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Petro auf Aufholjagd
Bei der Stichwahl in Kolumbien hat der linke Präsidentschaftskandidat Außenseiterchancen
Kurz vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag in Kolumbien eskaliert die Gewalt. Bei einem Angriff der Luftwaffe im Osten des Landes sind 16 Kämpfer einer abtrünnigen Einheit der früheren Guerillaorganisation FARC ums Leben gekommen, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit.
»Wir wollen ein Land aufbauen, in dem es keine Verletzung der Menschenrechte mehr gibt«, sagt Luz Marina Bernal, »ein wahrhaftig menschlisches Kolumbien«. Die 58-jährige, die vor einer Gruppe Studierender der Universidad Libre in Bogotá spricht, ist Teil der Bewegung »Colombia Humana«, deren Kandidat Gustavo Petro am Sonntag in der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Iván Duque, Kandidat der Rechtspartei »Centro Democrático«, antritt.
Doch Bernal ist nicht nur Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, sie ist auch Opfer des bewaffneten Konflikts. 2008 entführten Soldaten ihren geistig behinderten Sohn Fair Leonardo. Tage später tauchte seine Leiche in einem Massengrab Hunderte Kilometer vom Wohnort der Familie entfernt wieder auf - in Gummistiefeln und Kampfmontur. Er sei als Guerillero im Kampf gefallen, hieß es. Diese unter Ex-Präsident Uribe weit verbreitete Praxis der sogenannten »falschen Erfolge« war einer der vielen schweren Menschenrechtsverbrechen, die staatliche Kräfte während dessen Amtszeit (2002 bis 2010) begingen. Uribe, harscher Kritiker des Friedensabkommens mit der FARC, ist heute Senatsabgeordneter der stärksten Fraktion »Centro Democratico« und Iván Duque sein Protegé.
Kritikern gilt der 41-jährige und politisch weitgehend unerfahrene Duque als vom Ex-Präsidenten zu installierender Stellvertreter. Dieser hat bereits angekündigt, das Friedensabkommen mit der FARC im Falle eines Wahlsieges an entscheidenden Stellen verändern zu wollen und neue, laut Beobachtern nahezu unerfüllbare Bedingungen für die Fortsetzung der Verhandlungen mit der ELN zu stellen. Vor drei Wochen hatte Duque mit 39 Prozent der Stimmen die erste Runde gewonnen. Gustavo Petro - einst Guerillero, später Senator und Bürgermeister Bogotás - war mit 25 Prozent knapp vor dem Kandidaten der linksliberalen »Coalición Colombia«, Sergio Fajardo, gelandet. Nie zuvor in der Geschichte des Landes hatten unabhängige linke Kandidaten so viele Stimmen auf sich vereinigen können, zusammen fast 50 Prozent.
»Diese Stimmen für Fajardos und Petro repräsentieren eine Gesellschaft, die der Klüngelei und des Klientelismus müde ist«, schrieb Ariel Ávila von der Stiftung Frieden und Versöhnung PARES und einer der gefragtesten politischen Analysten den Landes in einem Debattenbeitrag. Der Schreck der politischen Elite, ob konservativ oder liberal, die in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt ist, sei derart groß gewesen, dass sie nach der ersten Runde angsterfüllt in die Arme Iván Duques gelaufen sei.
Nicht nur die politische, auch die wirtschaftlichen Eliten weiß Duque hinter sich. Der größte Wirtschaftsdachverband des Landes »Consejo Gremial Nacional« (CGN), zu dem Unternehmerverbände aus Industrie, Handel und Agrarwirtschaft zählen, sprach sich ebenso für ihn aus wie zahlreiche Vertreter regionaler Eliten. Diese bewegen dank ihrer Klientelnetzwerke eine große Anzahl Wähler und erhoffen sich für den Fall der Machtübernahme wirtschaftliche und politische Gegenleistungen von der Regierung.
Auch deshalb ist die Stimme für Petros für einen Großteil der ihn stützenden linken Kräfte - politische Linke, zahlreiche Intellektuelle sowie Indigenen- und andere Basisbewegungen - nicht nur eine für einen politisch progressiven Kurs und gegen die Rückkehr des »Uribismo«, sondern auch eine Abwahl des alten Polit-Establishments. Noch nie in der 200-jährigen Geschichte war in Bogotá ein unabhängiger, progressiver Kandidat am Zug. Wenngleich Petro weniger für Sozialismus als für Umverteilung, eine starke öffentliche Hand, nachhaltiges ökologisches Wirtschaften und eine Fortsetzung des Friedensprozesses steht, wird seine mögliche Wahl von seinen Anhängern als Chance auf eine Zeitenwende verstanden. Das kolumbianische Volk, twitterte Petro zuletzt, werde am Wahltag die »Wasser der Geschichte« teilen. Die politischen Gegner versuchen es hingegen weiter mit Schreckensszenarien und tönen von drohenden Verhältnissen wie im Nachbarland Venezuela. Die Euphorie der Petristas hingegen ist in den vergangenen Tagen noch einmal gestiegen.
Hatte der drittplatzierte Fajardo selbst sich für keinen der beiden Kandidaten ausgesprochen, stellten sich mehrere Führungsfiguren der »Coalición Colombia« nach langem Zögern hinter Petro. Schon zuvor hatte sich in Umfragen, die nur bis eine Woche vor dem Urnengang veröffentlicht werden dürfen, abgezeichnet, dass der Vorsprung Duques kontinuierlich schmilzt - laut dem linken Thinktank Celag gar auf weniger als 6 Prozent. Der Zuspruch aus der »Coaliación« ist dabei noch nicht berücksichtigt. Dies scheint das Duque-Lager nervös zu machen. Auf eine Fernsehdebatte mit Petro wollte sich der rhetorisch weit weniger begabte Duque nicht einlassen. Die Ex-Guerilleros der FARC hingegen - deren umstrittene Eingliederung in die Politik vor allem vom Uribe-Lager immer wieder im Whalkampf thematisiert worden war - gaben klugerweise keine offizielle Wahlempfehlung ab. Man könne sich ja vorstellen, wen man unterstütze, hieß es aus Parteikreisen.
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