Friedensmüde

Der Western »Feinde - Hostiles« erinnert an das Erbe der US-amerikanischen Kolonialgeschichte

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn schon der Film überhaupt von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt ist wie kein Genre je, so kann der Western als reiner Ausdruck davon genommen werden. Sein Setting ist die idealisierte Geographie des frühen Kapitalismus: die unterentwickelte Staatlichkeit, der Vorrang des noch nicht kodifizierten Rechts, das egozentrische Handeln als höchstes gemeinsames Gut, die unerbittliche Expansion, bei der Hinterland und Frontier verschwimmen, die absolute Grenze des Pazifik, nach der bloß noch intensive Reproduktion möglich sein wird - alle diese Elemente sind im Western zum Naturzustand verklärt. Hier siedle ich und kann nicht anders.

Den vollendeten bildsprachlichen Ausdruck dieser Weltlage fand Sergio Leone in seinem Montageprinzip, worin Landschafts- und Nahaufnahmen dominieren. Das Ich verschwindet in der weiten Welt oder im Ausschnitt. Keine filmische Erzählung kann ganz auf die Totale verzichten; der Western meidet sie, soweit es geht, da in jeder Anordnung von Personen das Gesellschaftliche schon wieder durchscheint. Auch Scott Coopers »Hostiles« arbeitet mit dem Wechsel von Weite und Detail, wenn auch nicht so streng. Das Mittel ist hier bloß noch Nachahmung eines ausgereizten Genres. Der klassische Western wahrte die Sehnsucht nach einer Zeit, in der ein Mann noch ein Mann war und kein Gesetz ihn daran hinderte - und wiederholte so die Schwärmerei der Jenaer Romantik um das Mittelalter als Unbehagen des Bürgertums an sich selbst, dem Widerspruch, Zivilisation nur mittels anarchischer Dynamik hervorbringen zu können. Cooper verklärt nicht, er will die schmutzige Seite beleuchten. Er stellt den Western vom Kopf auf die Füße.

Das Geschehen setzt 1892 ein, bald nach dem Ende der Indianerkriege. US-Army-Captain Joseph Blocker (Christian Bale) wird beauftragt, den Chief der Cheyenne, Yellow Hawk (Wes Studi), in sein Stammesland zu überführen. Dieser hatte, vom Alterskrebs geschlagen, darum gebeten, in Montana sterben zu dürfen. Blocker und Yellow Hawk sind vertraute Feinde; sie gehörten zu den brutalsten Akteuren der Kriege. (Blockers Beteiligung am Massaker von Wounded Knee wird namentlich erwähnt.) Yellow Hawk ist bereit zu verzeihen, Blocker einstweilen nicht. Unterwegs treffen sie auf Rosalie Quaid, deren Familie von einem Trupp Comanchen ermordet wurde. Die unfreiwillige Gemeinschaft muss einander vertrauen lernen, um zu überleben, während sie von marodierenden Indianern, grausamen Pelzhändlern, unerbittlichen Siedlern und abtrünnigen Soldaten attackiert wird.

Das schon ist die ganze Fabel. Roadmovies überzeugen selten durch ihre Struktur. Man kommt von A nach B und erlebt dies und das. Es geht weniger ums Geschehen, sondern darum, was es aus den Menschen macht. So wird das langsame Erzähltempo nachvollziehbar - allein die Exposition fordert gute 40 Minuten -, denn es geht in »Hostiles« um einen späten Reifeprozess, der auf Einsicht und Vergebung beruht. Das ist mehr als bloß geradlinig, es ist organisch (vom ärgerlich weichen Ende abgesehen, wo eine Sweetwater-wartet-auf-dich-Situation vergeben wurde).

Der Film berührt zwei Ebenen, die historische und die humane, die aber nicht ineinander aufgehen können. Über allem liegt die Kolonisierung Nordamerikas, die den Tod eines beträchtlichen Teils der indigenen Bevölkerung zur Folge hatte. Christian Bale benutzte in einem Interview den Ausdruck ›Genozid‹. Tatsächlich war die Kolonisierung zunächst die Form, in der die Ursprüngliche Akkumulation sich in Nordamerika vollzogen hat. Dieser Prozess nahm sich im England der frühen Neuzeit nicht weniger brutal aus, nur dass Landnahme, Plünderung und Mord dort nicht von außen kamen. Wo Kolonialismus im Spiel ist, stellt sich die soziale Kollision zusätzlich als kulturelle dar. Settlers verdrängen natives. Spätestens hier wird die Rede vom Genozid konvenient, denn die Gewaltgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft ist heute fast vollständig verdrängt. Wo nicht ganz vergessen, wird sie in dämonischen Begriffen festgehalten und von der bürgerlichen Normalität getrennt, als gehöre sie nicht dazu.

