige Foto seines nicht mehr erkennbaren Gesichts ging um die Welt.

Bei der am darauffolgenden Morgen durchgeführten Razzia der Polizeibehörde in Iguala registrierten Strafverfolger mehr als 200 Waffen. Zum Arsenal gehörten auch 38 G36-Sturmgewehre aus dem deutschen Schwabenland. Produzent ist die Firma Heckler&Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar, Kreis Rottweil. Das G36 ist nicht irgendeine Waffe, sondern setzt laut Angabe des stolzen Herstellers auf seiner Internetseite »nach wie vor den Maßstab in der Kategorie der Sturmgewehre« und kann bei korrekter Nutzung mit einer Leistung von 750 Schuss pro Minute glänzen. Von denjenigen Beamten, die später wegen Mordes angeklagt wurden, hatten sechs von ihnen, wie Mexiko-Korrespondent Wolf-Dieter Vogel später in der »taz« berichtete, »laut Ermittlungsakten Zugang« zu den G36-Gewehren. Die an ihnen festgestellten Schmauchspuren ließen rückschließen, dass die Waffen aus deutscher Produktion auch zum Einsatz kamen.

Die deutsche Beteiligung an diesem Verbrechen geht aber weiter. Rechtlich gesehen hätten diese Gewehre niemals nach Guerrero gelangen dürfen. Das Unternehmen besaß keine Exportgenehmigung. Ein Grund, aber noch lange kein Hindernis wie sich herausstellen sollte.

Straffreiheit dank Stuttgarter Staatsanwaltschaft?

Dass die Machenschaften dennoch ans Licht kamen ist auch der hartnäckigen Arbeit von Jürgen Grässlin zu verdanken. Der langjährige Friedensaktivist ist Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und erstattete 2010 Strafanzeige gegen den Waffenproduzenten aus Oberndorf. Ein Jahr zuvor trat ein Whistleblower an ihn heran, packte über sein früheres Unternehmen aus und lieferte kompromittierende Dokumente gleich mit. »Die Unterlagen sind hochbrisant. Sie dokumentieren unter anderem die Schulung von Polizisten, von denen viele schwere Straftaten begehen, mit H&K-Sturmgewehren«, erklärt Jürgen Grässlin im Interview. Eine weitere gestellte Anzeige von Grässlins Anwalt Holger Rothbauer im Jahr 2012 richtete sich gegen an dem Waffenexport beteiligte Mitarbeiter des Bundesausfuhramt (BAFA) und des Bundeswirtschaftsministerium (BMWI), deren Zustimmung es jeweils bedarf. Zu einer Anklage kam es nie. Der beauftragte Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller nahm zwar Ermittlungen auf, legte diese aber alsbald ad acta. Damit wurde eine fünfjährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt, die die ehemals Beschuldigten vor einer Anklage schützt. Stattdessen geriet Jürgen Grässlin selbst ins Schussfeuer mitsamt seinem veröffentlichten und viel rezitierten Buch »Netzwerk des Todes«: »Denn statt die Behördenvertreter auf die Anklagebank zu bringen, leitete er ein Strafverfahren gegen Daniel Harrich, Filmemacher und Produzent der preisgekrönten Doku «Tödliche Exporte», und mich ein und wollte das Buch vom Markt pressen - was ihm nicht gelungen ist«, lässt Grässlin »nd« wissen.

Gute Geschäfte und Beziehungen von H&K

Welche politische Einflussnahme und welche persönliche Beziehungen im Detail dafür verantwortlich gewesen sind, liegt im Dunkeln. Seit Langem ist bekannt, dass der Kleinwaffenproduzent früher gelegentlich Parteispenden an die die ortsansässige CDU und FDP tätigte (für die SPD nur in geringem Maße). Rottweil ist übrigens auch der Wahlkreis von Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vielleicht konnte dadurch erst das gute Verhältnis von H&K zum zuständigen Bereich für Rüstungsbeschaffung im Verteidigungsministerium aufgebaut werden, wie die Tagesschau 2015 berichtete. Hinzu kommt, dass der ehemalige Präsident des Stuttgarter Landgerichts, Peter Beyerle, nach seiner Pensionierung 2005 kurze Zeit darauf in die Rechtsabteilung von H&K wechselte und von dort in die Geschäftsführung der Firma überging.

