Wer spielt die erste Geige?
Instrumente aus aller Welt beim Wettbewerb in bayerischen Mittenwald
Seit Jahrhunderten werden Geigen aus Mittenwald weltweit verkauft - alle vier Jahre aber kommen Geigen aus aller Welt nach Mittenwald: Zum 8. Internationalen Geigenbauwettbewerb haben Geigenbauer aus 25 Ländern und vier Kontinenten mehr als 110 Geigen, Bratschen und Celli sowie an die 50 Bögen eingereicht.
Von früh bis spät sitzen nun die Jurys in der Mittenwalder Geigenbauschule zusammen, die für Handwerk unter Vorsitz von Geigenbauer Hieronymus Köstler, die für Musik unter Leitung von Kerstin Feltz, Professorin für Violoncello an der Kunstuniversität Graz. Die Instrumente, fünfstellige Beträge wert, stammen aus Europa, den USA, China und sogar Neuseeland. Der Wettbewerb zählt neben dem im italienischen Cremona zu den renommiertesten weltweit.
Instrument für Instrument gehen die Juroren durch, prüfen Machart und Klang. »Manchmal muss man es gemeinsam anhören, um sich ein Urteil zu bilden«, sagt Georg Neuner, Geigenbaumeister und Fachlehrer an der Mittenwalder Geigenbauschule. »Es gibt Instrumente, die am Ohr ganz anders klingen, als wenn man ein paar Meter davor sitzt.«
Es geht um die Farbe des Tons, Brillanz, Lautstärke, Spielbarkeit - und um Tragfähigkeit. »Es gibt Geigen, die klingen aus der Nähe kräftig, aber man hört sie am Ende des Konzertsaales nicht«, so Neuner. »Für den Musiker ist es aber eminent wichtig, dass man ihn nicht nur beim Solo hört.« Die Tragfähigkeit hängt mit der Bauart zusammen, mit Spannung und Wölbungsform. Antonio Giacomo Stradivari und sein Kollege Guarneri del Gesù bauten in Cremona im 17. Jahrhundert Instrumente mit eher flacher Wölbung - »und da hat sich herausgestellt, dass sie sehr tragfähig sind«.
Die Juroren schauen auch auf die handwerkliche Qualität, auf Holz und Lack. Eine Handvoll Geigen und Bratschen sortierten sie gleich aus. Die Instrumente dürfen nicht älter als zwei Jahre sein, nicht maschinell bearbeitet oder künstlich alt gemacht sein, und sie dürfen auch keine exzentrischen Formen und Verzierungen aufweisen.
Bögen kommen ebenfalls auf den Prüfstand. Spannung und Gewicht müssen stimmen, um feine Tonfolgen spielen zu können. »Die beste Qualität ist mongolisches Hengsthaar«, sagt Neuner. Naturweiß - wenn die Haare gebleicht werden müssen, verlieren sie an Qualität. Schwarze Haare wiederum sind dicker - und geben damit einen raueren Ton. Geeignet für Bass - aber nicht für Geigen.
Derzeit geht die einwöchige Bewertungsphase in die Zielrunde. »Es muss die musikalische und die handwerkliche Wertung zusammengebracht werden«, sagt Neuner. Die Entscheidung fällt am Freitag nach einer öffentlichen Klangprobe, am Sonnabend werden die Medaillen vergeben. Sieger haben verbesserte Chancen, sich auf dem schwierigen Markt mit dem Neubau von Streichinstrumenten zu etablieren - 90 Prozent der Geigenbauer leben von Restauration oder Reparatur.
Die Geigenbautradition in Mittenwald geht auf Mathias Klotz (1653 - 1743) zurück. Er arbeitete zeitweise in Padua und brachte bei der Heimkehr aus Italien die damals moderne Cremoneser Bautechnik mit. 1685 gründete er in Mittenwald eine Werkstatt als Lauten- und Geigenmacher - und binnen nicht einmal 100 Jahren wurden Geigen aus dem Alpenort zum Exportschlager. Leopold Mozart soll 1764 aus London einem Freund in Salzburg geschrieben haben, »dass Paris und London mit Mittenwalder Geigen voll sind«. Im 19. Jahrhundert wurden Tausende Geigen jährlich verkauft, gebaut in fast industrieller Produktion. Einige Geigenbauer bauten den Hals, andere den Korpus; zusammengesetzt und lackiert wurde bei Firmen.
Bis heute hat die Mittenwalder Geigenbauschule internationalen Zulauf; im Ort gibt es acht Geigenbauer. »Wir haben pro 1000 Einwohner einen Geigenbauer«, betont Neuner. »Diese Dichte gibt es sonst nur in Cremona.« Wertvolle Geigen können Millionen kosten, zu den teuersten zählen jahrhundertealte Stradivaris des Cremoneser Meisters. Dennoch ist nicht jedes verstaubte Instrument auf dem Speicher ein Vermögen wert. Carsten Gerhard, Sprecher des Wettbewerbs, unterstreicht: »Nicht jede alte Geige ist wertvoll, aber viele wertvolle Geigen sind alt.« dpa/nd
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