- Berlin
- Abzocke im Berliner Kosmosviertel
Nur Fassade statt Substanz
Im Kosmosviertel werden Wände doppelt gedämmt, während Rohre und Kabel verrotten
»Miete kassieren und nichts tun«, schimpft Katrin Gassan. Sie meint damit ihren eigenen Vermieter, die Schönefeld Wohnen GmbH & Co. KG. Seit 13 Jahren wohnt sie im Kosmosviertel am südöstlichen Berliner Stadtrand, gefühlt im Nirgendwo zwischen Altglienicke, Rudow und dem Flughafen Schönefeld. Das Unternehmen ist der Platzhirsch der 1991 fertiggestellten Plattenbausiedlung. 1800 Wohnungen, fast zwei Drittel des Bestands, gehören dem Unternehmen, das vom in München wohnenden Geschäftsführer Helmut Hagemann geführt wird.
»Wenn ich die Toilettenspülung betätige, rauscht es in der Badewanne«, berichtet Gassan. »Deswegen riecht es im Bad permanent nach Fäkalien.« Das liege an den zugesetzten Fallrohren, so die Mieterin. Ihr Wohnblock der Plattenbauserie WBS 70 ist seit 28 Jahren praktisch unverändert. Bei der originalen Waschbeton-Außenfassade mag das noch eine Geschmackssache sein, bei den oft inzwischen fehlenden Abdichtungen zwischen den Betontafeln schon nicht mehr. Durch die Ritzen dringt Wärme nach außen und Wasser nach innen. Spatzen nisten darin. Aber auch an Leitungen und Fahrstühlen wurde außer Notreparaturen kaum etwas unternommen. Und auch der Wasserschaden in ihrer Wohnung wird nicht ausgebessert. Der geschah am 25. Januar 2017. »Im Büro der Verwaltung wird immer nur um den heißen Brei herumgeredet, auf Briefe nicht geantwortet«, sagt Gassan. »Ich gehe jetzt vor Gericht«, kündigt sie an.
Bei anderen Wohnblöcken ist die Schönefeld Wohnen indes nicht untätig geblieben. Der Elfgeschosser vis-à-vis von Katrin Gassans Wohnhaus ist komplett eingerüstet. Auf die Waschbetonfassade soll eine Dämmputzschicht kommen. Eine energetische Sanierung, deren Kosten komplett auf die Mieter abgewälzt werden können. Auch Gassan hatte schon eine Ankündigung dafür bekommen. 124 Euro mehr Miete müsste sie dann monatlich zahlen, über ein Drittel Steigerung. Im April hätten die Arbeiten beginnen sollen, doch nichts ist passiert. »Da setze ich auch alle Hebel in Bewegung, dass das so bleibt«, sagt die rebellische Mieterin.
Gassan engagiert sich im »Mieterprotest Kosmosviertel«, genau wie Peter Schmidt. Er fungiert auch als eine Art Sprecher. »Wir haben hier im Januar eine Haustürbefragung gemacht«, sagt er, während er vor dem eingerüsteten Block Ortolfstraße 168-172 steht. An zwei Tagen hatten die Aktivisten immerhin 106 der 240 Mieter angetroffen. »72 Prozent der Befragten wollen einen Härtefallantrag stellen«, berichtet er. »Und für sieben Prozent ist schon klar, dass sie ausziehen werden«, so Schmidt weiter.
Die Bewohnerschaft der Gegend ist arm. Der frisch veröffentlichte Sozialstrukturatlas 2017 attestiert dem dort schnöde als »Wohngebiet II« ausgewiesenen Kiez einen »sehr niedrigen« Sozialstatus. 10,1 Prozent der Wohnbevölkerung sind arbeitslos, deutlich mehr als die 6,7 Prozent berlinweit. Bei den Langzeitarbeitslosen liegt der Anteil mit 4,5 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch als im Landesschnitt. Fast doppelt so hoch liegt auch die Zahlen der Transferleistungsempfänger (23,9 Prozent). Für mehr als jedes zweite Kind werden Transferleistungen gezahlt, berlinweit ist knapp jedes dritte Kind betroffen. Damit belegt das Kosmosviertel je nach Indikator die Plätze 373 bis 415 der 436 untersuchten Kieze.