Das Unternehmen aus Oberndorf pflegt bereits über einen weitaus längeren Zeitraum gute Beziehungen nach Mexiko. Als in den 1960er-1980er Jahren die deutsche Bundesregierung bereitwillig Nachbaulizenzen für das Schnellfeuergewehr G3 an ein gutes Dutzend Länder erteilte, befand sich in der Liste der Nutznießer auch der mexikanische Staat. Im Juni 1979 wurden die vertraglichen Unterschriften gesetzt und das Staatsunternehmen Fábrica Nacional de Cartuchos y Municiones begann mit der Produktion des Sturmgewehrs, von dem in Mexiko bis heute mehr als 179 000 Stück fabriziert worden sind. Das Vertragsabkommen erfolgte in einer Epoche, in der nicht nur fast der komplette lateinamerikanische Kontinent durch brutale Militärdiktaturen geprägt war, sondern auch die mexikanische Gesellschaft dem sogenannten Schmutzigen Krieg der eigenen Regierung ausgesetzt war.

Solche wirtschaftlichen Übereinkünfte sind grundlegender Bestandteil außenpolitischer Beziehungen. Deutsche Botschaften haben Militärattachés, die ehemalige Bundeswehrsoldaten sind. Jan van Aken, Rüstungsexperte und außenpolitischer Sprecher der Partei Die Linke im vergangenen Bundestag, gab gegenüber »nd« zu verstehen: »Der Auftrag der Militärattachés ist auch, für Waffenexporte zu sorgen. Innerhalb Deutschland ist es genauso. Es gibt hier gemeinnützige Organisationen, da sind sowohl Bundestagsabgeordnete drin, Vertreter von Rüstungsunternehmen und vom Verteidigungsministerium. Das sind alles gute Freunde.«

Gedämpfte Hoffnungen und weiterlaufende Geschäfte

Aufgrund der bewusst provozierten Verjährungsfrist durch Staatsanwalt Vobiller befürchtet Rüstungsgegner Grässlin nun, dass die Verteidigungsstrategie von H&K darauf hinauslaufen wird, zu behaupten, dass die eigentlichen Strippenzieher und maßgeblichen Akteure des Waffenhandels die Bundesbehörden gewesen waren. Damit könnten sie behaupten, »die Behördenvertreter trügen fast ausschließlich die Schuld«, so Grässlin. Er vermutet, dass »wenn es ganz problematisch läuft, wird das Landgericht Stuttgart dieser Strategie Folge leisten und H&K träfe nur eine Teilschuld und im schlimmsten Fall wird es nicht einmal Haftstrafen geben, sondern Bewährungsstrafen. Das wäre natürlich ein fortgesetzter Skandal ohnegleichen in der deutschen Rüstungsexportgeschichte.«

Auch wenn die Bundesregierung seit 2011 für H&K keine Exportgenehmigungen mehr für Kleinwaffen nach Mexiko erteilt hat, befinden sich nach wie vor - sowohl legal als auch illegal - deutsche Waffen in einem Land, das sich seit Ende 2006 in einem inneren Krieg befindet, der bisher mehr als 220 000 Menschen das Leben gekostet hat. Auch wenn die Entscheidung nur für sich allein genommen richtig ist, wirft sie aus einem breiteren Blickwinkel betrachtet eher Fragen auf.

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So auch bei Jan van Aken: »Entweder glauben sie in der Bundesregierung, dass Heckler & Koch betrogen hat und dann wäre eigentlich die Entscheidung diejenige, dass sie nirgendwohin mehr liefern dürfen. Oder sie glauben, Mexiko hat betrogen und dann hätte Mexiko von niemanden mehr aus Deutschland Waffen kriegen dürfen.« Stattdessen bekommt Mexiko weiterhin Waffen - nur nicht von Heckler&Koch - und Heckler&Koch darf weiterhin Waffen exportieren - nur nicht nach Mexiko. Die Menschenrechtsverletzungen gehen derweil weiter. Auch in Mexiko, auch mit Waffen von H&K.

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