Verwerfungen des Heiligen Geistes

Quiz der Religionen, Streit um das Kreuz des Südens und Marx im Doppelpack

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie groß ist eigentlich das Datenvolumen des Heiligen Geistes? Eine Frage, deren Beantwortung nicht nur für Theologen interessant sein dürfte, sondern auch für jenen Mobilfunkanbieter, der auf Werbetafeln wichtighuberisch verheißt: »Freiheit ist, wenn dein Datenvolumen so groß ist wie eure Liebe.« »Denn«, so der Apostel Paulus, »die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.« (Römer 5,5) Die Ausgießung des Heiligen Geistes - und damit sind wir beim Anlass dieser Betrachtung - erfolgte laut Kirchenkalender am Pfingsttag, sieben Wochen nach Ostern, also dem Tag der Auferstehung des Herrn. Die Jünger Jesu hatten sich in Jerusalem versammelt, und »da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.« (Apg 2,1-4)

Das Schöne an Pfingsten ist ja, dass es das entspannteste unter den Festen des Kirchenjahres darstellt. Kein Vorfeiertagsstress, keine fiebrige Geschenkerwartungshaltung. Zwar kennen auch bei Weihnachten und Ostern viele der hier (schon länger) Lebenden Sinn und Anlass nicht mehr, aber bei Pfingsten dürfte es sich wahrlich nur noch um eine sehr bescheidene Minderheit von Wissenden handeln. »Ausgießung des Heiligen Geistes« - selbst den in das mystische Begebnis universitär Eingeweihten fällt es schwer, solch sakrales Abstraktum in ein profanes Konkretum zu gießen. Die Lehre vom Heiligen Geist bringe »ein Unruhe-Element in die christliche Gotteslehre, die mit alledem noch rätselhafter und unverständlicher wird«, bekennt freimütig der international renommierte evangelisch-lutherische Dogmatikprofessor Hans-Martin Barth.

Vermutlich wären beim großen Quiz der Religionen jene Kandidaten besser bedient, die statt nach Pfingsten zum Ramadan befragt würden. Schließlich ist der islamische Fastenmonat hierzulande längst festes Agens der publizistischen Folklore und wird auch anders-, nicht- und ungläubigen Medienkonsumenten alljährlich aufs Neue nahegebracht. Was auch deshalb nicht unwichtig ist, da sich dieses fromme Brauchtum - im Unterschied zum Heiligen Geist - vielfältig im banalen Alltag niederschlägt. So, wie mit dem Islam auch der Ramadan zu Deutschland gehört, gehören des Letzteren lähmende Auswirkungen auf den Schulunterricht in Teilen Berlins (und anderswo) mittlerweile zu den Imponderabilien der Arbeit des pädagogischen Personals.

Da passt es gut, dass Pfingsten heuer in den diese Woche begonnenen Ramadan fällt. Religiös Promiskuitive haben so die Wahl zwischen Heiligem Geist und leerem Magen. Eine gute Übung bei der laufenden Operation, »eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln«. Letztere nannte der Politologe Yascha Mounk von der Harvard University (Boston, USA) in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen »ein historisch einzigartiges Experiment«, bei dem »es natürlich auch zu vielen Verwerfungen« komme. Eine passende Parallele: Fast zur gleichen Zeit gab Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus, ein Statement ab, das in dem Satz gipfelte: »Jedes Werk des Heiligen Geistes wird immer auf Widerstände stoßen.« Noch deutlicher demonstrierte das Ineinandergreifen von heilsgeschichtlicher Determiniertheit und politischer Teleologie unlängst Wolfgang Schäuble. Für den Bundestagspräsidenten ist die von Mounk verkündigte Experimentierphase längst vorbei. »Wir können nicht den Gang der Geschichte aufhalten«, sagte der Inhaber des zweithöchsten Staatsamtes der Bundesrepublik. »Der Rest der Bevölkerung muss akzeptieren, dass es in Deutschland einen wachsenden Anteil von Muslimen gibt.«

Bemerkenswert an der Äußerung des evangelischen Christen Schäuble ist, dass er offenbar nicht mehr an den Heiligen Geist - der »weht, wo er will« (Joh 3,8) - glaubt, sondern an den unaufhaltsamen »Gang der Geschichte«. Das hat Tradition: Die Anrufung der »Vorsehung« war affirmativer Begleittext in den Zeiten dunkelstdeutscher Katastrophenpolitik. Friedrich Engels, abhold jeder Beschwörung ahistorischer Alternativlosigkeit, war hingegen der entschiedenen Meinung: »Ohne Gewalt und eherne Rücksichtslosigkeit wird nichts durchgesetzt in der Geschichte.« Vermutlich fällt darunter auch die eine oder andere der »vielen Verwerfungen«, die der Politologe Mounk als »natürlich« ansieht.

