... weil er uns noch viel zu sagen hat
Drei Einführungen zu Leben und Werk des Karl Marx
Die Flut an Veröffentlichungen ist riesig. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx beschäftigen sich nicht nur kleine linke Verlage mit dem großen Ökonomen und Philosophen - auch große bürgerliche Verlage holen ihn vom Dachboden der Geschichte. Ebenso groß wie die Anzahl der Publikationen ist dabei die Bandbreite ihrer Qualität. Drei Bücher, die an ein unterschiedliches Publikum adressiert und von Kennern des Marx’schen Werks verfasst worden sind, seien hier vorgestellt.
Der »FAZ«-Redakteur Dietmar Dath, vom »Welt«-Herausgeber Ulf Poschardt als der »schlauste Kommunist des Landes« bezeichnet, hat ein äußerst persönliches Buch geschrieben, das zugleich einen idealen Einstieg in die Marx’sche Lehre und deren Nachwirkung bietet. Er offenbart unter anderem die Einflüsse von Denkern wie Hegel, dessen Dialektik er wunderbar am Verhältnis einer Raupe zum Schmetterlings erklärt. Von besonderer Bedeutung sei für
Marx, so Dath, die Verbindung zwischen Theorie und praktischem Handeln. Selbst- und Weltveränderung fielen beim Philosophen aus Trier zusammen - ganz wie er es in der ursprünglichen Fassung der Thesen über Feuerbach 1845 unter Punkt 3 formuliert hatte: »Das Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.« Dath unterscheidet dabei zwischen kalter Wut, die den Gegenstand zuerst einmal verstehen will, und heißer Wut, die dann dagegen kämpft. Man brauche beides. Deren Verbindung bei Marx begründe auch dessen anhaltende Aktualität. Marx ist für Dath somit Zeitgenosse, mit dem ein Ausweg aus der kapitalistischen Misere gefunden werden kann.
Wer Dath kennt, wird sich vielleicht wundern, dass er ein so knapp-komprimiertes und sehr verständliches Büchlein verfasst hat. Der Autor selbst erklärte in einem Interview hierzu, es solle »Leuten genügen, die nur 100 Seiten zum Thema lesen wollen. Ich hoffe natürlich, es genügt ihnen nicht. Es ist ein bisschen so geschrieben, dass es nicht reicht.«
Wem die spannenden und lehrreichen 100 Seiten Daths tatsächlich nicht genügen, dem sei auf die Neuauflage der Einführung zu Marx von Iring Fetscher verwiesen. Der 2014 gestorbene Frankfurter Professor gehörte zu den führenden Marx-Forschern der Bundesrepublik. Die Neuauflage ist durch Fetschers Essay »Liberaler, demokratischer und marxistischer Freiheitsbegriff« aus dem Jahr 1967 ergänzt.
Hangelt sich Dath vornehmlich an der Lebensgeschichte von Marx entlang, gliederte Fetscher sein Buch vorrangig thematisch, ausgerichtet an dessen Werken. Der Begriff Revolution wird anhand des »Kommunistischen Manifests« erklärt, die Ökonomie am »Kapital« usw. Besonders aktuell ist der Exkurs zum häufig übersehenen Aspekt der Naturzerstörung in der Marx’schen Theorie. Deutlich wird, dass uns in Zeiten dramatischen Klimawandels und zunehmender Globalisierung Marx immer noch etwas zu sagen hat. Ebenso wie Dath legt Fetscher großen Wert auf die Beschreibung der Verbindung von Theorie und Praxis bei Marx. Fetscher geht ausführlich auf den Journalisten, Redner und Politiker der sich formierenden Arbeiter*innenbewegung ein, auf den Bund der Kommunisten und die Internationale Arbeiterassoziation. Man bekommt einen Eindruck, wie viel und wie vielseitig beschäftigt Marx war. All dies wird historisch exakt eingebettet. Eine gelungene Marx-Einführung.
Ebenfalls eine, allerdings voluminösere, Einführung mit vielen Originaltexten zu Themen wie Historischer Materialismus, Arbeit und Gesellschaft oder Modernisierung und Globalisierung bieten die beiden Soziologen Florian Butollo und Oliver Nachtwey. Sie lassen Marx selbst zu Wort kommen, wollen dessen Rezeption vor falschen Verkürzungen bewahren. So wird das Beispiel des »Maschinenfragments« aus den »Grundrissen«, in denen Marx der Frage nachgeht, was passiert, wenn lebendige Arbeitskraft immer weiter ab- und der Anteil des Wissens und der Maschinen immer weiter zunimmt, klug mit aktuellen Debatten um künstliche Intelligenz und digitalen Kapitalismus verbunden.
Mehr als in den kürzeren Einfühlungen von Dath und Fetscher steht bei Butollo und Nachtwey das umfangreiche Œuvre von Marx im Zentrum. So einflussreich, kontrovers und wortmächtig wie Marx hätten nur wenige Theoretiker vor und nach ihm über so unterschiedliche Bereiche wie Philosophie, Ökonomie, Politik und Soziologie geschrieben. Die Anthologie richtet sich an Leser*innen, die sich bereits mit Marx beschäftigt haben und ihr Wissen vertiefen wollen. Die Auswahl der Texte deckt alle Bereiche und Schaffensphasen von Marx ab und ermöglicht somit einen Zugang zu dessen Werk.
Bertolt Brecht meinte einmal, dass es teuer sei, Marx zu verstehen, denn man müsse sich mit zahlreicher Literatur eindecken, um wirklich zu begreifen, was er gemeint habe. Die drei Bücher sind eine gute Investition, denn sie schärfen den Blick für das noch unausgeschöpfte und unabgegoltene Potenzial, das in Marx wirklich steckt.
Dietmar Dath: Karl Marx. 100 Seiten. Reclam, 100 S., br., 10 €.
Iring Fetscher: Marx - Eine Einführung. Suhrkamp, 159 S., br., 17 €.
Florian Butollo/Oliver Nachtwey (Hrsg.): Karl Marx. Kritik des Kapitalismus - Schriften zu Philosophie, Ökonomie, Politik und Soziologie. Suhrkamp. 666 S., geb., 30 €.
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