Doch einheitlich schlecht ist die soziale Lage der Bewohner des Kosmosviertels nicht. Neben den 1800 Wohnungen der Schönefeld Wohnen, die übrigens 1998 vom landeseigenen Wohnungsunternehmen Stadt und Land verkauft wurden, gehören weitere 960 Wohneinheiten der Wohnungsgenossenschaft Altglienicke. Deren Gebäude stechen schon optisch heraus: Verglaste Balkone, der graue Waschbeton ist freundlichen Pastelltönen gewichen. »Die Genossenschaft setzt auf Mieterinnen und Mieter mit höheren Ansprüchen und höheren Einkommen«, sagt Susanna Raab. Die Sozialwissenschaftlerin hat sich in ihrer noch nicht veröffentlichten Masterarbeit wissenschaftlich mit dem Kosmosviertel beschäftigt. »Über den Einfluss der Eigentümer*innenstruktur auf Segregationsprozesse«, lautet der Titel. Weitere knapp 200 Wohnungen gehören der Stadt und Land.
Lange Jahre folgte die Schönefeld Wohnen einem Modell, dass der Stadtsoziologe Andrej Holm »Discountwohnen« nennt. »Die Miete entsprach auf den Euro genau den von den Ämtern übernommen Kosten der Unterkunft«, berichtet Raab. Wenig Service und unterlassene Instandhaltung gehören zu den weiteren Indikatoren für das Modell, die ebenfalls im Kosmosviertel zu beobachten waren. Das fördert den Zuzug armer Mieter ohne Wahl, im Gegenzug ziehen jene, die es sich leisten können, in Folge der Vernachlässigung weg. An der Finanzlage des Unternehmens sollten die Investitionen nicht scheitern. »In der Zeit zwischen 2012 und 2015 ist das Umlaufvermögen in Form von Forderungen und sonstigen Vermögensgegenständen von 45 000 Euro auf rund 22,3 Millionen Euro gewachsen«, so Raab.
Doch statt einer Sanierung der Substanz entschied sich Schönefeld Wohnen 2015 für eine energetische Sanierung der Fassaden, dank elfprozentiger Umlage auf die Miete eine renditeträchtige Investition. Die ersten sechs Blöcke sind schon saniert, offenbar mangelhaft. Statt der angekündigten geschätzten 20-prozentigen Energieeinsparung waren es nur ein paar Prozent, niedrige einstellige Eurobeträge, denen hohe zweistellige oder gar dreistellige Mieterhöhungen gegenüberstehen. Gepfuscht wurde offenbar in vielen Punkten. Statt der nötigen sechs Zentimeter starken Dämmputzschicht ist diese nach Messungen der Mieter oft nur ein Drittel so dick. »Außerdem schimmelt es nun in einigen Wohnungen«, sagt Peter Schmidt. Er führt das auf die wasserundurchlässige Fassadenfarbe zurück. »So konnte die Feuchtigkeit aus dem Putz nur nach innen entweichen«, so Schmidt. Mitte Mai haben die Mieter »einen möglichen Verstoß gegen das Energieeinsparungsgesetz« bei der bezirklichen Bauaufsicht angezeigt.
Schönefeld Wohnen hat auch auf schriftliche Anfragen von »nd« zu den Vorwürfen nicht reagiert. Tatsächlich scheint eine Fassadendämmung bei der Plattenbauserie WBS 70 nur wenig Einsparungen zu bringen. Denn die Fassadenplatten wurden schon beim Bau gedämmt, zwischen Betoninnen- und -außenwand ist eine Mineralwollschicht eingebettet. Abgesehen davon weigert sich die Schönefeld Wohnen nach Schmidts Angaben, offenzulegen, welche Kostenanteile vom Vermieter zu tragende Instandhaltung sind. »Das ist Auskunftsverweigerung hoch drei. Wir sind dabei, eine Erzwingungsklage einzureichen«, so Schmidt.
Seit Januar 2017 versuchen die Aktivisten vom »Mieterprotest Kosmosviertel« den Bezirk Treptow-Köpenick zum Handeln zu zwingen. Sie stellen Anträge, schreiben Briefe, stellen Bürgeranfragen in der Bezirksverordnetenversammlung - mit mäßigem Erfolg. Immerhin soll nun ein Büro beauftragt werden, den Erlass einer Erhaltungssatzung zu prüfen. »Man muss mit aller Gewalt ein Jahr gegen eine dicke Wand laufen, um ein ganz kleines Loch zu bekommen«, sagt Schmidt.
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