Für den 2016 verstorbenen Historiker Fritz Stern war der Glaube an historische Zwangsläufigkeit »ein gefährlicher Irrtum«. In seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels sagte der Deutsch-Amerikaner 1999: »Wir können aus der Vergangenheit lernen, dass der Gang der Geschichte offen ist, dass er von Menschen gestaltet wird.« Auch die islamische Implikation kann aus diesem offenen Gang der Geschichte nicht politisch wegdekretiert werden.

Dass Schäuble, der sich vor zwei Jahren noch wegen Europas möglicher »Abschottung« sorgte, die »uns in Inzucht degenerieren ließe«, inzwischen von Nichtmuslimen als dem »Rest der Bevölkerung« spricht, lässt immerhin auf Fortschritte in Sachen Zuwanderung schließen. Als 1989 immer mehr Ostdeutsche ihren Staat verließen, blühte dort der sarkastische, oft schlichte Witz. So die Deutung der Abkürzung DDR als »Der Dumme Rest«. Doch auch Reste, das zeigt die Geschichte, bergen Risiken.

Vielleicht lag es ja an der speziellen spirituellen Aufladung der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, dass uns aus Bayern eine kuriose Nachricht erreichte. Die Regierung in München verfügte, dass ab Juni im Eingangsbereich jeder Behörde ein Kreuz hängen soll. Ministerpräsident Markus Söder sagte, dabei gehe es um ein »Bekenntnis zur Identität« und zur »kulturellen Prägung« Bayerns. Oder, wie Jakob Augstein bemerkte, um »das Markenzeichen des Abendlandes«. Söder will also dem Markenzeichen der islamischen Kultur (Kopftuch) mit dem kruzi-fixen Signum des christlichen Abendlandes trotzen. Einer wird gewinnen? Eine spannende Frage, bei deren Beantwortung wir leider nicht mehr auf Hans-Joachim Kulenkampff zählen können.

Und nun die kuriose Nachricht: Ausgerechnet Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, sieht sich, seine Kirche und überhaupt alle von Söder aufs Kreuz gelegt. Dessen despektierliches Dekret sorge für »Spaltung, Unruhe, Gegeneinander«. Als würden ausgerechnet ein paar zusätzliche zu den in Bayern ohnehin massenpräsenten Wanddekorationen diesen längst alltäglichen Zustand bewirken. Marx geht es wohl auch um etwas ganz anderes, wenn er allen Ernstes befürchtet, das Kreuz werde »im Namen des Staates enteignet«. In Anlehnung an Sonnenkönig Ludwig XIV. vertritt der Kirchenfürst offenbar die Devise »Das Kreuz bin ich!«. So, wie er vor anderthalb Jahren entschied, beim Besuch des Tempelbergs in Jerusalem sein Bischofs-Brustkreuz diskret in der Hosentasche verschwinden zu lassen (sein Amtsbruder Bischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, tat es ihm gleich).

2006 hatte sich Marx noch ganz anders positioniert. Als im Justizgebäude von Trier nach einer Renovierung die zuvor dort befindlichen Kreuze nicht mehr aufgehängt wurden, stellte sich der damalige Trierer Bischof demonstrativ unter ein großes Holzkreuz. Mit starken Worten geißelte er den »historischen Einschnitt« in einer »Stadt, in der sich die Christen vor 1700 Jahren erstmals auf deutschem Boden versammelt haben«. Er weht halt nicht nur, »wo er will«, der Heilige Geist, sondern auch, wie er will. Oder es ist einfach so, wie Karl Marx meinte: »Religion ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, Ereignissen ins Gesicht zu sehen, die er nicht versteht.«

Kardinal Marx jedenfalls sieht sehr wohlwollend auf den Namensgleichen. Die Katholische Soziallehre habe sich »intensiv an Marx abgearbeitet«, sagte er in einem Interview zum 200. Geburtstag des Begründers des Wissenschaftlichen Sozialismus und zitierte zustimmend das Wort des katholischen Sozialphilosophen Oswald von Nell-Breuning: »Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx.« »Das soll nicht bedeuten«, so der Kardinal weiter, »dass er ein ›Kirchenvater‹ sei.« Was ja noch werden kann, zum 250. vielleicht. Immerhin ist nun von Marx (Reinhard) abgesegnet, was Lenin schon vor über 100 Jahren postulierte: Die Lehre von Marx (Karl) ist allmächtig. Wie der Heilige Geist.

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