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Schlechte Voraussetzungen für Untersuchungsausschuss
Die wahren Missstände im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stehen seit langem auf der Tagesordnung
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Jutta Cordt, hatten am Dienstag einen womöglich folgenschweren Auftritt vor den Innenpolitikern des Bundestages. Er dürfte darüber mitentscheiden, ob sich die Waage in Richtung Untersuchungsausschuss neigt. Es geht um Fälle in der Bremer Außenstelle des BAMF, in denen Flüchtlingen womöglich irregulär ein Schutzstatus erteilt wurde. Unabhängig vom Verlauf am Dienstag scheint die Entscheidung von AfD und FDP für einen Untersuchungsausschuss getroffen. Grüne oder LINKE wären für das nötige Quorum zur Einsetzung nötig.
Vor Beginn der Sitzung am Nachmittag hatte Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) die Forderung nach einer öffentlichen Veranstaltung zurückgewiesen. Es gehe um viele personenbezogene Daten, die nicht öffentlich genannt werden könnten. Außerdem sei es wichtig, frei über die Vorgänge zu reden. Bis nd-Redaktionssschluss lagen Informationen aus der Sitzung nicht vor. Der Datenschutz war zuvor in dem Gremium allerdings in fragwürdiger Weise gehandhabt worden.
Ein Bericht der Interimschefin der Bremer Außenstelle, Josefa S., wurde vom Innenministerium mit den Daten von Behördenmitarbeitern ungeschwärzt an die Ausschussmitglieder weitergeleitet. Die sonst ausufernde Sorgfalt der Bundesregierung beim Schwärzen von Dokumenten, die von Abgeordneten häufig als Vertuschung von Fakten wahrgenommen wird, scheint in diesem Fall als überflüssig gegolten zu haben, in dem es um eine Abweichung von Rechtsstandards zu Gunsten von Asylbewerbern geht.
Abweichungen zu Ungunsten der Schutzsuchenden sind beispielsweise von der Linksfraktion im Bundestag immer wieder bemängelt worden, ohne dass dies je einen Untersuchungsausschuss in Spruchweite gebracht hätte. Etwa 32 500 Fehlentscheidungen des BAMF wurden 2017 von den Gerichten zu Gunsten von Geflüchteten korrigiert. Hinzu kommen etwa 4500 Fälle, in denen das BAMF seine Entscheidung im Sinne der Betroffenen selbst korrigierte. Auch die unterschiedlichen Anerkennungsquoten in den Bundesländern sind Anlass zum Zweifel, dass die bundesweit geltenden Regelungen im Asylrecht überall auf gleiche Weise angewandt werden.
So weisen Bayern, Brandenburg und Sachsen regelmäßig und seit Jahren unterdurchschnittliche Schutzquoten auf, während Bremen und Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig über dem Durchschnitt liegen. Afghanische Flüchtlinge haben beispielsweise in Brandenburg oder Bayern nur etwa halb so große Chancen auf einen Schutzstatus wie in Bremen. Die Bundesregierung konnte auf die entsprechenden Nachfragen der LINKEN im Bundestag keine plausiblen Erklärungen liefern.
Auf strukturelle Mängel wiesen immer wieder auch Mitarbeiter der Behörde selbst hin - vor allem im Zuge der sprunghaften Erhöhung der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015. Erneut meldete sich jetzt der Personalrat des BAMF in einem Brief zu Wort, in dem er Jutta Cordt eine Mitverantwortung für die Vorgänge in Bremen zuwies und die Mitarbeiter in Schutz nahm. Für die Misere sei die Führung des Amtes verantwortlich, gab die »Süddeutsche Zeitung« die Vorwürfe des Gremiums wider. Der Personalrat kritisiert, dass die Mitarbeiter pauschal dem Verdacht ausgesetzt würden, »im BAMF herrsche Inkompetenz und Willkür«. Dafür verantwortlich seien aber Vorgaben von oben. »Bis heute« werde der Erledigung von Fällen Vorrang eingeräumt, Qualität werde dem »vollständig untergeordnet«. Dies habe dazu geführt, dass »bewusst« Einschränkungen in der Rechtsstaatlichkeit beim Bearbeiten der Asylanträge in Kauf genommen würden.
Stattdessen ist das Interesse der Öffentlichkeit derzeit auf einen Brief gerichtet, in dem die Bremer Beamtin Josefa S. auf vernichtete Akten aufmerksam machte. Das Innenministerium teilte auf eine Anfrage der Grünen mit, dies sei im Rahmen der normalen Fristen geschehen. Um 1200 Fälle soll es gehen, die nach allen Überprüfungen im Bremer Fall als irregulär übrig geblieben sind. Ob diese nach ihrer Überprüfung zu widerrufen wären, ist eine der tatsächlich offenen Fragen, sofern den Flüchtlingen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Es handelt sich um Jesiden, eine Volksgruppe in Syrien und Irak, deren Anerkennungsquote in Deutschland bei über 90 Prozent liegt. Am Dienstag meldete sich auch der Zentralrat der Jesiden zu Wort, um restlose Aufklärung zu fordern. Eine Rückkehr in ihre zerstörten Dörfer sei den Jesiden nicht möglich, mahnte er.
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