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Müffelzeit
Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
Elf Tage läuft sie nun schon, die WM. Mein Bäuchlein ist etwas gewachsen, die Haut blasser geworden und beide Ringfinger zucken permanent. Zeit für ein kleines Zwischenfazit, finde ich. Ja, diese Weltmeisterschaft gehört nun wahrlich nicht zu den interessantesten der letzten zweitausendachtzehn Jahre, das kann man getrost so behaupten. Es regiert ein defensiver Zurückhaltungsfußball. Jeder lauert auf die Fehler des anderen und versucht, den Ball so lange wie möglich in den eigenen Reihen zu bewahren. Tore fallen zumeist nach Standards oder man wartet, bis der Gegner sich erbarmt und den Ball endlich ins eigene Netz befördert. Das häufigste Ergebnis: 1:0. Dominierende Taktik: auf Zeit spielen. Mangelnde Qualität versuchen die Spieler entweder durch Tattoos und Frisuren oder durch innovative Mimik und Gestik auszugleichen. Wie sich da gewälzt wird, was für Grimassen des Schmerzes auf dem Rasen zu sehen sind, das grenzt an Pantomime der Superlative. Es sind wahrhaft schauspielerische Meisterleistungen, die wir dort geboten bekommen, die Talentscouts diverser Kriegsfilmregisseure dürften bereits Schlange stehen. Angesichts der Szenen auf dem Rasen ist es im Prinzip verwunderlich, dass noch keine Opfer zu beklagen sind, unter den nahestehenden Angehörigen, aber vielleicht sind diese auch alle eingeweiht.
Auf den Rängen blieb es, bisher zumindest, friedlich (Stand: 23.6., 13 Uhr), das kann man positiv werten, allerdings passen sich die Zuschauer im Stadion der Langeweile auf dem Rasen irgendwie auch an. Mal abgesehen von den iranischen Fans, die mit ihren Vuvuzelas einen Höllenlärm veranstalteten und in deren Reihen besonders die vielen schönen Frauen auffielen (Ha! Sexismus!), welche enthusiastisch und voller Fröhlichkeit zu ihrem Team standen, war ansonsten Schmalhans Küchenmeister.
In der Hitparade der Nervtöter unangefochten auf Platz 1, die »Rossija, Rossija«-Rufe der russischen Fans, die, wahrscheinlich um die Lage in Westeuropa und dem ganzen Rest der Welt zu destabilisieren, gern auch während sämtlicher anderen Partien, an welchen die russische Nationalmannschaft überhaupt nicht teilnahm, stoisch skandiert wurden. Argentinier und Mexikaner können zwar singen, klar, aber mittlerweile scheinen die Süd- und Mittelamerikaner alle dasselbe Lied anzustimmen. Oder liegt es an meinem hohen Alter und ich höre nicht mehr richtig (»diese Yeah-Yeah-Yeah-Musik klingt doch immer gleich«)? Die Isländer rufen ihr »Uh!«, die Schweizer ihr »Hopp, Schwiez!«, die Franzosen ihr »Allez, les Bleus!«, alles wie gehabt. Neue Ideen Fehlanzeige. Für die Verschwörungstheoretiker unter euch: Wäre es nicht möglich, dass das alles gar keine echten Fans sind, sondern lediglich Fan-Darsteller, die vom russischen System, in Zusammenarbeit mit der FIFA, gecastet wurden und nun eingesetzt werden, damit es keine unliebsamen Zwischenfälle auf den Tribünen gibt, welche für Unruhe unter den Sponsoren sorgen? Nein? Zu kompliziert? Aber könnte man doch vielleicht mal in die Öffentlichkeit werfen, oder? Irgendwas wird schon hängenbleiben.
Meiner Meinung nach das Interessanteste bisher: jener mit den Händen geformte albanische Doppeladler, den die beiden Schweizer Nationalspieler Xhaka und Shaqiri im Anschluss an ihre Tore präsentierten, nachdem sie zuvor von den serbischen Fans bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen wurden. Kannte ich so noch nicht.
Ach, in meinem Zimmer soll es übrigens stinken, habe ich vernehmen müssen. Ob dies an den ganzen Pizza-Kartons liegt? Oder sollte ich mal das Fenster öffnen?
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