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Wir schaffen das!
Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
Im Sommer 1972 trafen auf Einladung einer britischen Komikergruppe namens »Monty Python« im finalen Weltausscheidungskampf die Nationalteams der Philosophen von Griechenland und Deutschland aufeinander. »Hellas« gewann damals mit 1:0. Den Siegtreffer erzielte Sokrates - natürlich per Kopf. Im selben Jahr wurden Deutschlands offizielle Profifußballer bei einem von einer korrupten Organisation namens UEFA durchgeführten EM-Wettbewerb erstmals Europameister.
Zu Beginn des von einer korrupten Organisation namens FIFA durchgeführten WM-Wettbewerbs im Jahre 2018 stand darum erneut ein solches Spiel an. Diesmal leider ohne Beteiligung von »Monty Python«, dafür sollten Politiker anstelle der Philosophen auflaufen. Bundestrainerin Angela Merkel plädierte in der Talkshow »Anne Will« für eine Partie im bereits vorab ausverkauften Allianzvolkswagenbitburger-Stadion von Bitterfeld gegen die internationale Despotentruppe »Monstars«. Deren Trainer Recep Tayyip Erdoğan sagte begeistert zu und ließ zur Feier des bevorstehenden Spektakels erst einmal ein paar Flüchtlingsboote versenken.
Acht nd-Redakteurinnen und -Redakteure, ergänzt um vier Gastautorinnen und -autoren, kommentieren das Geschehen rund um die Fußball-WM in Russland aus feuilletonistischer Sicht. Warum 12 und nicht 11? Ganz einfach: Der linke Fußballfan weiß, dass es immer auf den 12. Mann (oder die 12. Frau) ankommt!
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Die Deutschen traten mit der bewährten Elf an: Horst Seehofer stand im Tor (er lässt keinen rein; vor allem, wenn’s um Ausländer geht). Verteidigungschefin war Ursula von der Leyen (Spitzname: Bomberin der Nation). Flankiert wurde sie vom stramm auf der Sechzehnmeterlinie platzierten Heiko Maas, dem Zeugwart Diether Dehm den Spitznamen »Strichjunge« verpasst hat. Christian Lindner sollte wie gewohnt den Rechtsaußenverteidiger geben, Kevin Kühnert wiederum gilt als derzeit bester linker Leichtfuß. Die Doppelsechs bildeten Andrea Nahles und Olaf Scholz, weil das die ideale Position für Trickser und Täuscher ist.
Zentrale Offensivkraft war Joschka Fischer, der als »Aggressive Leader« immer aus allen Rohren feuert und bei den Medien trotzdem noch immer als Schönspieler gilt. Linksaußen stellte Coach Merkel die nach einem opulenten Hummer-Essen verspätet im Trainingslager eingetroffene Sahra Wagenknecht auf, auch wenn Hütchenaufstellerin Katja Kipping deren Stärken eher auf der rechten Seite sieht. Dort hat sich jedoch längst Alexander Gauland etabliert, dessen Steilpässe auf Stürmer Björn Höcke als »Vogelschissschema« in die deutsche Politikerfußballgeschichte eingegangen sind.
Bei den »Monstars« nominierte Übungsleiter Erdoğan sein eingespieltes Alphaschurkenteam: Das Tor hütete Donald Trump, weil er die modernsten Abwehrmauern errichten kann. In der Innenverteidigung standen der Große Vorstopper Mao Zedong und der dynamische Ausputzer Nicolas Sarkozy (Spitzname: Kärcher). Die linke Außenbahn oblag den Volkstribunen Erich Honecker und Josef Stalin. Auf rechts sollte Adolf Hitler die Tiefe des Lebensraums erweitern. Augusto Pinochet hatte den Auftrag, den Publikumsliebling Wagenknecht mit neoliberalen Blutgrätschen aus dem Konzept zu bringen.
Im zentralen Mittelfeld sollte Papst Franziskus den Matchplan absegnen und schnell Ruhe ins Spiel bringen, falls das wilde Angriffsduo Osama bin Laden und Napoleon Bonaparte es mit seinen unberechenbaren Kontern übertreiben würde. Einsame Sturmspitze war der schillernde Paradiesvogel des Teams: Kim Jong-un. Bekanntlich ist niemand so schwer einzufangen wie dieser mit dem possierlichen Kosenamen »Kleines dickes Psychopath« treffend charakterisierte Distanzschussspezialist.
Als Merkel in der Kabine am Flipchart stand (sie durfte sich nicht umdrehen, weil Seehofer sie sonst mit Papierkügelchen beschossen hätte) und ihre Motivationsrede hielt (»Wir schaffen das!«), da klopfte von außen jemand an die Tür. Es war ihr Kollege Erdoğan, der Merkel in seinen Trainerbunker bat.
Dort präsentierte er ihr ein Foto auf seinem Handy, das ihn mit den deutschen Spielern Gauland und Höcke beim entspannten Posieren im Rahmen einer quietschvergnügten Fußballbücherverbrennung zeigt. Türkische Journalisten hatten das Bild unerlaubt in diesem Internet verbreitet, weshalb er augenblicklich nach Hause reisen müsse, um sie alle eigenhändig einzubuchten. Was tun?
Angela Merkel, die ausgebuffte Taktikfüchsin, schlug ihrem Freund wieder einmal einen Deal vor: Würde das Spiel nicht ausgetragen und sofort für Deutschland gewertet, dann würde Merkel die Medien mit Quatsch beschäftigen, damit der werte Kollege in Ruhe seine demokratisch legitimierte Arbeit machen könne. Kurz darauf hatte sie auch schon ihre Allzweckwaffe am Telefon: das Mannschaftsmaskottchen Jens Spahn.
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