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Lenin hätte das gefallen
Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
Eigentlich hatte ich für diese Stelle einen schönen Text vorbereitet, darüber, wie schlimm doch alles ist mit diesem Partypatriotismus und wie man nicht mal mehr vernünftig einkaufen kann, weil jedes Produkt drei Querbalken in den Farben von Pest, Blut und Schwefel aufgedruckt bekommen hat. Die südkoreanischen Helden von Kaliningrad kamen mir dazwischen - und ich bin ihnen überaus dankbar. Stattdessen möchte ich mich bei nd-Leserbriefschreiber Raimond B. aus KMS entschuldigen: Hätte ich gewusst, dass das deutsche Team sich selbst um das Problem kümmert, hätte ich natürlich nicht zur Entfernung der Flaggen aufgerufen. Mea culpa, aber damit konnte ja nicht mal der überzeugteste Antideutsche rechnen!
Jetzt ist es also vorbei mit der Mission Titelverteidigung oder wie man das im offiziellen DFB-Sprech nannte. Die Mannschaft flog nach Hause und alle Häme ist angebracht. Gar eine fußballerische Besonderheit ist es, dass es in der Gruppe F nur einen Verlierer gab, dafür drei Gewinner: Mexiko, Schweden, die ins Achtelfinale einzogen, und Südkorea. Südkorea, das einmal in der Geschichte das bessere Korea sein durfte und damit allen, die unter dieser ganzen fröhlich-rassistisch-nationalistischen Partypatriotismusscheiße leiden mussten, zumindest ein bisschen Sicherheit und Ruhe zurückgegeben hat. Die Südkoreaner haben gefeiert, und wir haben gefeiert, als hätten sie gerade die Weltmeisterschaft gewonnen.
Acht nd-Redakteurinnen und -Redakteure, ergänzt um vier Gastautorinnen und -autoren, kommentieren das Geschehen rund um die Fußball-WM in Russland aus feuilletonistischer Sicht. Warum 12 und nicht 11? Ganz einfach: Der linke Fußballfan weiß, dass es immer auf den 12. Mann (oder die 12. Frau) ankommt!
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Wie geht es nun weiter bei der WM? Leider nur zwei Brudernachfolgestaaten in der Endrunde, Ex-Sowjetrussland und Katholisch-Jugoslawien. Die VR Polen und das andere Jugoslawien aber haben sich ja leider nicht gerade mit Fußball-Ruhm bekleckert; aber immerhin besser als die ostdeutsche Auswahl um Trainer Sparwasser - diese feigen Proleten haben sich ja gar nicht qualifiziert! Dieser Teil des Warschauer Fußballpaktes muss in Zukunft deutlich mehr staatliches Zwangsdoping ... äh, Energie in den Rasenballsport investieren, wenn das noch was werden soll.
Aber die Ex-RSFSR und Katholisch-Jugoslawien, meine Güte. Wer hätte gedacht, dass die Rote Fußballarmee die franquistische Truppe besiegt, geschweige denn bis zum Elfmeterschießen durchhält? Und die Jugos gegen die Wikinger, bestimmt das spannendste WM-Spiel, das ich dieses Jahr im Hintergrund laufen ließ, während ich Wichtigeres zu tun hatte! Erste Minute - Tor, vierte Minute - Tor, 1:1 und dann Zitterpartie, bis sich endlich wieder einmal zeigte: Jesus, der alte Che Guevara-Imitator in Hanfsandalen, ist ein besserer Gott als Odin. Ein Sieg, so kostbar, meine kroatischen Nachbarn unterbrachen den Restaurantbetrieb, um die gesamten Restbestände der Jugoslawienkriege als Feuerwerk zu missbrauchen.
Blöd nur: In der nächsten Runde der K.-o.-Phase treffen unsere beiden Favoriten aufeinander. Das kann nur blutig werden, Bruderstaatenkrieg quasi. Das einfache Parteimitglied fragt sich jetzt zu Recht: Wen kann ich, wen darf ich im Viertelfinale mit meiner Deppenflöte (zu Deutsch: Vuvuzela, nicht zu verwechseln mit Venezuela, also dem Deppensozialismus) unterstützen? Gute Frage, aber ich kann Ihnen nur so viel verraten: Den Kontakt zu Moskau haben wir beim »nd« seit 1991 verloren, Marschall Tito stand für ein Interview nicht zur Verfügung. Nun denn, liebe Handballfreunde, auf eine spannende Rest-WM und Sport frei!
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