Wo dagegen die Vertreibung und Ausrottung der indianischen Stämme organisiert betrieben wurde, haben wir es mit Maßnahmen von Regierung und Armee zu tun. Die Handlung von »Hostiles« ist denn auch in dieser Sphäre angelegt, aber aus demselben Grund kommt der Film ab einen bestimmten Punkt nicht weiter. Der poetische Titel ist ohne Revisionismus nicht zu haben. Auf der humanen Ebene verhandelt man die Frage, wie viel Gleichheit in Feindschaft steckt und wie viel Chance damit zu deren Überwindung. Immer wieder spielt der Film mit diesem Motiv, so dass das sich entwickelnde Einverständnis der beiden Feinde durchaus authentisch wirkt. Blocker spricht die Sprache seiner Feinde (den nördlichen Cheyenne-Dialekt), und es kursiert das Gerücht, dass er mehr Skalps genommen haben soll als Sitting Bull. Gelebte Feindschaft hat oft den seltsamen Effekt, dass die Feinde sich einander angleichen, und folgerichtig macht nicht Zuneigung die Grundlage des kommenden Einverständnisses, sondern ein gemeinsamer Feind. Was Blocker und Yellow Hawk zusammenschweißt, ist dasselbe, was sie vormals trennte. Dadurch, dass die in sich nicht mehr verfeindete Gruppe eine durch und durch feindliche, weil nach wie vor in sich verfeindete Umwelt durchquert, wird sie ein utopisches Gefäß, das den Gedanken des Friedens in die Zukunft trägt, die kriegerische Vergangenheit allerdings verklären muss. Hier, wo der Film groß wird, weil er von der dramatisch notwendigen Konstruktion zweier echter Charaktere lebt, abstrahiert er vom Charakter seines historischen Stoffs. Die Krieger müssen dazu regelrecht vom sittlichen Charakter ihres Krieges gelöst werden, was sich beim Sezessionskrieg vielleicht noch machen ließe. Im Fall der Indianerkriege aber waren Kräfteverhältnis und begangene Gewaltakte so ungleich verteilt, dass die gegebene Asymmetrie im poetischen Einerlei ertrinken muss.

Die visuellen Mittel stärken diese Tendenz. Das Licht macht hier die Arbeit, nicht die Farben, und ein Sepia-Filter taucht den ganzen Film in ein warmes Schwarzweiß. Die naturalistische Absicht ist unverkennbar: Man hat die Sonne der Prärie ebenso wie den Eindruck alter Fotografien; das warme Gold malt den Herbst, der als Metapher für jegliches Aftermath steht. Und bei alldem schaffen diese Effekte nun jene Gleichheit, die auch die Handlung behauptet.

Vielleicht ist das Cooper selbst aufgefallen, denn stellenweise arbeitet er mit Worten dieser dramatischen Wirkung entgegen. Blocker wirkt erschöpft, und anders als Yellow Hawk scheint er nicht nur kriegs-, sondern auch friedensmüde zu sein. Wenn er kurz vor dessen Tod sagt: »Ein Teil von mir stirbt mit dir«, bedeutet das, dass mit dem Tod eines Feindes auch der Teil in einem stirbt, der ihm ein Feind war. Doch man kann den Captain ebenso als Sinnbild für die frühen USA verstehen, wonach sich der Tod des Chiefs als Sterben einer mal unschuldigen Utopie deuten lässt, indem in der Kolonisierung etwas liegt, das nie wieder ausgeglichen werden kann.

Die schönste Szene drückt das aus. Der gleichfalls kriegsmüde Sgt. Metz schenkt Yellow Hawk ein Päckchen Tabak mit den Worten: »Dafür, wie wir die natives behandelt haben, kann es keine Vergebung geben.« Dieses kleine Geschenk ist kein Spott oder der Versuch, um ebendiese Vergebung zu bitten; es ist, in dieser Situation, alles, was Metz geben kann, und es kann gegeben werden, weil auch jede andere Entschädigung, wie hoch immer sie noch sei, zu niedrig wäre.

»Feinde« [»Hostiles«], USA 2017. Regie/ Drehbuch: Scott Cooper; Darsteller: Christian Bale, Wes Studi, Rosamund Pike. 134 Min.

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